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Lohnendes Engagement: Gesundheitsförderung in der Sozialen Arbeit

02.10.2025 - 10 Min. Lesezeit

Portrait von Christina Meyer

Christina Meyer

Dozentin und Projektleiterin im Kompetenzzentrum Prävention und Gesundheit (PuG) | HSLU, Institut für Sozialpädagogik und Sozialpolitik

Frau streckt im Büro die Beine aus, um sich zu entspannen.

Soziale Berufe sind oft von hoher Arbeitsbelastung betroffen. Um so wichtiger ist es, dass sich soziale Organisationen um das körperliche und psychische Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden kümmern. In diesem Beitrag beleuchtet Gastautorin Christina Meyer die Hintergründe. Anschliessend erklärt Monika Dörflinger im Interview mit Martin Heiniger, was es für eine gelingende Umsetzung braucht.

Die Gesellschaft befindet sich in einem stetigen Wandel – soziale, wirtschaftliche und technologische Veränderungen prägen das tägliche Leben. Immer mehr Menschen spüren die Belastungen, die damit einhergehen, sei es durch Unsicherheit, soziale Isolation, psychische Belastungen oder wirtschaftliche Schwierigkeiten. Auch im Arbeitsleben bleibt der Stress weltweit hoch, wie die internationale Datenlage bestätigt.1

Diese Entwicklungen wirken sich unmittelbar auch auf das Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit aus. Dabei steigt, nebst der Anzahl der Klient*innen in manchen Bereichen, insbesondere die Intensität der Belastungen, mit denen sie sich an Fachpersonen der Sozialen Arbeit wenden. Zum einen entstehen dadurch neue Themenfelder und Herausforderungen, mit denen Klientinnen und Klienten konfrontiert sind. Zum anderen verändert sich auch die Art und Weise, wie Soziale Arbeit handeln muss, um diesen komplexen Anforderungen gerecht zu werden. So erfordern diese Entwicklungen eine kontinuierliche Weiterentwicklung professioneller Haltungen, Methoden und Strukturen innerhalb des Berufsfeldes.

Zudem verändern sich das Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit und seine Arbeitsbedingungen insgesamt. Der demographische Wandel stellt kleine und mittlere gemeinnützige Betriebe, in denen Sozialarbeitende und Sozialpädagog*innen vorwiegend arbeiten, vor weitere Herausforderungen. So können etwa die geburtenschwachen Jahrgänge die Lücke, die durch den Ruhestand der Babyboomer entsteht, nicht schnell und umfassend füllen. In der Folge steigen, infolge des Fachkräftemangels, auch die Belastungen für Fachpersonen in der Sozialen Arbeit.

Ein Viertel der Sozialarbeitenden erlebt Erschöpfung

Gemäss verschiedener Modelle und Konzepte wie etwa dem JD-R-Modell (job demands-resources model of burnout) von Bakker und Demerouti2, welche u.a. die spezifischen Risiken oder Arbeitsanforderungen und -ressourcen gegenüberstellen, führen hohe Arbeitsbelastung oder schlechte Arbeitsbedingungen zur Erschöpfung. In der deutschen Sekundäranalyse einer Erwerbstätigenbefragung aus dem Jahr 2018 zeigt Hollederer auf, dass 25% der Sozialarbeitenden von einem häufigen Auftreten einer emotionalen Erschöpfung und einer körperlichen Erschöpfung in den letzten 12 Monaten während der Arbeit berichten. «Der Anteil übertrifft signifikant den Durchschnittswert von 17 % bei den anderen Berufen.»3 Sozialarbeitende sind einem hohen berufsspezifischen Risiko für die Entwicklung von Disstress, Erschöpfung und Burnout ausgeliefert: «Helfende Berufe gelten als gefährdet.»4

Das bleibt nicht ohne Folgen. Zu nennen sind etwa hohe Fehlzeiten, Stress, Überlastung, Unzufriedenheit, schwindende Bindung ans Unternehmen, Fluktuation und Verlust von Kompetenzen und Engagement. Arbeitsausfälle aufgrund der gesundheitlichen Belastungen verursachen nicht nur hohe wirtschaftliche Aufwendungen, sondern schwächen auch die organisatorische Leistungsfähigkeit und Stabilität einer Organisation zu Lasten der Mitarbeitenden und vulnerablen Zielgruppen.

Gesundheitsförderung als Antwort

In den letzten Jahren erkennen mehr Unternehmen in BGF und BGM einen strategischen Erfolgsfaktor. Die Motive der Arbeitgebenden, sich für die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden einzusetzen, liegen neben den wirtschaftlichen Interessen wie z.B. die Produktivitäts- oder Gewinnsteigerung, auch im Wettbewerb um die raren personellen Ressourcen. Den Arbeitnehmenden Sorge zu tragen ist zudem eine Verpflichtung: «Der Arbeitgeber muss alle Massnahmen treffen, die nötig sind, um den Gesundheitsschutz zu wahren und zu verbessern und die physische und psychische Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten.»5

Glossar BGM

Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) ist «eine moderne Unternehmensstrategie und zielt darauf ab, Krankheiten am Arbeitsplatz vorzubeugen (einschliesslich arbeitsbedingter Erkrankungen, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und Stress), Gesundheitspotentiale zu stärken und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu verbessern».6

Obwohl Unternehmen der Gesundheit ihrer Mitarbeitenden meist eine hohe Bedeutung beimessen und im Rahmen des Arbeitsschutzes Gesundheitsförderung und Prävention umsetzen, werden strategisch geplante Massnahmen im Sinne eines ganzheitlichen BGM in der Schweiz bislang nur in begrenztem Umfang realisiert.10 Laut dem Monitoring 2024 von Gesundheitsförderung Schweiz und der Fachhochschule Nordwestschweiz setzen 21,8 % der Betriebe Massnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung systematisch um. 49,1 % tun dies mehrheitlich oder wiederholt.

Der Umsetzungsgrad von BGM ist bei Betrieben ab 100 Mitarbeiten signifikant höher als bei kleineren Betrieben.11 Die Massnahmen beinhalten z.B. das Absenz- und Case-Management, verhaltensbezogene Gesundheitsprogramme, Befragungen der Mitarbeitenden oder Organisationsentwicklung in Richtung einer wertschätzenden Betriebs- und Führungskultur.

Zu berücksichtigen ist, dass die Monitoring-Erhebungen sich auf alle Branchen beziehen und es keine Aufteilung nach Sektoren wie z.B. Soziales oder Bildung gibt. Soziale Organisationen sind mehrheitlich den kleineren und mittleren Betrieben zuzurechnen. Gemäss der Erhebung ist daher davon auszugehen, dass im Sozialbereich oft Strukturen, personelle Ressourcen und Arbeitsinstrumente fehlen, um verhaltens- und verhältnisbezogene Massnahmen zu verankern, welche die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden fördern.

Die Hochschule Luzern ist derzeit mit einem Forscherteam aus den Departementen Soziales und Wirtschaft daran, solche Arbeitsinstrumente interdisziplinär, bedarfs- und bedürfnisgerecht für KMUs zu entwickeln.

Ganzheitlicher Prozess

Grundsätzlich ist Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) als ganzheitlicher Prozess zu verstehen. Im Sinne der Verhältnisprävention gilt es, auf die Arbeitsprozesse und Strukturen in der Organisation zu schauen.

Ganzheitliches BGM umfasst zentrale Aspekte zur Unternehmenskultur, Kommunikation (nach innen und aussen) sowie zum Führungsverhalten. Um wirksame Massnahmen aufzubauen, sind langfristige Ziele, Strategien und entsprechende Strukturen notwendig. Die Ausgangslage bildet eine Ist-Analyse zu den Belastungen und Ressourcen am Arbeitsplatz, aus Sicht aller Mitarbeitenden. Auf deren Basis lassen sich partizipativ konkrete Ziele formulieren und bedarfsgerechte Massnahmen ableiten. Verschiedene Modelle wie die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan12, welches die Struktur und Dynamik der menschlichen Motivation berücksichtigt oder das SMART-Modell von Parker und Knight13 tragen dazu bei, dass Arbeitsplätze nicht nur gesundheitsfördernd gestaltet, sondern auch die Motivation und Leistung berücksichtigt werden. Konkret bilden stimulierende Aufgaben, Feedback- und Rollenklarheit, Autonomie, Sinnhaftigkeit der Tätigkeit, soziale Unterstützung und Beziehungen sowie die Unterstützung und Wertschätzung durch Vorgesetze sowie deren Vorbildverhalten eine entscheidende Rolle.

Verhaltensbezogene Massnahmen müssen eingebettet sein

Allein an die Verantwortung der Mitarbeitenden zu appellieren, dass sie für die eigene Gesundheit Sorge tragen und die angebotenen Gesundheitsprogramme nutzen, greift deshalb zu kurz. Solche verhaltensbezogenen Interventionen (z.B. zur Stressbewältigung oder Bewegung) setzen zudem voraus, dass Mitarbeitende motiviert sind, an solchen teilzunehmen. Mitarbeitende sind aber oft der Auffassung, dass gesundheitsförderliche Verhaltensweisen wie etwa eine gesunde Ernährung Privatsache sind und Arbeitgebende ihnen diesbezüglich keine Vorschriften machen sollen.14

Verhaltensbezogene, individuelle Angebote wirken dann nachhaltig, wenn diese in einer gesundheitsförderlichen Gesamtstrategie der Betriebe integriert und von der Leitung mitgetragen werden. Ansätze aus der positiven Psychologie und Achtsamkeit stützen diesen Prozess. Ohne von den Risiken abzulenken, unterstützen sie Organisationen, Mitarbeitende, Teams und Führungspersonen, sich auf die Stärken zu konzentrieren.15

Handlungsempfehlungen

Der Employee Life Cycle (ELC) beschreibt ein strategisches Modell im Personalmanagement, das die einzelnen Stationen von Mitarbeitenden innerhalb eines Unternehmens systematisch abbildet.16 Das Modell unterstützt eine erhöhte Achtsamkeit und Wertschätzung für Mitarbeitende entlang ihres gesamten Arbeitszyklus und kann helfen, Massnahmen des BGM einzuordnen.17 Dazu ein paar Beispiele:

Personalgewinnung (Recruiting)

Hier wird im ELC das Ziel verfolgt, passende Mitarbeitende zu gewinnen und sich als attraktive Arbeitgebende zu positionieren. Dabei sollen auch die Förderung von Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion im Bewerbungsprozess hervorgehoben werden.18 Ferner können Gesundheitsangebote für entsprechende Zielgruppen (z.B. ergonomische Arbeitsplätze, gesundheitliche Check-ups bei Schichtarbeit), das Label als «Gesunde Arbeitgebende», z.B. «Friendly Workspace» und flexible Arbeitszeitmodelle hervorgehoben werden.

Einarbeitung/ Einführung Mitarbeitende (Onboarding)

Neue Mitarbeitende, Teammitglieder sollen sich schnell in der Organisation wohlfühlen und in die Unternehmenskultur einfinden.19 Die Förderung der sozialen Beziehungen und wertschätzende Unternehmens- und Teamkultur sind auch im Bereich des BGM zentral, wenn es um die Zufriedenheit und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz geht. Neue und zukünftige Mitarbeitende können frühzeitig für die Gesundheitsförderung und Inklusion am Arbeitsplatz sensibilisiert und motiviert werden, diese partizipativ mitzugestalten.

Bindung der Mitarbeitenden (Retention)

Indem Arbeitgebende die Entwicklung ihrer Mitarbeitenden fördern, verbessern sie die Mitarbeitendenzufriedenheit und -loyalität und deren Engagement und können sie langfristig binden. Dabei werden die Hebel an der Führungsqualität, Teamkultur, dem Gesundheit- und Ressourcenmanagement und einer dynamische Lernkultur angesetzt, wie es auch das BGM vorsieht. In diesem Kontext spielt auch die Förderung von Diversität und ein integratives Arbeitsumfeld, mit Wertschätzung und Unterstützung für alle Mitarbeitenden, mit hinein.20 Konkrete BGM-Massnahmen sind z.B. die Implementierung von Anerkennungssystemen, regelmässige Mitarbeitendenbefragungen zum Wohlbefinden und zur Gesundheit.

Diese beispielhaften Ansätze bieten neben einem guten Image für soziale Organisationen auch einen Wettbewerbsvorteil in bei der Gewinnung von Mitarbeitenden in der Sozialen Arbeit. Gesunde und zufriedene Mitarbeitende zahlen sich langfristig aus. Sie tragen zur Verringerung von Fluktuation oder Absenzen bei, und fühlen sich durch ihre Zufriedenheit bei der Arbeit stärker an die Organisation gebunden. Die Qualität der Sozialen Arbeit hängt somit nicht nur von den strukturellen Rahmenbedingungen, sondern in hohem Masse auch von dem Wohlbefinden und der Zufriedenheit der Fachpersonen ab. Zufriedene Sozialarbeitende, Sozialpädagog*innen sind motivierter, empathischer oder resilienter und das wirkt sich auch positiv auf die Beziehung zwischen Klientinnen und Sozialarbeitenden aus.

Interview: Von der Theorie in die Praxis

Wie können BGM-Massnahmen konkret umgesetzt werden, und welche Hürden stellen sich in der Praxis? Im Gespräch mit Sozialinfo berichtet Monika Dörflinger, HR-Verantwortliche bei Pro Infirmis, über die Umsetzung in ihrem Betrieb. Sie zeigt zudem auf, wo auch kleinere und mittlere Betriebe, denen weniger Ressourcen zur Verfügung stehen, am wirkungsvollsten ansetzen können.

Portrait von Monika Dörflinger

Monika Dörflinger

Leiterin HR und IT

Pro Infirmis

Sozialinfo/Martin Heiniger: Monika, einer Studie zufolge leiden 25% der Sozialarbeitenden häufig an emotionaler oder körperlicher Erschöpfung. Wie nehmt ihr das wahr?

Monika Dörflinger: Wir hören oft von unseren Mitarbeitenden, dass sie die Arbeit als teilweise sehr belastend erleben und mit Krankheiten darauf reagieren. Von unseren Krankentaggeld- und Unfallversicherern wissen wir, dass es im Sozialbereich mehr Langzeitabwesenheiten und Krankheitsausfälle gibt als in Branchen wie etwa der Industrie.

Was tut ihr konkret bei Pro Infirmis, um Ausfälle zu reduzieren oder verhindern?

Wir verfolgen Ansätze auf verschiedenen Ebenen. Je länger eine Absenz dauert, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrt. Vor ca. drei Jahren haben wir deshalb für Langzeitfälle ein systematisches Case Management eingeführt. Ausserdem schulen wir unsere Führungskräfte und vermitteln ihnen, dass es wichtig ist, mit den erkrankten oder verunfallten Mitarbeitenden im Gespräch zu bleiben, um sie nach einem Ausfall gut zu reintegrieren.

Nebst diesen Massnahmen im Bereich des Absenzenmanagements betreiben wir aktiv Prävention. Wir unterstützen etwa unsere Mitarbeitenden mit Supervision und internen fachbezogenen Schulungsangeboten im Umgang mit schwierigen Situationen. Zusätzlich zu diesen fachlichen Angeboten haben wir in unserem internen Weiterbildungsprogramm einen Teil für individuelle gesundheitsbezogene Themen reserviert.

Seit einigen Jahren haben wir zudem einen Vertrag mit einer externen betrieblichen Sozialberatung. Damit haben die Mitarbeitenden zusätzlich eine externe Anlaufstelle, die sie kostenlos nutzen können, wenn sie private oder berufliche Sorgen haben. Das Angebot wird zunehmend genutzt.

Für die Führungskräfte haben wir zusammen mit unserem Krankentaggeldversicherer eine Schulung zum Thema «Gesund führen» entwickelt. Diese ist verbindlich und hat zum Ziel, sie im Sinne von Selbstfürsorge als Führungskraft zu stärken und dafür zu sensibilisieren, was sie zu ihrer eigenen Gesundheit und der ihrer Mitarbeitenden beitragen können. Dabei geht es uns darum, dass Führungskräfte lernen, gut hinzuschauen und Probleme rechtzeitig präventiv anzusprechen.

Ist betriebliche Gesundheitsförderung bei Pro Infirmis primär ethisch motiviert, oder gibt es auch betriebswirtschaftliche Überlegungen?

Da kommt es sicher darauf an, wen du fragst. In der Privatwirtschaft habe ich die Erfahrung gemacht, dass Gesundheitsförderung oft erst gemacht wird, wenn die Versicherungen einen ungünstigen Schadensverlauf melden und die Prämien durch die Decke gehen. Bei der Pro Infirmis gab es jedoch keine alarmierenden Zahlen, als man vor ca. 8 bis 10 Jahren mit Gesundheitsförderung angefangen hat, sondern man hat das primär aus einem menschenfreundlichen Antrieb gemacht. Heute versuche ich, aus einer HR-Perspektive beides zu machen. Einerseits haben wir eine Fürsorgepflicht für unsere Mitarbeitenden, die wir ernst nehmen, und die auch aus Sicht der Arbeitgeberattraktivität wichtig ist. Andererseits gibt es aber ganz klar auch eine betriebswirtschaftliche Komponente, wenn wir gewisse Fälle früh genug erkennen und präventiv bearbeiten können.

« Es lohnt sich, in das Thema zu investieren und Führungskräfte wie auch Mitarbeitende für diese Themen zu sensibilisieren. »

Portrait von Monika Dörflinger

Monika Dörflinger

Christina Meyer zufolge ist für die Nachhaltigkeit wichtig, dass verhaltensbezogene individuelle Massnahmen und Angebote in der Gesamtstrategie integriert sind und die Verantwortung nicht an die Mitarbeitenden delegiert wird. Wie handhabt ihr das?

Wir sind jetzt zurzeit an der Planung der nächsten Strategieperiode von 2026-2030 und möchten dort als strategisches Ziel verankern, eine noch inklusivere Arbeitgeberin zu werden. Das zwingt uns, Gesundheitsthemen nochmals aus einem anderen Blickwinkel anzuschauen und zu überlegen, wie wir diesbezüglich auch den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen möglichst gerecht werden können.

Ganz wichtig ist auch, dass wir als Geschäftsleitung gesundheitsförderliches Verhalten vorleben. Das fängt mit einfachen Dingen an, wie etwa am Wochenende oder in den Ferien nicht ständig erreichbar zu sein, oder auch nicht krank zur Arbeit zu kommen. Es braucht das Bewusstsein, dass sich die Mitarbeitenden an den Führungskräften orientieren.

Welche Hürden erlebst du bei der Umsetzung von BGM-Massnahmen?

Im Alltag, besonders wenn Ressourcen knapp sind, hat Gesundheitsförderung bei Führungspersonen oft keine hohe Priorität. Eines unserer Ziele ist deshalb, dass wir uns über unser betriebliches Gesundheitsmanagement verständigen und eine gemeinsame Haltung dazu entwickeln. Das ist auch der Grund, weshalb etwa die Kurse für Führungspersonen obligatorisch sind. Erfahrungsgemäss gehen sonst vor allem diejenigen an die Kurse, die es eigentlich gar nicht brauchen, weil sie das Bewusstsein für die Thematik schon haben.

Welchen Hindernissen begegnest du sonst noch?

Ich reagiere immer etwas allergisch auf Massnahmenvorschläge wie Fruchtkörbe oder «Bike to work». Das kann man sich als flankierende Massnahme gerne überlegen. Aber grundsätzlich ist Gesundheitsförderung hauptsächlich eine Frage von Haltungen wie etwa der Wertschätzung gegenüber Mitarbeitenden. Dazu gehört auch, zu thematisieren, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Führungskräfte haben manchmal die Tendenz, zu lange nett zu sein und deshalb Probleme nicht früh genug anzusprechen. Wenn man versucht, Konflikte unter dem Deckel zu halten, kann es sein, dass Mitarbeitende plötzlich krank werden oder ein mutmasslicher Mobbing-Fall entsteht. Deshalb ist es wichtig, den Mitarbeitenden zu signalisieren, dass man hinschaut und sich nicht vor konfrontativeren Gesprächen scheut. Die Kultur, kritische Dinge offen anzusprechen, ist wichtig. Das hilft im Gegenzug auch Mitarbeitenden, etwa wenn es darum geht, Einschränkungen, die vielleicht nicht sichtbar sind, anzusprechen. Dazu müssen sie sich sicher fühlen.

Pro Infirmis ist eine grosse Organisation. Wie schätzt du die Situation für mittlere und kleine Organisationen ein, die keine spezialisierte HR-Abteilung haben?

HR ist in kleineren Organisationen meist mit den Finanzen gekoppelt. Da besteht die Gefahr, dass das Thema Gesundheitsförderung zu kurz kommt, weil einerseits das Fachwissen fehlt und andererseits der Fokus ein anderer ist. Oft beschränken sich die Verantwortlichen dann darauf, Absenzen zu managen und vernachlässigen die präventive Seite. Kleinere Organisationen lösen auch häufig relativ schnell ein Arbeitsverhältnis auf, wenn die Sperrfrist abgelaufen ist, weil sie es sich einfach nicht leisten können, Leute noch lange zu behalten, wenn sie ausfallen.

Welche präventiven Massnahmen würden sich für kleinere Organisationen mit wenig Ressourcen aus deiner Sicht am ehesten lohnen?

Sehr hilfreich ist es einerseits, eine externe Stelle anzubieten, wo die Mitarbeitenden Unterstützung bei Sorgen und Problemen erhalten. Das ist nicht sehr kostspielig und hat einen grossen Nutzen. Und das zweite ist, Führungskräfte dafür zu sensibilisieren, dass es Teil ihrer Aufgaben ist, sich um gesundheitsrelevante Themen zu kümmern. Zu solchen Themen bieten etwa das Seco oder auch Krankheitsversichernde ihren Geschäftskund*innen Tools und Unterstützung an. Und vielleicht kann es auch hilfreich und spannend sein, mal einen Kurs zu Gesundheitsthemen für Führungspersonen und Mitarbeitende zu organisieren. Zusammenfassend kann man sagen, es lohnt sich, in das Thema zu investieren und Führungskräfte wie auch Mitarbeitende für diese Themen zu sensibilisieren. Jeder Ausfall ist einer zu viel und wird relativ schnell teuer. Und in Zeiten von Fachkräftemangel und geänderten Anforderungen an das Arbeitsleben ist es umso wichtiger, den Mitarbeiter*innen, die man hat, Sorge zu tragen und zu schauen, dass sie gesund bleiben und ihren Beitrag leisten können.

CAS Gesundheitsförderung und BGM in Organisationen

Autor*in

Portrait von Christina Meyer

Christina Meyer

Dozentin und Projektleiterin im Kompetenzzentrum Prävention und Gesundheit (PuG)

HSLU, Institut für Sozialpädagogik und Sozialpolitik