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Hinterlassenenleistungen aus der AHV – was man für die Sozialberatung wissen muss

22.05.2025 - 8 Min. Lesezeit

Sozialhilfe
Peter Mösch Payo

Peter Mösch Payot

Co-Präsident und verantwortlicher Experte Rechtsberatung | Hochschule Luzern HSLU

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Durch den Tod eines Familienmitglieds kann bei Klient*innen der Sozialberatung ein Anspruch auf Hinterlassenenleistungen entstehen. Unser Sozialrechtsexperte Peter Mösch erläutert, unter welchen Voraussetzungen verwitwete Personen, aber auch Waisen und Pflegekinder Leistungen aus der AHV zugute haben, und welche Reformen in den nächsten Jahren geplant sind.

Ein Todesfall in der Familie kann für Adressat*innen der Sozialberatung und ihr Umfeld eine Vielzahl von rechtlichen Fragen auslösen. Es müssen ehegüterrechtliche und erbrechtliche Fragen geklärt, Verträge aufgelöst und der Nachlass geregelt werden. In den Sozialversicherungen geht es um Hinterlassenenleistungen und ev. um Ergänzungsleistungen für die Hinterlassenen.

Nachfolgend werden die Anspruchsberechtigung, die weiteren Voraussetzungen und die Grundsätze der Bemessung der Leistungen der Hinterlassenenleistungen der ersten Säule, also der AHV, dargestellt. Die wichtigsten «Take aways» werden als konkrete Tipps für die Sozialberatung zusammengefasst. Abschliessend werden die aktuellen Reformvorschläge zur Anpassung der Hinterlassenenleistungen der AHV erläutert.

In einer demnächst folgenden Fortsetzung werden vergleichend die Hinterlassenenrenten der beruflichen Vorsorge und der Unfallversicherung dargestellt und Koordinationsfragen der diversen Leistungen erläutert werden.

Anspruchsberechtigung und Bemessung der Hinterlassenenleistungen aus der AHV

Generelle Anspruchsberechtigung

Gegenüber der AHV als erste Säule kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch bestehen für

  • verheiratete oder geschiedene Witwen,
  • verheiratete Witwer und
  • Waisen unter 18 oder in Ausbildung bis 25.

Eine notwendige Voraussetzung ist, dass die verstorbene Person in der AHV versichert war. Diese ist erfüllt, wenn die verstorbene Person entweder während eines ganzen Jahres Beiträge bezahlt hat, Anrecht auf Erziehungs- oder Betreuungsgutschriften hat, oder versichert war und ihr*e Ehepartner*in mindestens ein Jahr lang das Doppelte des Mindestbetrages einbezahlt hat.

Der Anspruch besteht gleichermassen für Schweizer*innen, Ausländer*innen und Staatenlose, wenn ein zivilrechtlicher Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 14 ATSG) in der Schweiz besteht. Internationale Abkommen können einen Anspruch auch bei Wohnsitz im Ausland erlauben, namentlich bei einer Schweizer Staatsangehörigkeit der verstorbenen Person oder derjenigen eines Landes aus der EU-/EFTA oder aus einem Staat, mit dem die Schweiz ein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat.1

Spezifische Voraussetzungen

Aus der AHV haben die diversen Berechtigten unter folgenden Voraussetzungen einen Anspruch:2

Eine verheiratete Witwe hat einen Anspruch, wenn

  • sie ein Kind hat, das zum Zeitpunkt der Verwitwung minderjährig oder volljährig ist. Dies gilt auch dann, wenn zwischen dem Kind und dem verstorbenen Ehemann kein Kindesverhältnis besteht. Ist die Witwe zum Zeitpunkt des Todes des Ehemannes schwanger, ist die Voraussetzung erfüllt, sofern das Kind danach lebend geboren wird. Wird das Kind innert 300 Tagen seit dem Tod des Ehemannes geboren, besteht dabei ein Anspruch auf eine Witwenrente, ohne dass die Schwangerschaft im Todeszeitpunkt bewiesen werden muss.3
  • sie zum Zeitpunkt des Todes ihres Ehepartners das 45. Lebensjahr vollendet hat und mindestens fünf Jahre lang verheiratet war. Wenn sie mehrmals verheiratet war, wird die Gesamtdauer der verschiedenen Ehen berücksichtigt.4

Eine geschiedene Witwe hat einen Anspruch, wenn

  • sie ein minderjähriges oder volljähriges Kind hat und die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat, oder
  • sie bei der Scheidung mindestens 45 Jahre alt waren und sie mindestens 10 Jahre mit dem verstorbenen Mann verheiratet war, oder
  • sie zu dem Zeitpunkt, als das jüngste Kind 18 Jahre alt wurde, mindestens 45 Jahre alt war, oder
  • sie minderjährige Kinder hat. Der Anspruch besteht dann, bis das jüngste Kind das 18. Lebensjahr vollendet.

Der so bestehende Anspruch auf die Witwenrente erlischt bei einer Wiederverheiratung und kann bei einer Auflösung dieser Ehe innert 10 Jahren wieder aufleben.5

Ein verheirateter Witwer hat einen Anspruch, wenn

  • die Verwitwung nach dem 11. Oktober 2022 eingetreten ist und er ein minderjähriges und/oder volljähriges Kind zum Zeitpunkt der Verwitwung hat, oder
  • die Verwitwung vor dem 11. Oktober 2022 eingetreten ist und er ein Kind hat, das am 11. Oktober 2022 noch nicht 18 Jahre alt war.6

Der Anspruch verwitwete Männer mit Kindern, die älter sind als 18 Jahre, ergibt sich allerdings nicht aus dem Gesetzeswortlaut von Art. 24 AHVG.

Ein geschiedener Witwer hat einen Anspruch, wenn

  • er zum Zeitpunkt der Verwitwung ein minderjähriges oder volljähriges Kind hat und die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat, oder
  • er zu dem Zeitpunkt, als das jüngste Kind 18 Jahre alt wurde, mindestens 45 Jahre alt war, oder
  • er minderjährige Kinder hat. Der Anspruch besteht dann, bis das jüngste Kind das 18. Lebensjahr vollendet.

Diese Praxis beruht auf dem Bundesgerichtsentscheid 9C_334/2024 vom 16. Dezember 2024 zu Art. 24 und Art. 24a AHVG.

Der Anspruch auf eine Witwerrente erlischt durch Wiederverheiratung und kann bei einer Auflösung dieser Ehe innert 10 Jahren wieder aufleben.

Waisen haben einen Anspruch, wenn:

  • das Kind jünger ist als 18 Jahre.

Dass beim Tod eines Elternteils für Kinder eine Waisenrente gewährt wird, setzt grundsätzlich voraus, dass zum Zeitpunkt des Todes ein zivilrechtliches Kindesverhältnis bestand, also auch nach einer Adoption.

Ebenso liegt ein Kindesverhältnis vor, wenn das Kind innert 300 Tagen nach dem Tod des Vaters durch die Ehefrau lebend geboren wird. In diesem Fall besteht die Vermutung, dass der verstorbene Ehemann der Vater des Kindes ist.9

Wenn die Mutter zum Zeitpunkt der Geburt mit einer Frau verheiratet war und das Kind nach den Bestimmungen des Fortpflanzungsmedizingesetzes gezeugt wurde (Art. 255a Abs. 1 ZGB), gilt die Ehefrau der Mutter als anderer Elternteil. In diesen Fällen hat das Kind beim Tod der Ehefrau der Mutter ebenfalls Anspruch auf eine Waisenrente.

  • das Kind zwischen 18 und 25 Jahren alt ist und sich in Ausbildung befindet.

Ein Kind gilt als «in Ausbildung» und ist damit auch im Alter zwischen 18 und 25 Jahren zu einer Hinterlassenenrente berechtigt,

  • wenn es sich auf der Grundlage eines ordnungsgemässen, zumindest faktisch anerkannten Bildungsganges systematisch und zeitlich überwiegend auf einen Berufsabschluss vorbereitet,
  • wenn es sich eine Allgemeinausbildung erwirbt, die Grundlage bildet für den Erwerb verschiedener Berufe (wie etwa eine Matura oder ein Studium an einer Fachschule oder Hochschule),
  • wenn es ein Brückenangebot absolviert (etwa ein Motivationssemester der Arbeitslosenversicherung oder eine Vorlehre), oder
  • wenn es einen Au-pair- oder Sprachaufenthalt absolviert, bei welchem mindestens vier Stunden Sprachunterricht pro Woche vorgesehen ist.10

Kein Anspruch besteht mehr, wenn ein Kind ein durchschnittliches Erwerbseinkommen erzielt, das höher ist als die maximale volle Altersrente der AHV (derzeit CHF 2520/Monat).

Ebenso endet ein Anspruch, wenn das Kind seine Ausbildung beendet, unterbricht oder abbricht. Allerdings gelten unterrichtsfreie Zeiten und Ferien von längstens vier Monaten, Militär- oder Zivildienst von längstens fünf Monaten und gesundheits- oder schwangerschaftsbedingte Unterbrüche von längstens 12 Monaten nicht als Unterbrechung, wenn die Ausbildung danach unmittelbar fortgesetzt wird.11

Für Pflegekinder besteht zudem ein Anspruch, wenn sie vom Verstorbenen unentgeltlich und dauernd aufgenommen worden sind. Dafür muss ein Kind zur Pflege und Erziehung aufgenommen sein, etwa auch in Stiefkindverhältnissen. Eine Unentgeltlichkeit des Pflegeelternverhältnisses wird angenommen, wenn die für das Kind von dritter Seite erbrachten Leistungen (z.B. Unterhaltsbeiträge der Eltern oder von Verwandten, Alimentenbevorschussung, Kostgelder, Sozialversicherungsrenten, private Versicherungsleistungen etc.) weniger als einen Viertel der tatsächlichen Unterhaltskosten decken.12

Ein Anspruch besteht unter den genannten Altersvoraussetzungen ebenso für Findelkinder, also für Kinder, deren Herkunft unbekannt ist.13

Bemessung der Leistungen und Koordination mit anderen Leistungen aus der AHV

Bei voller Beitragsdauer14 betragen die ordentlichen Witwen- und Witwerrenten je nach Durchschnittseinkommen der verstorbenen Person15 mindestens CHF 1008.-/ Monat und höchstens CHF 2016.-/ Monat, bzw. die Waisenrente mindestens CHF 504.–/Monat und höchstens CHF 1008.–/Monat.

Beim Tode beider Eltern besteht Anspruch auf zwei Waisenrenten, je eine pro verstorbenen Elternteil.

Werden für das gleiche Kind zwei Waisenrenten oder eine Waisenrente und eine Kinderrente ausgerichtet, dürfen die beiden Renten zusammen den Betrag von 1512 Franken nicht übersteigen.16

Werden gleichzeitig die Voraussetzungen für eine Hinterlassenenrente und für eine Alters- oder Invalidenrente erfüllt, wird nur die höhere Rente ausgerichtet.17

Wichtig für die Sozialberatung

Zu beachten ist im Besonderen:

  • Witwen- und Witwerrenten der AHV können unter gewissen Voraussetzungen auch geschiedenen Hinterlassenen gewährt werden.
  • Bei Waisenrenten für 18- 25jährige sind die besonderen Ausbildungsvoraussetzungen zu beachten. Zu beachten ist dies etwa bei Au-pair-Aufenthalten oder bei Unterbrüchen von Ausbildung und Studium.
  • Waisenrenten werden unter bestimmten Voraussetzungen auch für Pflegekinder gewährt, ebenso für Findelkinder.
  • Witwen- und Waisenrenten werden bei unvollständigen Beitragsjahren der verstorbenen Person gekürzt. Deswegen ist zu prüfen, ob für die letzten fünf Jahre vor dem Tod Beitragslücken bestehen. Diese können noch seitens oder im Auftrag der Erben nachbezahlt werden.
  • Hinterlassenenleistungen werden eventuell auch aus der Pensionskasse nach BVG oder, bei einem Todesfalldurch einen Unfall, aus der Unfallversicherung nach UVG gewährt. Die detaillierten Ansprüche der Hinterlassenenleistungen nach BVG oder UVG weichen etwas ab. Details dazu sowie die Regeln zur Koordination (Verhinderung der Überentschädigung) findest du in einem Folgeartikel zu Hinterlassenenleistungen nach BVG und UVG, der demnächst erscheint.
  • Mit Hinterlassenenleistungen können auch Ergänzungsleistungen beantragt werden. Dabei ist besonders auch die Meldefrist von sechs Monaten nach Erhalt der Verfügung der EL zu beachten. Dann können die Leistungen ab Beginn des Anspruchs auf Hinterlassenenleistungen gewährt werden.

Reformvorschläge zu Anpassung der Hinterlassenenleistungen aus dem AHV-Gesetz

Das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) von 202218 hat die Ungleichbehandlung von Witwern und Witwen mit Kindern als EMRK-widrig festgestellt. Seither gelten Übergangsbestimmungen auf der Basis von Verwaltungsweisungen, welche verheiratete und geschiedene Witwer mit Kindern den Witwen bei den Anspruchsvoraussetzungen gleichstellen.

Ausgelöst durch das Urteil hat der Bundesrat, bzw. die Bundesverwaltung einen Vorschlag für eine Gesetzesreform ausgearbeitet, welche die Witwer- und Witwenrenten angleichen und darüber hinaus auch die Hinterlassenenrenten anpassen soll. Für die Gesetzesreform wurde das Vernehmlassungsverfahren bereits abgeschlossen und es liegt ein Gesetzesentwurf mit einer bundesrätlichen Botschaft vor, die das Parlament im Verlaufe der nächsten Monate beraten wird.19

Grundsätzlich sollen die Hinterlassenenrenten unabhängig vom Zivilstand der Eltern gewährt, aber auf die Betreuungs- und Erziehungszeit beschränkt werden. Ebenso soll die Reform Einsparungen bringen.

Im Einzelnen sieht der Vorschlag Folgendes vor:20

  • Hinterlassenenleistungen sollen auf Haushalte mit Kindern beschränkt werden, unabhängig vom Zivilstand der Eltern.
  • Hinterbliebene sollen Renten nach einem Todesfall grundsätzlich nur noch erhalten, solange sie unterhaltsberechtigte Kinder haben. Konkret sollen Hinterlassenenrenten nur noch für Eltern bis zum vollendeten 25. Altersjahr des jüngsten Kindes gewährt werden, unabhängig von Zivilstand und Geschlecht. Eine Ausrichtung über das vollendete 25. Altersjahr hinaus ist für Eltern geplant, die ein erwachsenes Kind mit Behinderung betreuen und dafür Anspruch auf Betreuungsgutschriften der AHV haben.
  • Hinterbliebene, die zum Zeitpunkt des Todes Kinder über 25 Jahre oder bereits verstorbene Kinder haben, sollen nur noch eine zweijährige Übergangsrente bei Verwitwung erhalten. Das gilt für verheiratete Paare sowie für geschiedene Personen, die von der verstorbenen Person einen Unterhaltsbeitrag erhielten.
  • Personen ohne Kinder sollen nur noch bei einer Armutsgefährdung bestimme Leistungen erhalten. Konkret soll eine rentenlose Ergänzungsleistung möglich werden, wenn Witwen und Witwer im Todesfall das 58. Altersjahr vollendet und keine unterhaltsberechtigten Kinder mehr haben. Darüber hinaus aber sollen für Hinterlassene (insbesondere für Witwen) ohne Kinder keine lebenslangen Renten der AHV mehr gewährt werden.
  • Als Übergangsbestimmung ist vorgesehen, dass die laufenden Renten für Witwen und Witwer, die bei Inkrafttreten das 55. Altersjahr vollendet haben, beibehalten werden. Hingegen sollen die Renten für Personen unter 55 Jahren innerhalb von zwei Jahren ab Inkrafttreten der Änderung aufgehoben werden, wenn sie keine unterhaltsberechtigten Kinder mehr haben. Das betrifft vor allem kinderlose Witwen, die nach geltendem Recht einen Anspruch auf Hinterlassenenrenten haben. Im Weiteren sollen laufende Renten für Witwen und Witwer, die bei Inkrafttreten das 50. Altersjahr vollendet haben und Ergänzungsleistungen zur AHV und IV beziehen, beibehalten werden.

In der Reform sollen auch Hinterlassenenrenten im UVG von Witwern und Witwern angeglichen werden. Nicht notwendig wäre hingegen eine Änderung in der beruflichen Vorsorge, da in diesem Bereich keine Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen besteht. Die Reform würde geplante Einsparungen in der Höhe von ca. CHF 350 Mio. bringen.

Es ist damit zu rechnen, dass die Reform im Parlament heftig diskutiert wird. Die Diskussion dürfte spannend sein, weil sich an ihr gesellschaftliche Vorstellungen von Familien, Geschlechterrollen und die Anerkennung der entsprechenden Vielfalt zeigen. Die Reform brächte einen Wegfall des Schutzes von Frauen bzw. Hinterlassenen, die in einem Ehemodell leben, in dem sie kinderlos die Hausarbeit übernehmen bzw. früher die Hausarbeit und Kinderbetreuung übernommen hatten.

Autor*in

Peter Mösch Payo

Peter Mösch Payot

Co-Präsident und verantwortlicher Experte Rechtsberatung

Hochschule Luzern HSLU

Dozent und Projektleiter Institut für Sozialarbeit und Recht – Kompetenzzentrum Soziale Sicherung Hochschule Luzern
Selbständige Tätigkeiten: Rechts- und Organisationsberatungen, Workshops