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Entwicklungen bei der IV – Was man für die Sozialberatung wissen muss

30.10.2025 - 6 Min. Lesezeit

Peter Mösch Payo

Peter Mösch Payot

Fachverantwortlicher Rechtsberatung; Verantwortlicher Experte Sozialversicherungsrecht, Datenschutz, Persönlichkeitsschutz und Haftung | Sozialinfo

Beraterin sitzt einer jungen Frau gegenüber.

Ansprüche gegenüber der IV gehören in der Sozialberatung zu den zentralen Themen. Der Beitrag zeigt auf, welche gesetzlichen Anpassungen für die Invalidenversicherung derzeit in Vorbereitung sind. Im Weiteren werden wesentliche Tipps für die Sozialberatung zusammengetragen. Diese sind, unabhängig von den laufenden Reformen, für die Praxis von besonderer Bedeutung.

Geplante Gesetzesänderungen im Bereich der Invalidenversicherung

Im Bereich der Invalidenversicherung und der Inklusion von Menschen mit Behinderungen sind aktuell mehrere gewichtige Gesetzesänderungsprojekte gleichzeitig in Vorbereitung. Die wesentlichen, bereits weit fortgeschrittenen Revisionsprojekte werden hier dargestellt. Dabei geht es um folgende Themen:

  • eine generelle Revision der IV zur finanziellen Stabilisierung und zur Reduktion der Neurenten,
  • verschiedene Motionen zu Änderungen der Gesetzgebung, die im Parlament überwiesen wurden,
  • Vorschläge des Bundesrates zu Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit der Inklusionsinitiative1,
  • Gesetzesänderungen im Bereich der Auftragsvergabe für medizinische Gutachten als Beweismittel, die für das IV-Verfahren von Bedeutung sind.

Generelle Revision der Invalidenversicherung

Der Bundesrat hat kurz vor den Sommerferien 2025 die Grundzüge einer nächsten Revision des Invalidenversicherungsgesetzes festgelegt. Der genaue Inhalt der Gesetzesrevision wird voraussichtlich im Frühjahr 2026 bekannt werden. Nach der folgenden Vernehmlassung wird dann ein Gesetzesentwurf für die parlamentarische Beratung vorbereitet. Soweit absehbar, wird die politische Diskussion im Parlament 2026 und 2027 stattfinden.

Die geplante IV-Revision hat zwei Zielsetzungen, die bereits heute erkennbar sind. So soll die Zunahme von Neurenten, wie sie sich die letzten Jahre gezeigt hat, gebremst werden. Das betrifft insbesondere Jugendliche mit schweren psychischen Beeinträchtigungen. Im Weiteren werden eine Zusatzfinanzierung und eine Entschuldung der Invalidenversicherung geprüft.

Für die Sozialberatung wird vor allem interessant sein, welche Anpassungen vorgeschlagen werden, um Neuberentungen für Jugendliche zu beschränken und deren berufliche Eingliederung zu fördern.

Mit der letzten Revision «Weiterentwicklung der IV» wurden bereits per 2021 diverse Massnahmen eingeführt, um die Eingliederung Jugendlicher zu fördern und den Anstieg der IV-Neurenten bei Jugendlichen abzubremsen. Namentlich wurde die Beratung und Begleitung junger Versicherter im Übergang von der Volksschule zur ersten beruflichen Ausbildung verstärkt. Im Weiteren wurde der Zugang zu Integrationsmassnahmen (Art. 14a IVG) zur Vorbereitung beruflicher Massnahmen erleichtert. Schliesslich wurde das Regime der Taggelder während erstmaligen beruflichen Massnahmen (Art. 16 IVG) neu gestaltet (Art. 24ter IVG).

Nach Einschätzung des Bundesrates müssen diese bereits eingeführten Neuerungen, insbesondere in den Bereichen Ausbildung und Fallbegleitung oder bei der Zusammenarbeit zwischen den Akteur*innen, verbessert werden.

Diskutiert wird ausserdem die Einführung von zusätzlichen Integrationsleistungen, die speziell auf Jugendliche ausgerichtet sind. Diese sollen eine verstärkte individuelle Unterstützung vorsehen und gleichzeitig eine zu rasche Rentenzusprache vermeiden.  Als mögliche Massnahme wird für junge Erwachsene offenbar auch in Erwägung gezogen, den frühestmöglichen Termin für einen Rentenbezug aufzuschieben und stattdessen neu eine tiefere, alternative Entschädigung zu gewähren.2

Motionen zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderungen

Das Parlament hat über die letzten Monate zusätzlich einzelne Gesetzgebungsaufträge als Motionen überwiesen. Sie verpflichten den Bundesrat, entsprechende Gesetzgebungsvorschläge vorzulegen. Wahrscheinlich werden die Motionen in die vorgenannte grössere IV-Revision Eingang finden. Den Anliegen ist gemeinsam, dass sie die Eingliederung und die Situation von Versicherten verbessern und erleichtern wollen. Die wichtigsten überwiesenen Motionen sind die Folgenden:

  • Am 6.6.2023 wurde die Motion 22.3888 (SGK-N)3 überwiesen. Sie verlangt eine Gesetzesänderung, welche, anders als nach der heutigen Verwaltungspraxis, für Kinder mit Behinderungen einen Anspruch auf eine ungekürzte Hilflosenentschädigung (HE) gewährt, wenn sie in einem Heim übernachten und die Kosten für diesen Aufenthalt von ihren Eltern und nicht von der öffentlichen Hand bezahlt werden.
  • Am 5.3.2024 wurde die Motion 21.4089 (Christian Lohr)4 überwiesen. Sie verlangt, dass zukünftig nicht nur Versicherte, sondern auch Arbeitgebende Anpassungen am Arbeitsplatz als Massnahme zur Eingliederung beantragen können.
  • Am 18.9.2025 wurde die Motion 24.4618 (Benjamin Roduit)5 durch den Zweitrat an den Bundesrat überwiesen. Diese sieht vor, dass bei IV-Rentner*innen, die während einer versuchsweisen Wiedereingliederung Übergangsleistungen erhalten (Art. 32-34 IVG), während drei Jahren keine automatische Rentenüberprüfung erfolgt. Dadurch soll das Risiko reduziert werden, dass Betroffene bei einem Scheitern der Wiedereingliederung die IV-Rente verlieren.
  • Am 18.9.2025 wurde die Motion 23.3808 (Patricia von Falkenstein)6 überwiesen. Sie verlangt Massnahmen zur Beschleunigung des IV-Verfahrens und die Prüfung der Einführung eines Wartezeittaggeldes für die Zeit zwischen dem Abschluss von beruflichen Eingliederungsmassnahmen und dem IV- Rentenentscheid. Das soll vermeiden, dass Betroffene in dieser Zeit auf Sozialhilfe angewiesen sind.

Bereits beschlossen ist eine Verbesserung bei den medizinischen Massnahmen. Die intensive Frühintervention bei frühkindlichem Autismus soll nach einer nun auslaufenden Pilotphase weiter über die Invalidenversicherung finanziert werden können. Die entsprechende Verordnung war bis Mitte Oktober 2025 in der Vernehmlassung. Die Gesetzesänderung dürfte demnächst in Kraft treten.7

Vorschläge für die IV als Gegenvorschlag zur Inklusionsinitiative

Am 5. September 2024 wurde die Volksinitiative «Für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Inklusions-Initiative)» eingereicht. Sie verlangt auf Verfassungsstufe die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne Behinderungen in allen Lebensbereichen. Die Initiative will im Rahmen der Verhältnismässigkeit einen Anspruch auf die dafür erforderlichen Unterstützungs- und Anpassungsmassnahmen schaffen, insbesondere auf personelle und technische Assistenz. Menschen mit Behinderungen sollen das explizite Recht erhalten, ihre Wohnform und den Ort, an dem sie wohnen, frei zu wählen. Sie sollen dafür im Rahmen der Verhältnismässigkeit Anspruch auf die dafür erforderlichen Unterstützungs- und Anpassungsmassnahmen erhalten.

Der Bundesrat schlägt die Ablehnung der Initiative vor, hat aber einen Gesetzesentwurf als indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet. Darin sind zwei Gesetzesprojekte enthalten, die seit dem 25. Juni 2025 im Vernehmlassungsverfahren sind. Neben einem Inklusionsrahmengesetz, welches insbesondere die Selbstbestimmung im Bereich des Wohnens verbessern soll, werden auch Anpassungen der Invalidenversicherung in den Bereichen Hilfsmittel und Assistenzbeitrag vorgesehen.8

Gemäss dem Gegenvorschlag soll der Zugang zu technisch modernen Hilfsmitteln wie Prothesen vereinfacht werden. Zudem soll die IV mehr Einfluss auf die Bestimmung und Prüfung der Preise solcher Hilfsmittel erhalten, um so dank tieferer Preise eine breitere Palette von modernen Hilfsmitteln zur Verfügung stellen zu können. Im Weiteren soll der Zugang zum Assistenzbeitrag für Personen mit eingeschränkter Handlungsfähigkeit vereinfacht werden. Zudem sollen, dank einfacherer IV-Unterstützungsleistungen, Pilotversuche zur Förderung des selbstbestimmten Lebens möglich werden.9

Die Volksinitiative und die genannten Gesetzesprojekte, auch für den Bereich der IV, werden im nächsten Schritt im Parlament diskutiert. Danach ist eine Volksabstimmung zur Inklusionsinitiative vorgesehen.

Vorgeschlagene Gesetzesänderungen im Bereich der Gutachten in der Invalidenversicherung

Zur Abklärung von individuellen Gesundheitsschäden und ihren Folgen stützt sich die Invalidenversicherung auf medizinische Gutachten. Daher sind sie von zentraler Bedeutung für allfällige Leistungen der Invalidenversicherung, vor allem für Rentenentscheide. Mit der IV-Revision 2022 wurden in diesem Bereich bereits einige Gesetzesänderungen vorgenommen, zumal das Gutachtenwesen und die Qualität der Gutachten immer wieder in der Kritik standen und stehen.10

a.) Gestützt auf eine parlamentarische Initiative liegt seit August 2025 ein Gesetzesentwurf der nationalrätlichen Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-N) für eine weitere Änderung vor.

Dabei geht es um die Frage, wer bei monodisziplinären medizinischen Gutachten darüber entscheidet, wer das Gutachten erstellt. Nach geltendem Recht bezeichnet die IV-Stelle eine sachverständige Person, um ein monodisziplinäres Gutachten zu erstellen.11 Ist die versicherte Person mit dieser Wahl nicht einverstanden, kann sie eine andere sachverständige Person vorschlagen. Die IV-Stelle hat in diesem Fall einen Einigungsversuch zu unternehmen (vgl. Art. 7j ATSV i.V.m. Art. 44 ATSG) und kann ansonsten die sachverständige Person von sich aus bestimmen. Das war gemäss Zahlen des BSV im Jahre 2024 nur in 12 von 3802 Fällen notwendig.

Der Gesetzesentwurf der SGK-N sieht nun im Wesentlichen vor, dass in Fällen, wo keine Einigung über die Wahl erzielt wird, die Gutachten durch die beiden vorgeschlagenen Sachverständigen gemeinsam erstellt werden, die je von den beiden Seiten vorgeschlagen wurden.12

Der Bundesrat lehnt mit einem Bericht vom 15.10.2025 die Revision ab. Im Parlament wird demnächst darüber beraten.

b.) Eine weitere Gesetzesänderung, die auf einer von beiden Räten überwiesenen Motion beruht, betrifft Folgendes: Versicherten, deren negativer IV-Entscheid auf ein medizinisches Gutachten einer Gutachtenstelle gestützt wurde, mit welchen die Zusammenarbeit aufgrund einer Empfehlung der Eidgenössischen Kommission für Qualitätssicherung in der medizinischen Begutachtung (EKQMB) zwischenzeitlich eingestellt worden ist, soll die Neuanmeldung/Revision erleichtert werden. Zudem sollen Leistungen rückwirkend gewährt werden können, wenn eine Neubeurteilung zu einem anderen Schluss kommt, als das ursprüngliche Gutachten. Eine Vorlage des Bundesrates an das Parlament ist derzeit in Vorbereitung.13

In einer Stellungnahme zum erstgenannten Gesetzesrevisionsprojekt hat der Bundesrat angekündigt, für das Ziel der Mitwirkung der Versicherten und der Qualitätssicherung der medizinischen Beurteilungen weitere Massnahmen zu prüfen und mit der nächsten generellen IV-Revision vorzuschlagen.

Was bleibt wichtig für die Sozialberatung?

Unabhängig von der genannten Rechtsentwicklung bleibt es für ein erfolgreiches und gesetzlich korrektes Ergebnis der Verfahren in der Invalidenversicherung zentral, dass Gesuchsteller*innen von Beginn des IV-Verfahrens weg sehr gut informiert und begleitet werden.

Hintergrund und Bezugspunkte der Information, der Beratung und Begleitung sind

  • die hohe Bedeutung der medizinischen Abklärungen: Berichte zur Diagnose und Behandlung sind wichtig, um die Möglichkeiten und Grenzen zu belegen, im Arbeitsmarkt oder im Haushalt tätig zu sein. Entsprechende Informationen müssen, wo möglich, ins IV-Verfahren eingebracht werden.
  • die vielfältigen Mitwirkungspflichten und den strengen Verpflichtungen zur Eingliederung: Dabei geht es insbesondere darum, Verletzungen von Selbsteingliederungs-, Minderungs- und Mitwirkungspflichten zu vermeiden, sowie gesundheitliche Gründe einzubringen und zu belegen, wenn diese Pflichten nicht erfüllbar sind.

Sozialberatende haben je nach konkretem Auftrag folgende Aufgaben:

  • Klient*innen über die komplexen Voraussetzungen und Bemessungsgrundlagen der Leistungen der Invalidenversicherung informieren.
  • Klient*innen über ihre Pflichten zur Mitwirkung bei den medizinischen Abklärungen und zur Eingliederung und Behandlung informieren.
  • Klient*innen soweit möglich dabei unterstützen, die Verpflichtungen für alle zumutbaren Eingliederungsmassnahmen und medizinischen Behandlungen einzuhalten.
  • Klient*innen dabei unterstützen, dass sie während der eventuell langwierigen IV-Verfahren ihren Lebensbedarf decken können, soweit ein Anspruch besteht; sei es über Leistungen Arbeitgebender, der Krankentaggeldversicherung, der Arbeitslosenversicherung, über IV-Taggelder oder über die Sozialhilfe.
  • Klient*innen dabei unterstützen, dass Auflagen und Anforderungen zur Behandlung und Eingliederung geeignet und medizinisch zumutbar sind. Wo dies nicht der Fall ist, ist dies möglichst zeitnah – und wo nötig fachärztlich untermauert - ins Verfahren einzubringen, ev. auch in Vertretung der Klientinnen.
  • Klient*innen dabei unterstützen, dass die Gründe für nicht mögliche Behandlungen, bzw. für erfolglose Massnahmen seitens der IV korrekt interpretiert werden. Namentlich geht es darum, medizinische Gründe für fehlendes Mitwirken, fehlendes Wahrnehmen von medizinischen Behandlungen oder Scheitern von Massnahmen, die aktenkundig sind, entsprechend (fach)ärztlich zu belegen.
  • Klient*innen bei Bedarf und je nach eigenen Möglichkeiten der Sozialberatung juristische Beratung vermitteln, auch schon während der IV-Verfahren.
  • Vorbescheide und Verfügungen zu IV-Leistungen grundlegend auf ihre Korrektheit überprüfen. Bei Unklarheiten ist juristische Unterstützung zu vermitteln, besonders mit Blick auf Vor- und Nachteile einer Anfechtung. Dabei sind die Fristen zu beachten.

Autor*in

Peter Mösch Payo

Peter Mösch Payot

Fachverantwortlicher Rechtsberatung; Verantwortlicher Experte Sozialversicherungsrecht, Datenschutz, Persönlichkeitsschutz und Haftung

Sozialinfo

Dozent und Projektleiter Institut für Sozialarbeit und Recht – Kompetenzzentrum Soziale Sicherung Hochschule Luzern HSLU

Rechts- und Organisationberatungen, Workshops