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Sterbehilfe hinter Gittern

Oktober 2020

Bei der Frage nach selbstbestimmtem Sterben im Gefängnis müssen Grundrechte und situative Gegebenheiten sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Ein Grundlagenpapier des Schweizerischen Kompetenzzentrums für den Justizvollzug (SKJV) bietet betroffenen Behörden eine Orientierungshilfe.

Suizidhilfe im Gefängnis - ein neueres Bedürfnis

Vor rund zwei Jahren äusserte ein älterer verwahrter Sexualstraftäter in einer Fernsehsendung seinen Wunsch zu sterben. Dieser Fall gab den Anstoss zu einer Diskussion über die Selbstbestimmungsrechte von Menschen im Freiheitsentzug. Soll die Gesellschaft Gefangenen ein Recht auf Sterbehilfe bzw. assistierten Suizid zugestehen? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Alterung wirkt sich auch im Strafvollzug aus

Behörden und Forschende beobachten schon länger, dass sich die gesellschaftliche Alterung im Strafvollzug nicht nur abbildet, sondern sogar überproportional bemerkbar macht. Nicht zuletzt liegt das auch an einer restriktiveren Verwahrungspraxis, die zu einer steigenden Zahl Verwahrter geführt hat. In diesem Kontext stellen sich Fragen nach dem Sterben im Freiheitsentzug mit zunehmender Dringlichkeit. Die Vollzugsbehörden setzen sich erst seit kürzerer Zeit näher damit auseinander, was das für Vollzugsanstalten, Einrichtungen und Personal bedeutet (siehe Beiträge unter "Alter und Sterben im Strafvollzug").

Zu den Hintergründen dieses Themas gehört, dass sich die altersmässige Zusammensetzung der Strafgefangenen in den letzten Jahren verändert hat. Gefängnisse sind grundsätzlich auf jüngere Straftäter*innen ausgelegt. Nun sind sie damit konfrontiert, dass ihre Insass*innen immer älter werden und ein zunehmender Anteil über 60 Jahre alt ist. Dies wirft etliche Fragen auf, etwa Bezug auf Pflegemöglichkeiten, oder eben auf ein würdiges Sterben (siehe Kasten). Dazu gehört auch die Frage des assistierten Suizids.

Kantone im Grundsatz einig

Aufgrund des erwähnten Falles hat sich die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) des Themas Sterbehilfe angenommen. KKJPD-Präsident Urs Hofmann äusserte gegenüber SRF, die „Kantone seien zum Konsens gekommen, den assistierten Suizid im Freiheitsentzug zu ermöglichen.“ Dies entspreche dem „Grundsatz, dass die Freiheit der Gefangenen nicht weiter eingeschränkt werden soll, als dies aufgrund des Strafvollzuges notwendig ist.“

Bei der Umsetzung gibt es jedoch Klärungsbedarf. Erster und wohl heikelster Punkt ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen Strafgefangene überhaupt ein Recht auf Suizid bzw. auf Suizidhilfe in Anspruch nehmen dürfen. Obwohl sie sich im Grundsatz einig sind, gibt es zwischen den Kantonen in Bezug auf diese Frage unterschiedliche Haltungen. Muss jemand todkrank sein oder soll auch eine psychische Erkrankung schon ein hinreichender Grund sein? Und inwieweit soll etwa toleriert werden, dass Straftäter*innen durch Suizid ihrer Strafe entgehen können?

Legalität der Sterbehilfe

Unter dem Begriff „Sterbehilfe“ werden verschiedene Sachverhalte subsumiert. Nicht alle sind legal. So ist etwa direkte aktive Sterbehilfe strafbar. Suizidhilfe – auch „assistierter Suizid“ -  ist unter bestimmten Umständen erlaubt. Einen Überblick zum Thema bietet das Bundesamt für Justiz.

SKJV bietet Orientierung

Um solche Fragen zu klären, hat das SKJV nun eine Orientierungshilfe sowie ein Grundlagenpapier veröffentlicht, das die Vollzugsbehörden bei der Klärung dieser Frage unterstützen soll. Für Thomas Noll und Thierry Urwyler, Mitverfasser des Grundlagenpapiers, ist klar: Es ist „irrelevant, ob der Gefangene wegen Haftmüdigkeit, schwerer körperlicher Erkrankung oder sonstiger Gründe sterben möchte. Jede andere Position kommt einer Entmündigung der inhaftierten Personen gleich. Die grundsätzliche Zulässigkeit heisst aber nicht, dass alle Inhaftierten zu jedem Zeitpunkt dieses Recht anrufen können.“ Vielmehr müsse die Zulassung an strikte Verfahrensbedingungen geknüpft werden und die Urteilsfähigkeit der inhaftierten Person in jedem Einzelfall genau geprüft werden.

NZZ Online

«Die Angst, dass ich im Sarg hier herauskomme, ist da» – ein verwahrter Sexualstraftäter erzählt aus seiner Welt

143 Personen sind in der Schweiz ordentlich verwahrt. Einzelne, wie der Vierfachmörder von Rupperswil, sind der Öffentlichkeit bekannt. Doch meist handelt es sich um Delinquenten, die nicht für Schlagzeilen gesorgt haben. S. ist einer von ihnen. Ob er je wieder auf freien Fuss kommt, weiss er nicht.

Alterung wirkt sich auch in Strafvollzug aus

Behörden und Forschende beobachten schon länger, dass sich die gesellschaftliche Alterung im Strafvollzug nicht nur abbildet, sondern sogar überproportional bemerkbar macht. Nicht zuletzt ist dafür auch das gestiegene gesellschaftliche Sicherheitsbedürfnis verantwortlich, das zu einer immer restriktiveren Verwahrungspraxis und damit zu einer steigenden Zahl Verwahrter geführt hat (https://www.sozialinfo.ch/fachwissen/dossiers/kleine-verwahrung-bei-gefaehrlichen-straftaetern.html). In diesem Kontext stellen sich Fragen nach dem Sterben im Freiheitsentzug mit zunehmender Dringlichkeit. Die Vollzugsbehörden setzen sich erst seit kürzerer Zeit näher damit auseinander, was das für Vollzugsanstalten, Einrichtungen und Personal bedeutet

Lebensende im Justizvollzug

Gefangene, Anstalten, Behörden

Menschen im Freiheitsentzug können nicht frei bestimmen, wie und wo sie sterben. Die Thematik des würdevollen Sterbens im Justizvollzug erfordert daher spezielle Aufmerksamkeit. Auf der Grundlage eines Forschungsprojekts stellt das Buch die Perspektiven der verschiedenen Beteiligten dar: Erfahrungen, Fragen, Bedürfnisse, Befürchtungen und Visionen von Gefangenen, Mitarbeitenden und Behörden werden anhand von Material aus Interviews und Beobachtungen anschaulich dargestellt. Die verschiedenen Etappen bis zum Lebensende und zum Tod werden aufgezeigt und aus der Sicht der Forschenden kommentiert.


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