Assistierter Suizid im Straf- und Massnahmenvollzug
Die erarbeitete Orientierungshilfe enthält die zentralen Grundsätze zur Beurteilung von Anträgen für einen assistierten Suizid im Freiheitsentzug, welche schweizweit Anerkennung finden.
Bei der Frage nach selbstbestimmtem Sterben im Gefängnis müssen Grundrechte und situative Gegebenheiten sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Ein Grundlagenpapier des Schweizerischen Kompetenzzentrums für den Justizvollzug (SKJV) bietet betroffenen Behörden eine Orientierungshilfe.
Vor rund zwei Jahren äusserte ein älterer verwahrter Sexualstraftäter in einer Fernsehsendung seinen Wunsch zu sterben. Dieser Fall gab den Anstoss zu einer Diskussion über die Selbstbestimmungsrechte von Menschen im Freiheitsentzug. Soll die Gesellschaft Gefangenen ein Recht auf Sterbehilfe bzw. assistierten Suizid zugestehen? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen?
Behörden und Forschende beobachten schon länger, dass sich die gesellschaftliche Alterung im Strafvollzug nicht nur abbildet, sondern sogar überproportional bemerkbar macht. Nicht zuletzt liegt das auch an einer restriktiveren Verwahrungspraxis, die zu einer steigenden Zahl Verwahrter geführt hat. In diesem Kontext stellen sich Fragen nach dem Sterben im Freiheitsentzug mit zunehmender Dringlichkeit. Die Vollzugsbehörden setzen sich erst seit kürzerer Zeit näher damit auseinander, was das für Vollzugsanstalten, Einrichtungen und Personal bedeutet (siehe Beiträge unter "Alter und Sterben im Strafvollzug").
Zu den Hintergründen dieses Themas gehört, dass sich die altersmässige Zusammensetzung der Strafgefangenen in den letzten Jahren verändert hat. Gefängnisse sind grundsätzlich auf jüngere Straftäter*innen ausgelegt. Nun sind sie damit konfrontiert, dass ihre Insass*innen immer älter werden und ein zunehmender Anteil über 60 Jahre alt ist. Dies wirft etliche Fragen auf, etwa Bezug auf Pflegemöglichkeiten, oder eben auf ein würdiges Sterben (siehe Kasten). Dazu gehört auch die Frage des assistierten Suizids.
Aufgrund des erwähnten Falles hat sich die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) des Themas Sterbehilfe angenommen. KKJPD-Präsident Urs Hofmann äusserte gegenüber SRF, die „Kantone seien zum Konsens gekommen, den assistierten Suizid im Freiheitsentzug zu ermöglichen.“ Dies entspreche dem „Grundsatz, dass die Freiheit der Gefangenen nicht weiter eingeschränkt werden soll, als dies aufgrund des Strafvollzuges notwendig ist.“
Bei der Umsetzung gibt es jedoch Klärungsbedarf. Erster und wohl heikelster Punkt ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen Strafgefangene überhaupt ein Recht auf Suizid bzw. auf Suizidhilfe in Anspruch nehmen dürfen. Obwohl sie sich im Grundsatz einig sind, gibt es zwischen den Kantonen in Bezug auf diese Frage unterschiedliche Haltungen. Muss jemand todkrank sein oder soll auch eine psychische Erkrankung schon ein hinreichender Grund sein? Und inwieweit soll etwa toleriert werden, dass Straftäter*innen durch Suizid ihrer Strafe entgehen können?
Unter dem Begriff „Sterbehilfe“ werden verschiedene Sachverhalte subsumiert. Nicht alle sind legal. So ist etwa direkte aktive Sterbehilfe strafbar. Suizidhilfe – auch „assistierter Suizid“ - ist unter bestimmten Umständen erlaubt. Einen Überblick zum Thema bietet das Bundesamt für Justiz.
Um solche Fragen zu klären, hat das SKJV nun eine Orientierungshilfe sowie ein Grundlagenpapier veröffentlicht, das die Vollzugsbehörden bei der Klärung dieser Frage unterstützen soll. Für Thomas Noll und Thierry Urwyler, Mitverfasser des Grundlagenpapiers, ist klar: Es ist „irrelevant, ob der Gefangene wegen Haftmüdigkeit, schwerer körperlicher Erkrankung oder sonstiger Gründe sterben möchte. Jede andere Position kommt einer Entmündigung der inhaftierten Personen gleich. Die grundsätzliche Zulässigkeit heisst aber nicht, dass alle Inhaftierten zu jedem Zeitpunkt dieses Recht anrufen können.“ Vielmehr müsse die Zulassung an strikte Verfahrensbedingungen geknüpft werden und die Urteilsfähigkeit der inhaftierten Person in jedem Einzelfall genau geprüft werden.
Die erarbeitete Orientierungshilfe enthält die zentralen Grundsätze zur Beurteilung von Anträgen für einen assistierten Suizid im Freiheitsentzug, welche schweizweit Anerkennung finden.
Expertise zuhanden des Schweizerischen Kompetenzzentrums für den Justizvollzug
So mannigfaltig wie der Tod das Leben ausserhalb der Mauern einer geschlossenen Institution been-den kann, so verschieden tritt er auch im Straf- oder Massnahmenvollzug auf. Ein gewichtiger Unter-schied besteht allerdings darin, dass er sich innerhalb des Straf- oder Massnahmenvollzugs in einem ganz besonderen Umfeld ereignet: Nämlich dort, wo der Staat aufgrund einer strafgerichtlichen Ver-fügung repressiv gegenüber der betroffenen Person auftritt, wobei die Strafe bzw. Massnahme den im Gesetz normierten Gründen dienen muss.
Grundsätzlich sollten auch Gefangene das Recht auf selbstbestimmtes Sterben haben. Ein vollständiges Verbot wäre verfassungswidrig. Eine behördliche «Orientierungshilfe» für assistierten Suizid bei Gefangenen liegt nun vor.
Schwerkranke Gefangene sollen Sterbehilfe in Anspruch nehmen können. Das haben die Justizdirektorinnen- und -direktoren entschieden. Bei den Details sind sie sich aber noch uneinig.
Die Zahl der Personen, die im Verlaufe des Strafvollzuges sterben, steigt – doch die Gefängnisse sind schlecht auf den Umgang mit dem Tod vorbereitet.
Die immer höhere Anzahl älterer Gefängnisinsassen wird zwangsläufig zu mehr Todesfällen im Strafvollzug führen. Eine Studie zeigt nun aber auf, dass die Vollzugsbehörden in der Schweiz schlecht darauf vorbereitet sind.
143 Personen sind in der Schweiz ordentlich verwahrt. Einzelne, wie der Vierfachmörder von Rupperswil, sind der Öffentlichkeit bekannt. Doch meist handelt es sich um Delinquenten, die nicht für Schlagzeilen gesorgt haben. S. ist einer von ihnen. Ob er je wieder auf freien Fuss kommt, weiss er nicht.
Behörden und Forschende beobachten schon länger, dass sich die gesellschaftliche Alterung im Strafvollzug nicht nur abbildet, sondern sogar überproportional bemerkbar macht. Nicht zuletzt ist dafür auch das gestiegene gesellschaftliche Sicherheitsbedürfnis verantwortlich, das zu einer immer restriktiveren Verwahrungspraxis und damit zu einer steigenden Zahl Verwahrter geführt hat (https://www.sozialinfo.ch/fachwissen/dossiers/kleine-verwahrung-bei-gefaehrlichen-straftaetern.html). In diesem Kontext stellen sich Fragen nach dem Sterben im Freiheitsentzug mit zunehmender Dringlichkeit. Die Vollzugsbehörden setzen sich erst seit kürzerer Zeit näher damit auseinander, was das für Vollzugsanstalten, Einrichtungen und Personal bedeutet
Informationen zum Straf- und Massnahmenvollzug
Die immer höhere Anzahl älterer Gefängnisinsassen wird zwangsläufig zu mehr Todesfällen im Strafvollzug führen. Eine Studie zeigt nun aber auf, dass die Vollzugsbehörden in der Schweiz schlecht darauf vorbereitet sind.
In der Schweiz wurden Gefängnisse für Straftäter im Alter von 20 bis 30 Jahren eingerichtet, die nach der Verbüssung ihrer Strafe freigelassen werden. Aber die Zahl der älteren Menschen steigt: 2017 gab es 828 Häftlinge über 50 Jahren. Allerdings verfügen die Gefängnisse nicht über die notwendige Infrastruktur.
Gefangene, Anstalten, Behörden
Menschen im Freiheitsentzug können nicht frei bestimmen, wie und wo sie sterben. Die Thematik des würdevollen Sterbens im Justizvollzug erfordert daher spezielle Aufmerksamkeit. Auf der Grundlage eines Forschungsprojekts stellt das Buch die Perspektiven der verschiedenen Beteiligten dar: Erfahrungen, Fragen, Bedürfnisse, Befürchtungen und Visionen von Gefangenen, Mitarbeitenden und Behörden werden anhand von Material aus Interviews und Beobachtungen anschaulich dargestellt. Die verschiedenen Etappen bis zum Lebensende und zum Tod werden aufgezeigt und aus der Sicht der Forschenden kommentiert.