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Administrative Versorgung – Aufarbeitung abgeschlossen

Oktober 2019

Die Praxis der «administrativen Versorgung» ist ein dunkles Kapitel in der neueren Schweizer Geschichte, das nun umfangreich aufgearbeitet worden ist. Wie die Schweiz mit Menschen umgeht, die nicht der Norm entsprechen, bleibt aber weiterhin ein Thema.

Im letzten Jahrhundert, hauptsächlich zwischen 1930 und 1981 hat die Schweiz systematisch unliebsame Mitbürger*innen ohne gerichtliche Urteile aus der Gesellschaft entfernt und eingesperrt, oft für Jahre. Es waren Menschen, die gemäss den damals geltenden Normvorstellungen als zu auffällig und unangepasst wahrgenommen wurden. Stigmatisiert als liederlich oder arbeitsscheu, wurden sie in geschlossene Abteilungen von Anstalten und Gefängnissen eingesperrt, ohne Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Da es sich bei den Betroffenen oft um Menschen am Rand der Gesellschaft handelte, blieb diese entwürdigende und willkürliche Praxis der «administrativen Versorgung» lange Zeit unhinterfragt.

Die öffentliche Entschuldigung, die die damalige Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf zusammen mit Vertreter*innen der Kantone gegenüber den Opfern aussprach, war Ergebnis eines längeren Kampfes zumeist Betroffener um öffentliche Aufmerksamkeit für ihr Schicksal. In der Folge setzte der Bundesrat im Auftrag des Parlamentes 2014 die «Unabhängige Expertenkommission Administrative Versorgungen (UEK)» ein, um dieses Kapitel historisch aufzuarbeiten. Die UEK hat anfangs September nach fast fünf Jahren Arbeit ihre Ergebnisse in einer Reihe von Publikationen vorgelegt.

Aus heutiger Sicht ist klar, dass diesen Menschen grosses Unrecht getan wurde. Diese Massnahmen dienten der Sanktionierung und sozialen Kontrolle von Personen, die nicht der rigiden moralischen Wertvorstellungen dieser Zeit entsprachen. Die Betroffenen litten oder leiden zeitlebens unter diesen unwürdigen und traumatisierenden behördlichen Eingriffen. Das grosse Armutsrisiko, dem sie auch nach der Entlassung ausgesetzt waren, wirkte sich oft auch negativ auf ihre Nachkommen aus.

Und heute?

Diese Aufarbeitung ist zum einen Ausdruck einer erhöhten gesellschaftlichen Bereitschaft, sich mit schwierigen Themen der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Zum anderen hilft der Bericht aber auch dabei, das Bewusstsein von Recht und Unrecht weiter zu entwickeln, indem er aufzeigt, welche versteckten Motive und unklaren Rechtslagen solche willkürliche Praktiken ermöglicht haben.

Nebst der angestrebten Rehabilitation Betroffener ist dieser Prozess deshalb wichtig, um die Sensibilität gegenüber aktuellem Unrecht zu erhöhen und Weiteres in Zukunft zu verhindern. Die UEK hat deshalb entsprechende Empfehlungen formuliert.

Wie wichtig es ist, auch heute aufmerksam zu bleiben, zeigt ein aktuelles Beispiel aus dem Kanton Aargau: Aufgrund einer Verordnungsänderung können Behörden seit diesem Frühling Menschen gegen deren Willen und ohne gerichtliches Urteil in einem Heim unterbringen. Kritiker*innen befürchten einen Rückfall in Zeiten der Armenhäuser und administrativen Versorgungen. Die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS ruft deshalb zur Unterzeichnung einer Petition auf, die die Streichung dieses Artikels der Aargauischen Sozialhilfe- und Präventionsverordnung fordert.

 


Dokumentation

Der Schweizerische Bundesrat

Administrative Versorgungen: Die Rehabilitierung der betroffenen Personen steht erst am Anfang

Mit der Veröffentlichung der Synthese ihrer Forschungsergebnisse schliesst die Unabhängige Expertenkommission (UEK) ihre Arbeiten ab. Diese historische Aufarbeitung trägt zur Rehabilitierung der Personen bei, die in der Schweiz von administrativen Versorgungen betroffen waren. 

Republik

Administrative Versorgung: Es ist nicht zu Ende, es ist nie zu Ende

Wenn Leute ohne Urteil weggesperrt wurden, hiess das «administrative Versorgung». Dieses Kapitel Schweizer Geschichte ist nun aufgearbeitet. Wie die Gesellschaft mit Personen umgeht, die sie nicht in ihrer Mitte will, wird uns aber weiter beschäftigen. Ein Plädoyer gegen das Vergessen.

SF

Administrative Versorgung - «Die Schweiz hat viel getan, damit sich das nicht wiederholt»

Über Jahrzehnte wurden in der Schweiz Menschen, mit denen die Gesellschaft nichts anzufangen wusste, weggesperrt und mussten unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Mindestens 60'000 Menschen waren davon betroffen. Es handelte sich um Verdingkinder, aber auch um Menschen am Rande der Gesellschaft. Nun hat eine Expertenkommission den Geschichte aufgearbeitet. Was hat die Schweiz daraus gelernt und wer muss heute noch mit Zwangsmassnahmen rechnen?


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