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Wie Soziale Dienste den digitalen Wandel gestalten können

10.06.2021 - 3 Min. Lesezeit

Sozialhilfe

Regine Strub

Fachredaktion Sozialinfo

Die Digitalisierung Sozialer Dienste schreitet zwar voran. Häufig fehlt es jedoch an einer klaren Strategie und Konzeption, die fachliche Anforderungen der Sozialen Arbeit berücksichtigt. Ein Innosuisse-Projekt der HSLU will hier Abhilfe schaffen.

Ein Forschungsteam der Hochschule Luzern - Soziale Arbeit (HSLU) plant 2022 im Rahmen des Innosuisse Impulsprogramms ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt durchzuführen. Das interdisziplinäre Team will Soziale Dienste als Praxipartner*innen dabei unterstützen, die digitale Transformation voranzutreiben. Vor kurzem haben sie eine explorative Vorstudie abgeschlossen.  

Im nachfolgenden Interview gibt Silvia Domeniconi Pfister, Dozentin und Projektleiterin, Einblick in das geplante Vorhaben.

Sozialdienste gesucht!

In einer Vorstudie hat eine Forschungsgruppe der HSLU den digitalen Entwicklungsbedarf in Sozialdiensten erhoben und erste Visionen für eine fachgerechte digitale Transformation erarbeitet. Diesen Visionen soll nun im 2022 mit einem Innosuisse-Projekt weiter nachgegangen werden. Für Sozialdienste ist dies eine Chance, gemeinsam mit anderen die digitale Transformation anzugehen, denn es werden noch Praxispartner*innen gesucht. Idealerweise melden sich diese bis Ende Juni.

Interessierte finden den Bericht zum Vorprojekt und die Kontaktdaten auf der Website der HSLU.

«Projekt bietet die Chance, das Ganze neu zu denken»

Sozialinfo/Regine Strub: Was hat Sie dazu bewogen, den Stand der digitalen Transformation in Sozialen Diensten zu untersuchen?

Silvia Domeniconi: Ich habe selbst eine Weile als Sozialarbeiterin auf einem Sozialdienst gearbeitet. Und in meiner aktuellen Funktion habe ich unterschiedlichste Dienste kennengelernt. Dabei ist mir aufgefallen, dass der Entwicklungsbedarf in diesem Bereich gross ist. Verwaltungen und Sozialdienste hinken der digitalen Transformation oftmals in vielem hinterher. Auch ein Studierendenprojekt unserer Hochschule hat aufgezeigt, wie heterogen der Stand der Digitalisierung in der Praxis ist und dass ein grosser Bedarf besteht. Aus eigener Erfahrung weiss ich auch, dass die Sozialen Dienste oft wenig Ressourcen haben, um von sich aus die digitale Transformation gezielt mitzugestalten. Das hat mich dazu bewogen, die Sozialen Dienste mit Hilfe der Hochschule und im Rahmen eines Innosuisse-Projektes in diesem Bereich zu unterstützen.

Sie haben als Vorbereitung auf das Innosuisse-Projekt eine Voruntersuchung durchgeführt. Was war das Ziel?

Wir wollten zuerst wissen: wo stehen die Dienste und was sind ihre Anliegen? Es ist uns wichtig, dass wir die Sozialen Dienste dort abholen können, wo sie stehen. So können wir sicherstellen, dass die von uns gefundenen Lösungen auch anschlussfähig sind.

« Es ist von mir aus gesehen eine grosse Chance - gerade für kleinere Sozialdienste, die alleine nicht über genügend Ressourcen verfügen, um ein solches Projekt durchzuführen. »

Silvia Domeniconi Pfister

Wie muss man sich den digitalen Entwicklungsbedarf vorstellen, können Sie ein Beispiel nennen?

In der Sozialhilfe gibt es zum Beispiel das Abrechnungswesen mit den Krankenkassen. Die Sozialdienste sind immer noch mit Papier unterwegs, bezahlen die Rechnungen und verschicken alles per Post. Als Privatkund*in kann ich hingegen vielfach bereits heute per App mit meiner Krankenkasse kommunizieren. Ich habe mein eigenes Kund*innen-Konto, in dem ich einsehen kann, was ich bereits eingereicht habe und was bezahlt wurde. Ich kann den gesamten Prozess anschauen. Als Klient*in eines Sozialen Dienstes kann ich dies nicht. Ich kann höchstens einen Kontoauszug bestellen und dieser ist dann meistens auch noch schwierig zu verstehen. Aber auch in der Kommunikation mit anderen Behörden könnte man einiges tun, um Prozesse zu vereinfachen. Ich habe einmal für einen regionalen Dienst gearbeitet. Da wurden Abrechnungen, Anträge und Beschlüsse zwischen den Gemeinden und dem Sozialen Dienst per Post hin und hergeschickt. Da bin ich der Meinung, dass es inzwischen gute Möglichkeiten gäbe, um dies stark zu vereinfachen.  

Sie haben in Ihrer Vorstudie untersucht, wie sich die Sozialen Dienste selbst einschätzen. Das muss nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmen.

Das ist so. Wir haben anschliessend an die quantitative Untersuchung qualitative Fokusgruppen-Interviews durchgeführt. Einige Expert*innen haben uns darauf hingewiesen, dass die Selbsteinschätzung mit Vorsicht zu geniessen ist. Denn – so ihre Aussage – je mehr man über das Thema weiss, desto besser weiss man, was man nicht weiss. Das Wissen darüber, wohin sich die digitale Transformation hinbewegen könnte, ist zwar vorhanden, aber noch nicht sehr ausgeprägt.

« Die digitale Transformation kommt so oder so. Wenn man jedoch lediglich jeden einzelnen kleinen Arbeitsschritt digitalisiert, die Prozesse als Gesamtes aber nicht verändert, dann setzt dies keine Ressourcen frei. »

Silvia Domeniconi Pfister

Betrifft das Thema der digitalen Transformation hauptsächlich Leitungspersonen?

Nein. Uns ist es ein Anliegen, möglichst alle Betroffenen am Projekt zu beteiligen. Die Mitarbeitenden kennen die Prozesse und Arbeitsabläufe und können sagen, was für sie hilfreich wäre. Wir würden auch gerne die Anliegen der Klient*innen im Sinne einer Customer-Journey aufnehmen und für sie die Prozesse einfacher und transparenter gestalten. Tatsächlich ist es aber so, dass die digitale Transformation hauptsächlich als Leitungsthema gesehen wird.

Customer Journey

Der Begriff der Customer Journey kommt aus dem Marketing. Es geht dabei um die Erarbeitung einer ganzheitlichen, nutzerzentrierten (Online-)Marketing-Strategie.

Weitere Infos finden Sie zum Beispiel auf Wikipedia.

Was haben die Sozialen Dienste davon, wenn sie an diesem Innosuisse-Projekt teilnehmen?

Es ist von mir aus gesehen eine grosse Chance - gerade für kleinere Sozialdienste, die alleine nicht über genügend Ressourcen verfügen, um ein solches Projekt durchzuführen. Indem mehrere Organisationen mitmachen, können wir zusammen mit IT-Anbieter*innen und OE-Entwickler*innen an einem grossen Projekt arbeiten und wirklich etwas Neues entwerfen. Denn Innosuisse übernimmt 90 Prozent der Kosten für die Forschung und Entwicklung. Die Sozialen Dienste müssen lediglich 10 Prozent der Kosten und 40 Prozent der Arbeitszeit beisteuern. Einen Grossteil der Arbeit übernimmt die Hochschule.

Weshalb braucht es aus Ihrer Sicht dieses Projekt?

Die digitale Transformation kommt so oder so. Wenn man jedoch lediglich jeden einzelnen kleinen Arbeitsschritt digitalisiert, die Prozesse als Gesamtes aber nicht verändert, dann setzt dies keine Ressourcen frei. Das Projekt bietet die Chance, das Ganze neu zu denken und fachliche Überlegungen aus Sicht der Sozialen Arbeit zu berücksichtigen. Digitale Transformation meint eigentlich genau dies. Das würde ich mir wünschen.

Autor*in

Portrait von Christine Mühlebach

Christine Mühlebach

Knappe Ressourcen sind in sozialen Institutionen ein Dauerthema. Dies wird auch bei Digitalisierungsprojekten besonders deutlich. Fehlt es an Geld, Zeit oder Kompetenzen, können Rückstände nicht aufgeholt oder zukunftsorientierte Entwicklungen nicht in Angriff genommen werden.

Institutionsübergreifende Zusammenarbeitsformen können ein Weg sein, wie Organisationen trotz begrenzter Mittel ihre Digitalisierungs-Vorhaben in Angriff nehmen können. Unser aktueller Beitrag gibt Einblick in ein solches Kooperationsvorhaben, welches die Entwicklungsbedarfe von Sozialen Diensten in den Blick nimmt.

Suchen Sie nach Möglichkeiten sich zu vernetzen oder Kooperationspartner*innen zu finden? Ich stehe Ihnen gerne für einen Austausch und Anregungen zur Verfügung.