Wie gelingt es Organisationen im Sozialbereich, die Digitalisierung aktiv zu gestalten und ihre Potenziale zu nutzen? Mit dieser Frage wurde auch das Theresiahaus konfrontiert. Die Institution im Bereich der beruflichen Bildung von Menschen mit Beeinträchtigungen hat dazu ein umfassendes Digitalisierungsprojekt gestartet.
Um die Herausforderungen der digitalen Transformation proaktiv gestalten zu können, hat sich die Leitung des Theresiahauses dafür entschieden, einen umfassenden Organisationsentwicklungsprozess anzustossen. Digitalisierung wird dabei als ein Transformationsprozess verstanden, in welchem der Kulturwandel (Veränderung des Mindsets) aktiv angegangen, die Kompetenzen der Mitarbeitenden und Lernenden (Future Skills) erweitert und die nötigen Hard- und Software-Tools bereitgestellt werden.
Theresiahaus - Ausbildung und Wohnen
Das Theresiahaus bietet jungen Frauen und Männern mit Lernschwierigkeiten, kognitiven und Mehrfach-Beeinträchtigungen Ausbildungen in der Hauswirtschaft, Hotellerie und Gastronomie sowie im Betriebsunterhalt an.

Theresiahaus
Die vom Bundesamt für Sozialversicherungen und vom Kanton Solothurn anerkannte Ausbildungsstätte wird als Wocheninternat geführt. Schulabgänger*innen können im Hinblick auf die Lehre ein Berufsvorbereitungsjahr absolvieren.
Trägerschaft des Theresiahauses ist seit 2017 die gleichnamige Stiftung mit Sitz in Solothurn/Rüttenen. Bis dahin wurde die 1927 gegründete Einrichtung vom Verein Seraphisches Liebeswerk Solothurn geführt.
Die digitalen Potenziale sollen damit erkannt und künftig besser genutzt werden. Die Geschäftsleitung hat in einem ersten Schritt eine Landkarte zu möglichen Digitalisierungsvorhaben, insbesondere in Bezug auf den Kompetenzaufbau der Lernenden im Bereich der digitalen Hilfsmittel und der Strukturierung von Daten im Gesamtbetrieb, erstellt. Dabei wurden die Bedürfnisse, Ziele und Wünsche der verschiedenen Organisationseinheiten (Wohnbereich, Arbeits-/Ausbildungsbereich, zentrale Dienste wie Administration, IT usw.) einbezogen. Diese Landkarte bildete die Grundlage, um die digitale Transformation als Projekt anzugehen. Die Leitung formulierte einen Projektauftrag aus und setzte ein Projektteam ein. Im Projektteam sind alle Organisationseinheiten vertreten. Das Projektteam teilt sich insgesamt 50 Stellenprozente.
Eine Steuergruppe, welche mit Personen aus der operativen und der strategischen Ebene (Geschäftsleitung und Stiftungsrat) besetzt ist, steuert das Projekt. Bei der Erarbeitung des Projektauftrages wurde eine externe Fachperson beigezogen, welche seither im Projekt beratend mitarbeitet. Dies ermöglicht es, nebst der Fachexpertise, allfällige ‘blinde Flecken’ zu erkennen.
Überblick verschaffen mittels Masterplan
Um ein Bild davon zu erhalten, wohin der Prozess der digitalen Transformation führen könnte, hat das Projektteam einen Masterplan erarbeitet. Orientiert hat es sich am St. Galler-Management-Modell und unterschied zwischen Führungs-, Kern- und Unterstützungsprozessen. Die einzelnen Transformationsvorhaben wurden, in die verschiedenen Prozessebenen unterteilt, auf einem Zeitstrahl dargestellt. Die Priorisierung erfolgte aufgrund der folgenden Kriterien:
- Fokus auf die Kernprozesse (keine Digitalisierung um der Digitalisierung willen)
- Orientierung an zur Verfügung stehenden finanziellen und personellen Ressourcen
- Fokus auf Vorhaben, auf welchen weitere Vorhaben aufgebaut werden können

Masterplan digitale Transformation | Theresiahaus
Mitarbeitende durch Befragung einbeziehen
Das Theresiahaus versteht digitale Transformation als tiefgreifenden Change- und Organisationsentwicklungsprozess. Es ist daher von grosser Bedeutung, alle Mitarbeitenden in den Prozess miteinzubeziehen. Mit einer Befragung, wir nannten sie Pulsmessung, erhoben wir, wie die Mitarbeitenden grundsätzlich zur Digitalisierung stehen und wo sie die Chancen und Risiken sehen.
Die Mitarbeitenden stimmten mehrheitlich der Aussage zu, dass es für die erfolgreiche Zukunft des Theresiahaus unabdingbar ist, sich agil in der sich schnell verändernden digitalen Welt zu bewegen. Ein Grossteil der Mitarbeitenden stand der Digitalisierung positiv gegenüber. Einige fühlten sich durch die Digitalisierung gestresst. Sie befürchteten, dass sich die Digitalisierung negativ auf die Zusammenarbeit mit der Klientel und innerhalb der Organisation auswirken würde. Eine Minderheit der Mitarbeitenden befürchtete eine negative Auswirkung auf die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes. Die Ergebnisse der Pulsmessung wurden den Mitarbeitenden bei einem Treffen kommuniziert. Dort wurde insbesondere auf die geäusserten Befürchtungen eingegangen und mitgeteilt, wie diese im weiteren Projektverlauf berücksichtigt werden.
Die Erkenntnisse aus der Pulsmessung wurden als Leitsätze für die weitere Projektarbeit formuliert.
Leitsätze
- Digitale Transformation gestaltet administrative Prozesse einfacher und effizienter.
- Effizientere Abläufe generieren zeitliche Ressourcen für zwischenmenschliche Interaktionen im Arbeitsalltag und halten die Qualität der Arbeit damit hoch. Sie sollen keine personellen Einsparungen zur Folge haben.
- Die zeitlichen Ressourcen der Mitarbeitenden sind uns wichtig und sind ein wichtiger Baustein einer gelingenden Digitalisierung.
- Wir halten den Wert der Interaktion zwischen Mitarbeitenden und zwischen Lernenden und Mitarbeitenden hoch. Die Digitalisierung ersetzt diesen Aspekt nicht.
Branchen-Software evaluieren
Schnell war klar, dass es eine hohe Priorität hat, den Mitarbeitenden eine passende Branchen-Software zur Verfügung zu stellen. Abklärungen bei ähnlich gelagerten Referenzbetrieben aus der Branche ergaben, dass drei mögliche Softwareanbieter in Frage kommen.
Branchensoftware
Unter Branchensoftware versteht man Softwareprodukte für die betriebliche Datenverarbeitung, die in speziellen Branchen eingesetzt werden. Die Branchensoftware im vorliegenden Beispiel muss somit die spezifischen Begebenheiten und Prozesse einer Organisation der Sozialpädagogik und beruflichen Integration möglichst exakt abbilden können. (Quelle)
Anhand fiktiver Lernender (Klient*innen-Persona) entstand der Anforderungskatalog, welcher den Softwareanbietenden zugestellt wurde. Diese unterbreiteten uns ihre Offerten und liessen uns einen ersten Einblick in ihre Programme nehmen. Besuche bei den Referenzbetrieben ermöglichten uns, die Anwenderseiten der verschiedenen Softwares kennenzulernen. Dazu diente ein standardisierter Fragebogen, der eine seriöse Bewertung der drei Varianten ermöglichte, sodass sich die favorisierte Softwarelösung herauskristallisierte. Die Einführungsphase war auf fünf Monate geplant und wurde um weitere sieben Monate verlängert.
Während der Konfigurierungsphase der Klient*innensoftware stellte sich heraus, dass das Projekt nicht wie geplant abgeschlossen und in einen Geschäftsprozess überführt werden konnte. Die Evaluation der Software wie auch deren Einführung erwiesen sich als zeitaufwändig. Das Projekt wurde um ein weiteres Jahr verlängert.
Hardware für Lernende bereitstellen
Die Lernenden mit der nötigen Hardware auszustatten, war eine weitere Vorgabe aus dem Projektauftrag. Auch dazu evaluierte das Projektteam den Bedarf und stellte die beiden Varianten «Bring your own device» und «Kauf durch Betrieb» einander gegenüber. Folgende Argumente führten dazu, dass die Hardware durch die Stiftung Theresiahaus beschafft, finanziert und supportet wird:
- Hardware, Software und Sicherheitsfilter sind einheitlich
- Gleichberechtigung unter den Lernenden und einheitliche Arbeitsmöglichkeiten
- Support ist klar geregelt
Das Theresiahaus stellt den Lernenden die angeschaffte Hardware während ihrer Ausbildung leihweise zur Verfügung. Der Nutzungsvertrag regelt den Umgang mit dem Gerät, die Handhabung eines allfälligen Schadens sowie die Erhebung des Depots. Im Rahmen der informatischen Bildung werden Anwendungsthemen und der Inhalt des Nutzungsvertrages vermittelt. In der Folge werden die Einsatzmöglichkeiten unserer Hardware im Ausbildungsalltag schrittweise ausgebaut – vor allem im Hinblick auf digitale Inklusion junger Menschen in der Arbeitswelt. So werden z.B. Arbeitsabläufe nach und nach digital zur Verfügung stehen.
Das Digitalisierungsprojekt wird per 2025 in den Geschäftsprozess integriert. Die Projektgruppe beschäftigt sich aktuell mit dieser Integration.
Digitalisierungsprojekt: Das können wir empfehlen
- Genügend Zeit zur Verfügung stellen
- Breit abgestützte Projektgruppe mit allen wichtigen Stakeholdern innerhalb des Betriebes
- Externe Projektbegleitung beiziehen
- Mitarbeitende einbeziehen: Puls messen zu Beginn des Projektes
- Nach dem Projekt eine Fachstelle mit Fachmitarbeitenden aus den Organisationsbereichen gründen
- Mitarbeitende mit breiterem Wissen als Super-User einsetzen
Interessiert, mehr zu erfahren? Für Austausch und bei Fragen stehen wir gerne zur Verfügung.
Autor*innen

Armin Eberli
Mitglied Stiftungsrat
Theresiahaus, Solothurn
Ausbildung
Sozialpädagoge HF, Erwachsenenbilder, MAS Leadership und Changemanagement
Kontakt

Sandra Pfister
Geschäftsleitung; Bereichsleitung Ausbildung/Stv. Institutionsleitung, Projektleitung Digitrans
Theresiahaus, Solothurn
Ausbildung
Kaufmännische Angestellte, Hauswirtschaftliche Betriebsleiterin HHF, Erwachsenenbildnerin
Kontakt

Christine Mühlebach
Diskutieren Sie in Ihrer Organisation, wie Sie die Digitalisierung oder digitale Transformation angehen sollen? Und haben Sie dabei festgestellt, dass man den Hebel an vielen unterschiedlichen Orten ansetzen könnte? Dann geht es Ihnen gleich wie vielen anderen Organisationen. In der Vielfalt der digitalen Entwicklungspotenziale die Orientierung zu behalten und sich zwischen Abteilungen oder Hierarchiestufen hinweg über Ausrichtung und Priorität zu verständigen, ist keine einfache Aufgabe.
Von Erfahrungen anderer zu lernen, wie wir im Sozialbereich die Digitalisierung mitgestalten können, ist ein wichtiger Punkt. Anhand eines Praxisbeispiels erhalten Sie in unserem aktuellen Fokusartikel Einblick in die Vorgehensweise und die konkreten Vorhaben in einem digitalen Transformationsprozess einer sozialen Organisation.
Christine Mühlebach,
Produktmanagement Digitalisierung