Hasserfüllte und menschenfeindliche Botschaften im digitalen Raum sind eine Gefahr für die Demokratie. Nebst anderen Akteuren kommt auch der Sozialen Arbeit die Rolle zu, sich «Hate Speech» entgegenzustellen und für ihre Grundwerte wie Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit auch online einzutreten.
Im Juli dieses Jahres erschütterte der Suizid der österreichische Ärztin Dr. Kellermayr die Öffentlichkeit. Die Ärztin hatte sich im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zunehmend auf der Social Media Plattform Twitter geäussert und über die Krankheit aufgeklärt. In den darauffolgenden Monaten wurde sie auf Grund ihres Engagements immer expliziter bedroht, erhielt Schilderungen von Amokläufen in ihrer Praxis, Folter und Mord. Sie suchte Hilfe bei diversen Stellen und Institutionen, auch bei der örtlichen Polizei. Diese riet ihr, sich im Internet nicht mehr zu exponieren und unterstellte ihr, durch ihre mediale Präsenz vor allem ihr eigenes berufliches Fortkommen fördern zu wollen. Dr. Kellermayr gab nach eigenen Angaben mindestens 100`000 Euro für den Schutz ihrer Praxis und sich selbst aus. Schliesslich musste sie ihre Praxis schliessen, da sie diese finanziellen Belastungen nicht mehr tragen konnte. Kurz darauf beging sie in ihrer Verzweiflung Suizid.
Dadurch gelangte Hate Speech, gemeint sind damit hasserfüllte und menschenfeindliche Botschaften im digitalen Raum, kurzzeitig in den Fokus der Öffentlichkeit. Bereits wenige Wochen nach dieser tragischen Tat ist das Interesse am Hass im Netz aber schon wieder abgeflaut.
Das Thema ist aber keineswegs ein Neues und fordert die Gesellschaft zunehmend heraus. Dabei geht es um eine Kernfrage der Demokratie, nämlich die Frage danach, wer sich öffentlich äussern und an Diskursen beteiligen darf.
Orchestrierter Hass gegen unliebsame Meinungen
Öffentliche digitale Räume wie Twitter, Facebook, YouTube oder TikTok werden tagtäglich von einer überwältigenden Mehrheit der Menschen genutzt. Sie prägen nachweislich den öffentlichen Diskurs und haben Einfluss auf politische Entscheide. Extremist*innen haben diesen Fakt früh erkannt und betreiben bereits seit Jahren einen grossen Aufwand, um diese öffentlichen Räume zu besetzen. Sie versuchen, ihre Weltsicht möglichst weit zu verbreiten und den Anschein zu erwecken, dass ihre Positionen und Thesen von der Mehrheit der Menschen akzeptiert werden, um dadurch immer mehr in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen.
Orchestrierte Hasskampagnen gegen Personen sind dabei ein beliebtes Mittel, um unbequemen Wiederspruch verstummen zu lassen. Bekannt ist beispielsweise ein Leitfaden der Neuen Rechten, der Hilfestellungen gibt, mit welchen Botschaften bestimmte Personengruppen besonders effektiv aus dem Netz vertrieben werden können. Jüngere Frauen sollen etwa durch sexualisierte Gewalt oder Drohungen gegen ihre Familie gezielt eingeschüchtert werden.
Gefahr für die Demokratie und gesamtgesellschaftliche Herausforderung
Hate Speech ist als bewusster Versuch einzustufen, die Meinungspluralität durch digitale, verbale Gewalt zu unterdrücken. Das führt dazu, dass Menschen sich aus Angst aus digitalen Räumen zurückziehen und nicht mehr an Diskussionen partizipieren. Dadurch sollen bestimmte Fakten und Meinungen aus dem öffentlichen Diskurs ferngehalten werden. Dieser öffentliche Diskurs ist aber Grundlage für demokratische Entscheide. Deshalb schwächt Hate Speech direkt die Demokratie und hat unmittelbare Auswirkungen auf den nicht-digitalen Raum.
Die Gesellschaft sieht sich mit dieser Gefahr konfrontiert und vor die Herausforderung gestellt, darauf zu reagieren. Es gilt nun, Rechte wie die Meinungsfreiheit oder Werte wie Respekt und Toleranz auch im digitalen Raum zu verteidigen.
Diese Aufgabe kann nicht an die Betreiber*innen der digitalen Plattformen delegiert werden, da diese sich weder zuständig sehen, noch der Aufgabe gewachsen sind. Vielmehr müssen durch politische Prozesse Grenzen gesetzt und Übertretungen klar geahndet werden. Digitale Räume dürfen keine rechtsfreien Räume sein. Wenn sie es doch sind, greifen die Konsequenzen direkt in den nicht-digitalen Raum über. Dies beweist nicht nur der Suizid der Ärztin Dr. Kellermayr, sondern auch eine Vielzahl von Attentaten von Extremist*innen, die im digitalen Raum angeworben worden, sich weiter radikalisiert haben oder ihre Taten gar live auf Social Media Plattformen streamen.
Über politische Akteur*innen hinaus ist aber auch die gesamte Gesellschaft gefordert, sich Hass im Netz entgegenzustellen. Während rechtliche Grenzen durch politische Entscheide und die Durchsetzung entsprechender Konsequenzen gesetzt werden müssen, können Werte im digitalen Raum nur durch das Engagement von Personen, Gruppierungen und Institutionen verteidigt werden. Hate Speech darf nicht unwidersprochen bleiben, sondern muss klar und lautstark verurteilt werden, sei dies in Social Media, in Kommentaren von digitalen Zeitungen oder allen anderen digitalen Räumen.
Hass im Netz als Auftrag für die Soziale Arbeit?
Wenn von Hate Speech als gesamtgesellschaftliche Herausforderung gesprochen wird, dann lässt sich fragen, ob sich auch ein Auftrag an die Soziale Arbeit ableiten lässt. Haben Professionelle der Sozialen Arbeit die Aufgabe, sich Hass im Netz entgegenzustellen und für ihre Grundwerte wie Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit auch im digitalen Raum einzutreten? Durch die zunehmende Verschmelzung des digitalen und nicht-digitalen Raumes kann daran kein Zweifel bestehen.
Erfreulicherweise kann die Soziale Arbeit hierbei auf Grundsätze zurückgreifen, die sich in den vergangenen Jahren bewährt haben und professionstheoretisch breit abgestützt sind. Die im Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz aufgeführten Grundsätze der Gleichbehandlung, Selbstbestimmung, Partizipation, Integration und Ermächtigung beispielsweise, die Grundlage professionellen Handelns sind, lassen sich genauso in den digitalen Raum übertragen.
Auch wenn sich daraus noch kein konkreter Handlungsplan ableiten lässt, so hat die Soziale Arbeit damit zumindest bereits vielversprechendes Rüstzeug an der Hand, um dieser Herausforderung zu begegnen. Tatsächlich ist sie damit den Betreiber*innen digitaler Plattformen, aber auch vielen privaten, politischen oder juristischen Akteur*innen voraus, die sich entweder nicht zuständig sehen oder sich nicht auf einen eigenen ethischen Standpunkt beziehen können.
Es bleibt entsprechend zu hoffen, dass sich die Soziale Arbeit dieses Auftrages tatsächlich annimmt und aktiv einbringt, denn, wie bereits Jürgen Habermas betont hat, Demokratie ergibt sich nicht naturwüchsig.
- Grundlagendokument: Berufskodex der Sozialen Arbeit Schweiz
- Fachartikel: Was ist Hate Speech?
- Medienbericht: Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr: Totgeleugnet
Autor*in

Katrin Andres
Mitinhaberin SAPIA GmbH & Leiterin Kommunikation und Funderaising Meliso

Christine Mühlebach
Jeder und jede kann sich über digitale Kanäle zu allem äussern – jederzeit und überall. Eigentlich eine Chance für die Vielfalt und Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft. Aber das ist nur die eine Seite dieser digitalen Medaille. Denn mit der Anonymität und vermeintlichen Distanz zu den Beteiligten im digitalen Raum verschieben sich auch die Grenzen eines menschenwürdigen und respektvollen Umgangs. Oft bleibt für die Betroffenen nur der konsequente Rückzug aus der (digitalen) Öffentlichkeit.
Wie wichtig es ist, Werte und Normen sowie deren Verletzung im digitalen Raum zum Thema zu machen, zeigt sich deutlich am Beispiel von «hate speech». Lesen Sie mehr zu diesem Thema in unserem aktuellen Gastbeitrag.