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Handlungsspielräume der Sozialen Arbeit ausloten

13.11.2025 - 8 Min. Lesezeit

Portrait von Martin Heiniger

Martin Heiniger

Fachredaktion | Sozialinfo

Frau mit Kind auf dem Arm steht vor einem Wohnblock.

Der Trendmonitor von Zürich Sozial zeigt, dass sich manche gesellschaftlichen Probleme hartnäckig halten. Wo hat die Soziale Arbeit Handlungsspielräume, um zur deren Lösung beizutragen, sowohl auf der individuellen, aber auch auf der strukturellen Ebene? Dieser Frage widmen wir uns in einer Serie von drei Beiträgen mit je unterschiedlichem Schwerpunkt.

Der 2025 zum zweiten Mal durchgeführte Trendmonitor von Zürich Sozial bestätigte die beiden Haupttrends vom vorherigen Jahr: steigende Wohnungsnot und –preise sowie zunehmende psychische Probleme, v.a. bei jugendlichen und jungen erwachsenen Klient*innen der Sozialen Arbeit. Das Thema ansteigende Armut ist vom fünften auf den dritten Platz vorgerückt, während etwa die überbordende Administration in der Rangordnung zurückgefallen ist. Auch wenn es bei der Bewertung der Trends Schwankungen gibt, zeigt sich doch ein relativ beständiges Bild von Themen, die die Zürcher Sozialarbeitenden beschäftigen.

In einer Serie von drei Beiträgen beleuchten wir, was diese Befunde für die Soziale Arbeit bedeuten. Wir versuchen zu ergründen, weshalb Sozialarbeitende oft nicht zu den tieferen Problemursachen vorstossen können – noch wenn sie wüssten, was zu tun wäre. Insbesondere interessiert uns aber auch, wo die Soziale Arbeit, manchmal vielleicht auch unvermutet, Handlungsspielräume hat und was es dazu braucht, diese nutzen zu können.

Trends in der Sozialen Arbeit

Mit «Zürich Sozial» hat das Departement Soziale Arbeit der ZHAW eine Plattform entwickelt, die dem Sozialwesen des Kantons Zürich wichtige, konkrete Impulse liefern soll.

Das Projekt in Kooperation mit dem Kantonalen Sozialamt Zürich (KSA) macht Trends im Sozialbereich sichtbar und zeigt auf, wo Handlungs- und Entwicklungsbedarf besteht.

Der Trendmonitor wurde 2025 zum zweiten Mal durchgeführt

Unterscheidung dreier Bereiche

Grenzen von Handlungsmöglichkeiten zeigen sich im sozialarbeiterischen Alltag etwa aufgrund mangelnder Ressourcen, aber auch fehlender Einflussmöglichkeiten. Oft bestehen strukturelle Hürden, welche Massnahmen erfordern würden, die ausserhalb der Sozialen Arbeit liegen, etwa in der Sozialplanung, Sozial- oder Gesellschaftspolitik. So können beispielsweise auch die sorgfältigsten Bemühungen um gute Allokation den grundlegenden Mangel an bezahlbarem Wohnraum nicht aufheben. Um dennoch bestehende Handlungsspielräume zu erkunden, unterscheiden wir - analog zur gängigen Unterscheidung von Mikro-, Meso- und Makroebene - drei Bereiche:

  • «Arbeit im System», d.h. in der täglichen Arbeit an der Problemlösung mit Klient*innen
  • «Arbeit am System», d.h. bei der Ausgestaltung organisationaler Strukturen
  • «Arbeit an der Systemumwelt», d.h. in der Mitgestaltung politischer Rahmenbedingungen.

Dieser erste Beitragsteil widmet sich der «Arbeit im System». Als erstes haben wir uns darüber mit Fiona Gisler, einer der Projektverantwortlichen des Trendmonitors, unterhalten.

Fiona Gisler

Co-Projektleiterin «Zürich Sozial»

ZHAW Soziale Arbeit, Institut für Sozialmanagement

Mit begrenzten Ressourcen soviel als möglich bewirken

Fiona, stimmt der Eindruck, dass die Soziale Arbeit in vielen Themen sehr gute Ansätze hätte und wüsste was zu tun wäre, das aber in der Praxis nur sehr begrenzt umsetzen kann?

Fiona Gisler: Eine Paradoxie der Sozialen Arbeit besteht darin, dass wir den Anspruch haben, Problemlagen nicht zu individualisieren, sondern die strukturellen Ursachen zu erkennen und zu bearbeiten. Schlussendlich können wir aber mit den zur Verfügung stehenden Mitteln oft nur Symptome bekämpfen. Das sehen wir etwa beim Thema Wohnungsnot sehr gut. Auch wenn wir wüssten, was es eigentlich bräuchte, um Ursachen zu bekämpfen, arbeiten wir mit unseren Klient*innen am Einzelfall. Durch diese Nähe zu den vulnerablen Personen und Gruppen sehen die Sozialarbeitenden zudem am schnellsten, wenn es individuell enger wird und entsprechend, wenn sich ein soziales oder gesellschaftliches Problem verschärft. Dieses spezielle Wissen wollen wir mit dem Trendmonitor nutzen. Dadurch lassen sich zum einen solche Brennpunkte und zum anderen die Arbeit der im Sozialbereich Tätigen besser sichtbar machen.

« Wir müssen vom Gedanken wegkommen, dass wir alles auf einmal und überall besser machen können. »

Fiona Gisler

Mit der Frage, ob wir bei der Struktur oder bei den Symptomen ansetzen, kommen wir zu den drei Ebenen. Ist das ein brauchbarer Ansatz?

Fiona: Ja, wobei ein wichtiger Aspekt des Systemgedankens ist, dass es auf und zwischen den Ebenen Wechselwirkungen gibt. So spielt sich das Problem der Wohnungsnot auf allen drei Ebenen ab. Die individuelle Wohnungsnot entsteht mehrheitlich aufgrund des Mangels an günstigem Wohnungsraum auf dem Wohnungsmarkt. Wer allerdings soziale Probleme erfolgreich und am effektivsten bearbeiten will, setzt möglichst auf allen Ebenen an. Denn jede bietet diverse Hebel zum Ansetzen. Die Soziale Arbeit hat hier die Aufgabe, selber an den unterschiedlichen Hebeln zu ziehen und darüber hinaus, zwischen den Ebenen zu vermitteln. Wir müssen vom Gedanken wegkommen, dass wir alles auf einmal und überall besser machen können. Vielmehr geht es darum, mit kleinen, gezielten Einsätzen da und dort so viel als möglich rauszuholen. In Anbetracht der begrenzten Ressourcen stellt sich die Frage, welche Kämpfe sich wo und wann zu kämpfen lohnen.

Wo siehst du Möglichkeiten und Grenzen von Handlungsspielräumen «im System», also in der direkten Arbeit mit den Klient*innen?

Fiona: Ich glaube, schon um einen guten professionellen Standard zu verwirklichen, braucht es grossen Einsatz auf der Sach- und Beziehungsebene. So macht es viel aus, wie Sozialarbeitende ihren Klient*innen gegenübertreten, etwa ob sich diese als Menschen gesehen fühlen. Das Bewusstsein, dass es in der Region einen gewaltigen Wohnungsmangel gibt, bewahrt davor, im Einzelfall die Verantwortung für das Problem übermässig beim betroffenen Individuum zu suchen. Da bringen wir Sozialarbeitende speziell viel Wissen zu den zusammenwirkenden Einflussfaktoren auf den drei Systemebenen mit. Handlungsspielräume bestehen natürlich auch bei der prozessorientierten Auswahl und Gestaltung von Interventionen.

Würdest du die Methodenentwicklung auch hier zu ordnen?

Fiona: Da vermischen sich nun bereits die drei Ebenen. Es stellt sich die Frage, bis zu welchem Grad es in der Verantwortung der Sozialarbeitenden liegt, sich Methoden individuell anzueignen und anzuwenden, und inwieweit manche Methoden institutionalisiert werden. Professionalität setzt einen gewissen geltenden Standard voraus. Gleichzeitig ist es im Sozialbereich wichtig, auf der Mikroebene Diversität bieten zu können. Um eine gute Arbeitsbeziehung aufzubauen, brauchen Sozialarbeitende Spielraum. Vielleicht sind wir in der Sozialen Arbeit manchmal sogar freier, als wir es empfinden. Denn der Fokus auf Probleme kann die Sicht darauf versperren, dass vieles möglich sein könnte, gerade auch weil die normalen Wege nicht funktionier(t)en.

Geht die Soziale Arbeit manchmal von zu viel Ohnmacht aus und merkt nicht, welche Spielräume und Gestaltungsmöglichkeiten da sind?

Fiona: Soziale Probleme sind oft sehr existenziell. In einem solchen Kriseninterventionsmodus spielt in der Beratung immer eine gewisse dramatische Intensität mit – die Transaktionsanalyse nutzt dafür beispielsweise das Modell des Dramadreiecks mit den Rollen Retter*in, Opfer und Täter*in im Gegensatz zum Okay-Dreieck mit Unterstützer*in, Ratsuchende und konstruktive Kritiker*in. Für Sozialarbeitende ist es wichtig, nicht ins Dramadreieck miteinzusteigen. Dazu braucht es Disziplin und Selbstreflexion, um sich immer wieder bewusst zu machen, worin wir uns bewegen und inwieweit wir Hand bieten können. Schlussendlich sind wir im Sozialbereich mit vielem konfrontiert, bei dem die Gesellschaft gern wegguckt, und versuchen, wenigstens einen kleinen Beitrag im Sinne unserer sozialarbeiterischen Ethik zu leisten. Zusätzlich spielt sich unsere Arbeit oft im Verborgenen ab und erhält meist wenig Würdigung von aussen.

Spielräume mutig und kreativ ausloten

Mit der Gassenarbeiterin Nora Hunziker haben darüber gesprochen, welche Handlungsspielräume und Grenzen sie in ihrer täglichen Praxis erlebt.

Portrait von Nora Hunziker

Nora Hunziker

Gassenarbeiterin

Kirchliche Gassenarbeit Bern

Nora, erlebst du eine Kluft zwischen fachlichem und methodischem «wissen, wie» und der Realität in deinem Arbeitsalltag?

Nora: Es gibt schon eine Grenze. In der Gassenarbeit haben wir oft mit der Fachhochschule zu tun, sei es im Rahmen von Forschungen, aber auch wenn wir zu Modulen eingeladen werden. Da gibt es Berührungspunkte, etwa wenn versucht wird, mit der Praxis in Kooperation zu forschen. Trotzdem sind die Flughöhen sehr unterschiedlich. Auf der Ebene der Hochschule werden meist sehr spezifische Themen wie etwa Jugendobdachlosigkeit bearbeitet und dann gibt es oft Empfehlungen zu Methoden und Angeboten. In der Praxis geht es hingegen meist um Geld, fehlende Angebote, Schutz vor Gewalt oder schwierige Arbeitsbedingungen. Da spielen neue Beratungsmethoden oder Forschungsergebnisse oft keine grosse Rolle. Nur schon ein fachlich korrekter Umgang, geschweige denn neue Beratungsansätze anzuwenden wird schwierig, wenn man vor allem damit beschäftigt ist, Feuer zu löschen, weil vielerorts die Mittel gekürzt werden.

« Neue Beratungsansätze anzuwenden wird schwierig, wenn man vor allem damit beschäftigt ist, Feuer zu löschen. »

Portrait von Nora Hunziker

Nora Hunziker

Hat anwaltschaftlich orientierte Arbeit mehr Spielräume?

Nora: Anwaltschaftlichkeit ist für mich das Produkt von Einparteilichkeit. Mitarbeitende von Sozialdiensten hingegen sind nicht nur der Person verpflichtet, sondern auch der Öffentlichkeit, die für sozialhilfebeziehende Menschen nicht so viel Geld ausgeben möchte. Das spielt sicher eine Rolle, wenn ich mit Sozialhilfemitarbeitenden über Handlungsspielräume im Sinn von Klient*innen spreche. Gleichzeitig gibt es aber immer Spielräume, die man ausloten kann, auch wenn man nicht parteilich oder anwaltschaftlich arbeitet.

Wie verhindert man, dass Sozialarbeitende zu Einzelkämpfer*innen werden?

Nora: Organisationen sollten so strukturiert sein, dass gegenseitiger Support möglich ist. Ich habe grosses Glück, dass ich ein Team habe, mit dem ich über alles diskutieren und gemeinsam überlegen kann. Da wir selbstorganisiert funktionieren, habe ich keine vorgesetzte Person, die mir sagt, was ich zu tun habe. Selbstorganisation ermöglicht viel, weil man die geballte Kraft von vielen Leuten hat, die zusammen denken. Ich glaube, in hierarchischen Organisationen ist die Angst grösser, seinen Posten zu verlieren, wenn man sich zu fest exponiert. Manchmal heisst es etwa, man soll keine schlafenden Hunde wecken oder anecken. Ich glaube aber, dass es zu meinem Job gehört, auszuhalten, dass nicht immer alle begeistert sind, wenn ich etwas fordere.

Welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen braucht es, um Spielräume zu Gunsten von Klient*innen zu nutzen?

Nora: Einerseits müsste im Studium vermittelt werden, dass man überhaupt Handlungsspielräume haben darf. Im Kontakt mit Sozialarbeitenden stelle ich oft fest, dass nicht allen bewusst ist, dass man sich Handlungsspielräume herausnehmen und ausprobieren darf, was überhaupt möglich ist. Ich finde, das gehört zur Sozialen Arbeit und im Studium müsste man dazu ausgerüstet werden. Hinzu kommt die politische Bildung. Handlungsspielräume auszuhandeln ist per se politisch. Da muss man kreativ werden, aber auch mutig sein, da man je nachdem auch aneckt.

Möglichst heterogene Gruppen, um Projekte zu entwickeln

Mit unserem dritten Gesprächspartner, dem Dozenten, Autoren und Organisationsberater Michael Herzig, haben wir uns unter anderem darüber unterhalten, was es braucht, um gute Projektideen zu verwirklichen.

Portrait von Michael Herzig

Michael Herzig

Dozent

ZHAW, Institut für Sozialmanagement

Michael, wo siehst du auf der Ebene der Arbeit im System Handlungsspielräume von sozialen Organisationen und Fachpersonen?

Michael Herzig: Bei Krisenthemen wie etwa Wohnungslosigkeit wird immer die grosse Innovation gesucht, dabei ist dort in der Regel am wenigsten Handlungsspielraum. Der Wohnungsmarkt gibt aktuell nicht viel her für unsere Adressat*innen. Wenn ein System an seine Grenzen kommt, können sich Sozialarbeitende Handlungsspielraum verschaffen, indem sie die Regeln etwas dehnen bzw. so auslegen, dass bestehende Angebote niederschwelliger werden. Man könnte beispielsweise über Aufnahmevoraussetzungen in Wohnprogrammen diskutieren. Wir haben nicht eine besonders hohe Obdachlosigkeit und die Schweizer Städte sind an sich gut aufgestellt mit Wohnangeboten. Wenn man die Hausordnungen in Bezug auf Alkohol oder Drogenkonsum weniger streng handhabt oder mit psychisch auffälligen Verhaltensweisen grosszügiger umgeht, erhält man mehr Handlungsspielraum. Dabei braucht es manchmal etwas Mut; wenn man zum Beispiel Hotelübernachtungen durch die wirtschaftliche Sozialhilfe finanzieren will, kommt das nicht unbedingt bei allen Gemeinderät*innen gut an. An bereits bestehenden Konzepten wie etwa Housing First sieht man aber auch, wo die Grenzen sind, wenn man nur im System selber denkt. Um Housing First in der Schweiz einzuführen, müsste man zuerst die Rahmenbedingungen ändern.

Du sagst, es gehe darum, vorhandene Handlungsspielräume besser zu nutzen. Zielst du damit auf individuelle Fachpersonen oder spricht du die Ebene der Organisation an?

Michael: Es gibt schon einzelne Sozialarbeitende, die sich aufreiben, und da gibt es auch ein gewisses Frustrations- und Burnout Risiko. Gemeinsam kann man mehr bewirken; ich denke also schon eher an Organisationen. Die Heilsarmee ist ein gutes Beispiel. Sie hat grosse Schritte Richtung Toleranz und Akzeptanz von Alkohol- und Drogenkonsum innerhalb von Wohnprogrammen gemacht, die vor zehn Jahren noch nicht möglich gewesen wären.

« Projekte können nicht ortsunabhängig gedacht werden, wir befinden uns immer in einem bestimmten Sozialraum. »

Portrait von Michael Herzig

Michael Herzig

In der Sozialen Arbeit werden, etwa bei Workshops, oft gute Projektideen und Ansätze entwickelt. Schlussendlich werden aber relative wenige davon tatsächlich verwirklicht. Hier gibt es offenbar Kluft, die schwierig zu überwinden ist.

Michael: Ich glaube, es liegt an der Homogenität solcher Gruppen. In Workshops mit lauter Sozialarbeitenden werden meiner Erfahrung nach oft Ideen wiedergekäut, die es eigentlich schon gibt, die man aber bis jetzt noch nicht umsetzen konnte. Ich würde deshalb darauf achten, dass die Gruppen möglichst heterogen zusammengesetzt sind. Das bedeutet etwa, nebst Sozialarbeitenden aus bestehenden Einrichtungen auch betroffene Personen und Politiker*innen einzubeziehen. Zum einen kommen so erfahrungsgemäss die spannendsten Ideen zusammen, da durch die Diversität von Wissen und Erfahrungen mehr produktive Spannung entsteht. Zum anderen ist es für die Umsetzung hilfreich, wenn man die Politiker*innen gleich mit im Boot hat.

Nun gibt es trotzdem gute Projektideen, die aber bislang nicht realisiert werden konnten. Was braucht es, um diese zu realisieren?

Michael: Da braucht es Arbeit am System oder an der Systemumwelt, indem man Koalitionen und Unterstützung sucht. Es geht ja meist um Finanzierungsfragen. Umsetzung und Finanzierung sollten von Anfang an mit bedacht werden, wenn man ein sozialarbeiterisches Konzept ausarbeitet.

Geht es dabei vor allem um betriebswirtschaftliche Fragen, und wenn ja, was würde es da brauchen?

Michael: Das kommt auf das Thema an. Ich glaube, oft sind es Fragen der Politik, aber auch der Kommunikation. Projekte können nicht ortsunabhängig gedacht werden, wir befinden uns immer in einem bestimmten Sozialraum. Ob man einem Projekt Legitimität verschaffen kann, hängt davon ab, wie in der betreffenden Gemeinde über das betreffende Thema gesprochen wird. Denken wir zum Beispiel an die Drogenszene in Zürich in den 90er Jahren und an die Entwicklung der heroingestützten Behandlung, der Konsumräume und der Kontakt- und Anlaufstellen. Als in der Schweiz 1975 das Betäubungsmittelgesetz eingeführt wurde, hätte das niemand für möglich gehalten. Das wurde es aber 20 Jahre später, weil die Gemeinden einen hohen Leidensdruck hatten, und die entwickelten Lösungen in der betreffenden Gemeinde mehrheitsfähig waren - nicht im Kanton Zürich und auch noch nicht in der Schweiz, nur in der Stadt Zürich. Man muss also immer mitdenken, wie man einem solchen sozialarbeiterischen Anliegen in der Bevölkerung, die es mittragen muss, Legitimität verschaffen kann. Dazu ist es unabdingbar, die betroffenen Personen und Gruppen einzubeziehen und deren Bedürfnisse entgegenzunehmen.

Wo ortest du die Verantwortung, solche Projekte zu initiieren? Sind das Hochschulen, Gemeinden oder Organisationen?

Michael: Der Impuls kann von überall her kommen. So wie ich Soziale Arbeit verstehe, hat sie aber schon die Mission, etwas an den bestehenden Rahmenbedingungen zu verändern. Das gehört meiner Meinung zum Selbstverständnis von Sozialer Arbeit und ich erwarte, dass solche Impulse von ihr aus kommen. Nicht nur, aber auch. Das politische Mandat bedeutet, dass alle Sozialarbeitenden politisch denken und handeln sollten.

Fortsetzung folgt

Im nächsten Beitragsteil, der in zwei Wochen folgt, werden wir unser Augenmerk darauf richten, welche Spielräume soziale Organisationen bei der Ausgestaltung ihrer organisationalen Strukturen haben, um beispielsweise ein attraktives und nachhaltiges Arbeitsumfeld zu schaffen.

Autor*in