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Forschung füllt Wissenslücken zur Obdachlosigkeit in der Schweiz

20.02.2020 - 2 Min. Lesezeit

Obdach / Wohnintegration
Forschung / Lehre
Portrait von Martin Heiniger

Martin Heiniger

Fachredaktion Sozialinfo

Wie viele Menschen in der Schweiz obdachlos sind, darüber gibt es kaum verlässliche Zahlen. Die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) treibt deshalb Forschung in diesem Bereich voran.

Die Wohnversorgung in der Schweiz ist insgesamt gut. Dies gilt jedoch nicht für weniger privilegierte Menschen. Gegen 84 Prozent der armutsbetroffenen Haushalte und 57 Prozent der Haushalte in prekären Lebenslagen verfügen nicht über eine angemessene und sichere Wohnsituation.

Das gesellschaftliche Bild von Obdachlosigkeit ist stark durch die Medien geprägt, die ein reges Interesse an diesem Thema haben. Hingegen gibt es erstaunlich wenig gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zur Obdachlosigkeit in der Schweiz.

Systematisiertes Wissen über die Schweiz

Der kürzlich veröffentlichte erste „Nationale Bericht“ zur Obdachlosigkeit in der Schweiz ist ein Schritt, um diese Lücke zu schliessen. Er wurde im Rahmen eines Projektes der FHNW von Matthias Drilling, Esther Mühlethaler und Gosalya Iyandurai erarbeitet.

Die Autor*innen stellen fest, dass es bereits an einer offiziellen Definition von Obdachlosigkeit in der Schweiz mangelt. Der Bericht erarbeitet den „aktuellen Stand des Wissens“ und liefert einen systematischen Überblick über verschiedene Dimensionen, wie nationale und internationale Grundlagen, den Stand der Forschung in der Schweiz, Positionen von Fachverbänden, aber auch über die mediale Berichterstattung zum Thema.

Exemplarische Forschung in Basel

Der Länderbericht bezieht sich stark auf die konzeptuelle und strukturelle Ebene. Davon ausgehend  sind weitere Untersuchungen nötig, um konkretes Wissen über individuelle, aber auch regionale und ortsbezogene Ausprägungen des Phänomens Obdachlosigkeit zu gewinnen.

Die ebenfalls von einem Team um Matthias Drilling verantwortete Studie zu „Ausmass, Profil und Bedarf in der Region Basel“ zeigt exemplarisch auf, wie dies aussehen könnte. Ausgehend von einer Typologisierung wurden Fälle gezählt und im Sinne von konkreten Lebensweltanalysen ausgewertet. Ausserdem wurde unter anderem eine Bestandsaufnahme über die institutionellen Angebote gemacht sowie der Wohnungsmarkt analysiert.

Der Bericht schliesst mit einer Reihe von Empfehlungen, wie Obdachlosigkeit in Basel bekämpft werden kann. Die vorgeschlagenen Massnahmen umfassen etwa die Änderung der Vergabepraxis von Notschlafplätzen, eine bessere Kooperation der involvierten Institutionen oder die Entwicklung einer „Housing First Strategie“ für Basel.

Narrative Darstellung in den Medien

Der Länderbericht konstatiert, dass das gesellschaftliche Bild von Obdachlosigkeit stark durch journalistische Berichterstattung geprägt sei. Da hinter jeder obdachlosen Person eine individuelle Biographie steht, kann ein narrativer Zugang zu einem besseren Verständnis für die Lage Betroffener führen. Ergänzend zu den Forschungsberichten haben wir für Sie einige aktuelle Medienberichte zusammengestellt.

Autor*in

Portrait von Martin Heiniger

Martin Heiniger

Menschen verlieren ihr Obdach meist infolge anderweitiger Probleme wie finanzielle Schwierigkeiten, Stellenverlust oder Sucht, und des damit zusammenhängenden sozialen Abstiegs.

Obdachlosigkeit hat verschiedene Ausprägungen. Das „Leben auf der Strasse“, wie es oft in den Medien dargestellt wird, ist die Extremform. Daneben gibt es auch Menschen, die nach Wohnungsverlust bei Bekannten unterkommen oder mit einer provisorischen Wohnsituation Vorlieb nehmen müssen. Gemeinsam ist allen Formen, dass sie vorhandene gesundheitliche, psychische und soziale Probleme verstärken oder zusätzliche erzeugen.

Obdachlosigkeit zu bekämpfen ist deshalb ein gewichtiges sozialpolitisches Postulat. Mit Empfehlungen wie etwa der in anderen Ländern bereits erprobten Strategie „Housing first“ bietet eine neue Studie der FHNW sehr interessante Anhaltspunkte.

Dass die Initiative "Mehr bezahlbare Wohnungen" abgelehnt wurde, ist auch aus dieser Sicht schade. Mehr günstigen Wohnraum bereitzustellen wäre eine vielversprechende strukturelle Massnahme, um für Menschen in prekären Lebensverhältnissen das Risiko der Obdachlosigkeit zu vermindern.