Der digitale Wandel führt zu vielfältigen Herausforderungen. Um diese bewältigen zu können, spielt auch die eigene Einstellung eine grosse Rolle. Das sogenannte «growth mindset» unterstützt den gelingenden Umgang mit den immer neuen Anforderungen in der Digitalität.
Ein Blick zurück: Zu Beginn der Industrialisierung bestanden ganz unterschiedliche Hoffnungen und Befürchtungen, welche Auswirkungen diese Entwicklung auf die Arbeit, die Menschen und die Gesellschaft haben würde und wie damit umzugehen sei. Die Befürchtungen wurden erst im Verlauf der Zeit und mit zunehmender Erfahrung bestätigt oder widerlegt. Die damalige Situation lässt sich bezüglich ihrer Dynamik auf die Digitalisierung übertragen. Auch heute stellen sich Fragen, wie Menschen den digitalen Wandel meistern können. Die digitalen Herausforderungen zeigen sich individuell sehr unterschiedlich und sind abhängig von der Lebenslage, den Kompetenzen und Ressourcen.
Herausforderungen im digitalen Wandel
Will man die Herausforderungen erfassen, die mit der Digitalisierung in den unterschiedlichen Lebensbereichen einhergehen, wird es schnell unübersichtlich. Denn die Digitalisierung durchdringt mittlerweile fast sämtliche Lebensbereiche. Eine etwas allgemeinere Perspektive hilft dabei, die wesentlichen Aspekte in den Blick zu nehmen.
Aus dieser Meta-Perspektive tauchen beispielsweise folgende Eigenschaften auf, die der digitale Wandel mit sich bringt:
Die digitalen Möglichkeiten führen fast zwangsläufig zur Notwendigkeit, ständig «on» (online oder auf Empfang) zu sein. Im Sog der Mediatisierung kann die Befürchtung gestärkt werden, etwas Wichtiges zu verpassen. Sich abzugrenzen oder «offline» zu sein, erfordert eine bewusste Entscheidung.
Die Geräte und Tools geben den Nutzer*innen vor, wie die Technik zu nutzen ist. Damit geraten sie in einen Zwang, der Logik der Technologie zu folgen und sich vorgegebenen Handlungs- und Denkweisen zu unterwerfen.
Das Erleben von Zeit wird durch die digitalen Interaktionen zunehmend asynchron und nicht mehr kontinuierlich. Das physische Gegenüber im realen Gespräch wird ersetzt durch zeitversetzte, parallel auf verschiedenen Kanälen stattfindende digitale Interaktionen.
Durch neue oder sich verändernde Technologien, Geräte, Tools, Inhalte, Formate usw. muss immer aufs Neue entschieden werden, auf welchen «Zug man aufspringt» oder welchen Entwicklungsschritt man auslässt – oft ohne zu wissen, welche Entscheidungen für die Zukunft relevant sind.
Digitaler sozialer Vernetzung mangelt es oft an Verbindlichkeit und damit (teilweise) auch an Wert. Diese Anonymität schwächt die Potenziale an Menschlichkeit und Nähe, die Kommunikation mitbringt.
Was hilft uns angesichts dieser Herausforderungen, mit der digitalen Welt umzugehen? Müssen wir uns dafür primär die technologische Seite aneignen?
Müssen wir alle programmieren können?
Gemäss Douglas Rushkoff (2010) wurde mit der zunehmenden Verbreitung von Computern und deren Nutzung die Distanz zwischen den Nutzer*innen und den Geräten (Devices) immer grösser. Damit ist gemeint, dass für die Bedienung immer weniger Programmierkenntnisse notwendig wurden. Und gleichzeitig bedeutet es auch, dass Anwender*innen über immer weniger Kontrolle verfügen und sich immer stärker nach den Vorgaben der digitalen Geräte richten müssen. Auf die Spitze getrieben könnte man sagen, der Mensch unterwirft sich der Maschine, wenn er nicht selbst in der Lage ist, diese zu bauen.
Daraus könnte die Schlussfolgerung gezogen werden, dass wir alle über Programmierkenntnisse verfügen müssten, um die Digitalisierung bewältigen und mit den Entwicklungen Schritt halten zu können. Auch wenn dies zweifellos Vorteile hätte, hält diese Sichtweise kaum einem Realitätscheck stand. Denn dazu sind die Zugangshürden zu diesen spezifischen Kenntnissen für einen grossen Teil der Bevölkerung viel zu hoch. Insbesondere wenn man bedenkt, dass zwischen 20-25% der Schweizer Bevölkerung über maximal geringe digitale Kompetenzen verfügen (BFS, 2021).
Mindset vor Technik
Umso wichtiger ist es zu verstehen, dass nicht nur Wissen und eine versierte Nutzung von Tools und Geräten es ermöglichen, in der digitalen Welt gut zurecht zu kommen. Auch unsere Haltung und Denkweise beeinflussen den Umgang mit dem Digitalen.
Die amerikanische Sozialpsychologin Carol Dweck erforscht unter anderem, welche Denkweisen – oder eben «Mindsets» - dazu führen, dass Menschen ihre lebensbezogenen Herausforderungen erfolgreich meistern können. Dabei spannt sie den Bogen vom «fixed mindset» zum «growth mindset». Es geht in den meisten Fällen nicht um ein eindeutiges Entweder-Oder. Bei den Meisten wird das eigene Mindset irgendwo auf dem Spektrum zwischen «fixed» und «growth» liegen, jedoch eine Tendenz in die eine oder andere Richtung aufweisen.
Menschen mit einem «fixed mindset» sind eher darauf ausgerichtet, das Bestehende zu bewahren. Sie glauben weniger daran, dass sie ihre Fähigkeiten weiterentwickeln können. Und wenn sie an etwas scheitern, gehen sie eher davon aus, dass dies die Grenzen ihrer Möglichkeiten aufzeigt.
Menschen mit ein «growth mindset» gehen eher davon aus, dass Veränderung und Entwicklung nicht der Ausnahme-, sondern der Normalfall sind. Sie sind überzeugt, dass sie neue Fähigkeiten erlernen können und sind bereit, darin zu investieren. Erhaltene Kritik oder Misserfolge regen sie eher dazu an, sich weiterzuentwickeln und sie sehen dies als Chance, Neues dazuzulernen.
Aufgrund der fortwährenden digitalen Entwicklung sind Menschen immer wieder mit Neuem konfrontiert und müssen neue Bewältigungsstrategien entwickeln. Mit Blick auf die Aspekte des «growth mindset» kann gesagt werden, dass es Menschen mit dieser Denkweise leichter fällt, die Herausforderungen des digitalen Wandels erfolgreich zu bewältigen.
Mindsets | fixed mindset | growth mindset |
---|---|---|
Herausforderungen | Vermeidet Herausforderungen | Nimmt Herausforderungen an |
Hindernisse | Gibt bei Hindernissen schnell auf | Gibt auch bei Rückschlägen nicht auf |
Anstrengung | Hält Anstrengungen für fruchtlos | Hält Anstrengung für den Weg zum Erfolg |
Feedback | Ignoriert nützliches negatives Feedback | Lernt aus Kritik |
Erfolg anderer | Fühlt sich durch den Erfolg anderer bedroht | Zieht Lehren und Inspiration aus dem Erfolg anderer |
Quelle: Fixed & Growth Mindset (Dweck, 2006), eigene Übersetzung
Quellenangabe Tabelle: Fixed & Growth Mindset (Dweck, 2006), eigene Übersetzung
In der Fachsprache der Sozialen Arbeit könnte man auch sagen, dass Personen mit einem «growth mindset» - über ein hohes Mass an Kontrollüberzeugung und Selbstwirksamkeit haben – nicht nur, aber auch in der Digitalisierung. Und sie verstehen die eigene Weiterentwicklung als Teil eines kooperativen Lernprozesses.
Ist dein Mindset «fixed» oder «growth»?
Mindset-Quiz der WDHB, Berkley (englisch)
https://wdhb.com/blog/growth-mindset-quiz/
Fazit für die Soziale Arbeit
Nebst den Kompetenzen und dem Zugang zu Infrastruktur ist das Mindset ein wichtiger Faktor für die digitale Teilhabe von Adressat*innen. Die Denkweise und Einstellung bezüglich Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten ist aber auch für Fach- und Leitungspersonen der Sozialen Arbeit entscheidend und beeinflusst in ausgeprägtem Masse den förderlichen oder hinderlichen Umgang mit Herausforderungen. Dabei passt das «growth mindset» eigentlich ganz gut zum professionellen Habitus der Sozialen Arbeit. Dazu gehören etwa der konstruktive Umgang mit Unsicherheit und Unwissenheit in der Arbeit mit den Adressat*innen; eine grundsätzlich offene und neugierige Haltung oder die Fähigkeit, durch Evaluation und Reflexion das eigene Handeln weiterzuentwickeln.
Sehr starre Organisationsstrukturen können mit der veränderungs- und wachstumsorientierten Ausrichtung des «growth mindsets» unter Umständen in Konflikt geraten. Wenn es Organisationen gelingt, nicht nur die Strukturen, sondern auch die Kultur bewusst zu gestalten, kann das unter Umständen ihre Attraktivität als Arbeitgeberin steigern: flexibel, gestaltbar und bereit für notwendige Veränderungen.
- Dweck Carol (2006). Mindset: The new psychology of success. New York: Random House.
- Bundesamt für Statistik (2021) Profil der Internetnutzerinnen und -nutzer im Jahr 2019. Ungleiche Verteilung digitaler Kompetenzen bei Internetnutzerinnen und -nutzern in der Schweiz. BFS Aktuell: Neuchâtel
- Rushkoff Douglas (2010). Program or be Programmed: Ten Commands for a Digital Age. New York: OR Books (englisch)
Autor*in

Christine Mühlebach
Produktmanagement Digitalisierung
E-Mail: christine.muehlebach@sozialinfo.ch