Zum Inhalt oder zum Footer

Fanarbeit: Auch mal 30 Stunden mit den Fans im Bus unterwegs

05.05.2022 - 10 Min. Lesezeit

Andere
Sozialraum / Soziokultur
Jugendarbeit
Portrait von Martin Heiniger

Martin Heiniger

Fachredaktion Sozialinfo

Fanarbeit ist ein wichtiges Gegengewicht zu den repressiven Massnahmen, die immer wieder gegen die gewalttätigen Aspekte der Fankultur gefordert und auch eingesetzt werden. Im Gespräch legen zwei Praktiker*innen der Fanarbeit dar, wie sich dieses relativ junge Arbeitsfeld entwickelt hat und was es für gute Fanarbeit braucht.

Als sich in den Nullerjahren bei Fussballspielen in der Schweiz Ausschreitungen und Krawalle gewaltbereiter Fangruppierungen häuften, wurde darauf einerseits mit stärkerer Polizeipräsenz und mit repressiven Massnahmen wie etwa Stadionverboten für notorisch gewalttätige Fans reagiert. Andererseits wurden in dieser Zeit an verschiedenen Orten Fanarbeitsprogramme geschaffen, die sich als Gegengewicht zur Repression verstehen. Aus Sicht der Fanarbeit hat die Fankultur ganz viele positive Aspekte, indem sie etwa Identifikation, Zugehörigkeit und auch eine Möglichkeit, sich kreativ auszuleben, bietet. Die Fankultur soll deshalb nicht einseitig auf die negativen Aspekte reduziert werden.

Der Stellenleiter der Fanarbeit St. Gallen, Thomas Weber, und die FCZ-Fansozialarbeiterin Lea Bösiger zeigen im Gespräch auf, wie sie die Fankultur sehen und was ihren Arbeitsalltag ausmacht. (Die beiden Gespräche wurden einzeln geführt).


«Repression allein reicht nicht» - Interview mit zwei Fanarbeitenden

Sozialinfo/Martin Heiniger: Wie hat sich in der Schweiz die Fanarbeit etabliert?

Thomas Weber: Es gab in der Schweiz eine Phase in den Nullerjahren, in der man feststellte, dass Repression allein nicht reicht, sondern dass es auch präventive Elemente wie Fanarbeit braucht. Es gab wohl an jedem Standort, an dem es heute Fanarbeit gibt, einen bestimmten Moment, wo dieser Bedarf erkannt worden ist. In St. Gallen war der Auslöser der Abstieg im Jahr 2008. Nach dem letzten Spiel im Espenmoos kam es am Schluss zu sehr heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Fans. Da haben sich viele Leute gefragt, weshalb man da nicht präventiv vermittelt und miteinander gesprochen hat, statt nur auf eine repressive Strategie zu setzen. Das hat zur Initiierung der Fanarbeit geführt, die dann 2012 starten konnte.

Von wem ist diese Initiative ausgegangen?

Thomas Weber: Die Initialzündung kam – in St. Gallen zumindest – aus dem Stadion, das heisst von Fans und auch von Studierenden der Fachhochschule für Soziale Arbeit. Das waren Personen, die die Entwicklung auf beide Seiten kritisch betrachtet haben, also sowohl die Repression als auch das Fanverhalten. Sie entwickelten die Idee, Fanarbeit anzubieten. Es gab bereits Good-Practice-Beispiele aus dem Ausland und auch aus der Schweiz, wo an manchen Orten Angebote von Fanprojekten und Fanarbeit geschaffen wurden. Aus einem Praxisprojekt an der Fachhochschule St. Gallen entstand eine Projektgruppe, die Verbündete suchte. Man stiess dann in der Politik und beim Club auf offene Ohren und versuchte, die beiden Seiten zusammenzuführen. Schlussendlich wurden von der Stadt, dem Kanton und dem Club Gelder gesprochen, sodass man einen Verein gründen konnte. Es entstand also stark Bottom-up.

« Ich gehe an jeden Match. »

Lea Bösiger

Lea Bösiger: Beim FCZ wolle man Fanarbeit nach Vorbildern aus Deutschland installieren. Meine Vorgänger hatten jedoch einen schwierigen Start, weil die Akzeptanz der Südkurve fehlte. Deshalb wurde entschieden, Fansozialarbeit statt Fanarbeit anzubieten. Das funktioniert, weil diese Kurve unglaublich autonom ist und sich sehr gut selber organisieren kann, selbst Busse mieten und mit der SBB verhandeln kann. Die brauchen keinen Fanarbeiter*innen, die sie dabei unterstützen.

Frau Bösiger, gibt es einen Unterschied zwischen Fanarbeit und Fansozialarbeit?

Lea Bösiger: Ja, das ist ein grosser Unterschied. Fansozialarbeit ist etwas anders gelagert, als die Fanarbeit. Ich mache ganz klar Sozialarbeit. Anderes was zur Fanarbeit gehört, etwa die Zusammenarbeit mit der Polizei, macht bei uns der der Sicherheitsverantwortliche des FCZ.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Lea Bösiger: Ich bin an den Spielen präsent in der Südkurve. Zudem habe ich einen Raum, in dem sich junge Fans treffen können. Dort mache ich ganz niederschwellige Sozialarbeit. Meine Klienten sind vor allem junge, männliche Fans. Der Älteste ist 82, aber das Gros ist zwischen 18 und 28 Jahren alt. Sie kommen mit sozialen und persönlichen Anliegen und Fragen, aber natürlich auch wenn sie als Fans im Kontext mit Fussball Probleme haben. Hier biete ich Beratungen und Begleitungen an.

Sie nutzen also die Fanarbeit als Einstieg, um dadurch mit den Klienten auf andere Themen zu kommen?

Lea Bösiger: Ja, ich gehe an jeden Match, und es ist ganz klar, das Angebot richtet sich an FCZ-Fans und Leute aus ihrem Umfeld. Ich spreche zum Beispiel auch oft mit Eltern. Manche geben dem Fan sein die Schuld, wenn es innerhalb von der Familie Schwierigkeiten gibt. Ich kann das ein Stück weit nachvollziehen. Wenn sich ein junger Mensch vom Elternhaus emanzipiert, kann das ein schmerzvoller Prozess sein. Manche Entwicklungsschritte sind für die Eltern schwierig nachzuvollziehen. Wenn Eltern keinen Zugang zum Fan sein haben, dann ist es naheliegend, dort die Schuld zu suchen.

Ist die Arbeit mit den Eltern etwas, was andere Fanarbeiter nicht machen?

Lea Bösiger: Ja, das kann ein Unterschied sein. Zudem bin ich parteilich, das heisst klar auf der Seite der Fans. Ich kann mir das leisten, weil ich keine Verhandlungen mit dem Stadion oder mit der Polizei führen muss, was Fanarbeiter mitunter auch tun. Meine Arbeit basiert sehr auf Vertrauen, deshalb ist für mich diese Abgrenzung sehr wichtig.

Wird das in St. Gallen auch so unterschieden?

Thomas Weber: Nein, das ist die Definition, die sich die Fansozialarbeit des FCZ gibt. Das ist nachvollziehbar und funktioniert für den FCZ. In St. Gallen bieten wir auch niederschwellige Einzelberatungen an und können Fans in einem ersten Schritt in allen Lebensbereichen begleiten. Wie stark das gewichtet wird, kommt jedoch immer auf die Bedürfnisse und den Bedarf an. Da reagieren wir sehr flexibel, um unsere Schwerpunkte so zu setzen und unsere Ressourcen so einzusetzen, wie es am sinnvollsten ist. Wenn wir sehen, dass der Bedarf an Einzelberatungen nicht so hoch ist, versuchen wir, andere Sachen stärker zu gewichten, etwa Projektarbeit oder Vermittlungsarbeit.

« Die Fanarbeit St. Gallen bekennt sich zur Allparteilichkeit. »

Thomas Weber

Dann sehen Sie sich in St. Gallen stärker in einer Vermittlerrolle?

Thomas Weber: Die Fanarbeit St. Gallen bekennt sich in ihren Grundsätzen zur Allparteilichkeit. Das heisst, dass wir je nach Situation für die eine oder andere Seite Partei ergreifen können. Da kann es sein, dass wir uns anwaltschaftlich für die Fanseite einsetzen, in einer anderen Situation aber genauso das Motto des Clubs gegenüber der Kurve vertreten können. Das ist etwas anspruchsvoller, als rein anwaltschaftlich zu arbeiten, aber es hat sich bei uns bewährt. Dass wir nicht als Fanvertretende wahrgenommen werden, sondern die jeweils adäquate Rolle finden und ausfüllen, stärkt auch unsere Legitimation.

Wie wichtig ist es, dass Sie als Fanarbeitende selbst Fussballfans sind?

Lea Bösiger: Es kann schon auch anstrengend sein, wenn man an jeden Match geht und mit den Fans im Extrazug mitfährt, oder auch mal 30 Stunden im Bus fährt. Da würde man wohl etwas leiden, wenn man nicht Fussballfan wäre. Es ist aber genau diese Nähe zur Klientel, die vieles vereinfacht. Man trifft zudem die Leute in ihrer Freizeit an, und nicht in einem Büro. Es ist natürlich auch von Vorteil, wenn man Fan von derjenigen Mannschaft ist, bei deren Fans man arbeitet. Anders könnte ich mir nur schwierig vorstellen, aber es wäre sicher auch möglich.

Thomas Weber: Es erleichtert sicher den Einstieg, über eine gemeinsame Identifikation mit dem FC St. Gallen bei der Fanarbeit anfangen zu können. Eine gewisse Affinität zum Fussball erleichtert auch den Arbeitsalltag. Schliesslich diktiert der Fussball den Arbeitsplan und auch den Arbeitsrhythmus. Es hilft auch, Zugänge zu schaffen, wenn man gemeinsam mit den Fans in den Stadien der Schweiz und in Europa unterwegs ist. Es ist aber auch klar, dass ich anders Fan bin, als der grosse Teil unserer Zielgruppe in der Kurve, einen anderen Umgang mit dem Sportlichen habe.

Weil Sie einen professionellen Blick auf das Thema haben?

Thomas Weber: Ja, aber auch weil ich mich persönlich nie als so fanatischen Fan gesehen habe, wie es viele in der Kurve sind. Ich zähle mich nicht zur ultraorientierten Fankultur. Zudem sind für mich nebst dem Sportlichen inzwischen auch ganz viele andere Facetten aufgetaucht. Mittlerweile schaue ich beim Spiel genauso gern der Kurve zu, wie der Mannschaft. Dort läuft und passiert so vieles und man kann so viele spannende Momente erleben, für die ich mittlerweile mehr Interesse entwickelt habe als für den Sport selbst. Durch meinen Beruf und meine Rolle als Fanarbeiter hat sich mein Fokus über die Jahre schon etwas verschoben.

« Die Fans nehmen mich zuerst als Fan wahr, dadurch ist es sehr niederschwellig. »

Lea Bösiger

Hilft das Fan sein bei der Akzeptanz der Zielgruppe?

Lea Bösiger: Ja, auch wenn das vielleicht zu einem gewissen Grad unprofessionell tönt: Die Fans nehmen mich zuerst als Fan wahr, und nicht als Sozialarbeiterin. Und dadurch ist es sehr niederschwellig, sie vertrauen mir andere Sachen an.

Dadurch, dass Sie von den Fans als eine von ihnen wahrgenommen werden, machen Sie Ihre Arbeit besser?

Lea Bösiger: Ob ich sie besser mache, ist offen. Aber für Jugendliche, die bereits eine Karriere hinter sich haben, die allenfalls schon bei der Schulpsycholog*in, bei der Schulsozialarbeiter*in angefangen hat, und die vielleicht dann ins Heim gekommen sind etc., die haben irgendwann genug und wollen mit niemandem mehr reden. Es kann aber sein, dass sie trotzdem mit mir sprechen, weil ich auch ein FCZ-Fan bin. Das ist ein riesiger Vorteil.

Sehen Sie die Fussball-Fankultur eher als Problem oder als Lösung?

Lea Bösiger: Das ist eine schwierige Frage. Prinzipiell finde ich, dass die Fankultur bei jungen Menschen emanzipatorische Prozesse sehr fördern kann. Allerdings gibt es immer mehr Repressionen, weshalb ich diese Aussage etwas relativieren muss. Junge Menschen leben stark in der Gegenwart, und das Bewusstsein für Kausalitäten und vernünftiges Handeln entwickelt sich erst noch. Deshalb ist es schwierig, wenn durch - in Anführungszeichen - kleine Vergehen eine riesige Lawine an Konsequenzen ausgelöst wird. So wird zum Beispiel, wenn jemand ein Tag macht - also etwa mit einem Stift an einen Kübel «FCZ» schreibt -, gleich die DNA abgenommen. Weil bei Fans das Hooligan-Konkordat zum Tragen kommt, wird das viel strenger geahndet als bei anderen jungen Menschen. Das ist ihnen zum Teil nicht bewusst oder im Moment gleichgültig. Das kann aber Auswirkungen haben auf die Lehre, auf die Schule und damit auf die Zukunft.

Dann sind es eher die repressiven Strukturen, durch die die Fussball-Fankultur zum Problem werden kann?

Lea Bösiger: Ja, dabei sind viele Sachen in dieser Kultur sehr positiv. Man unternimmt zusammen etwas, es werden Freundschaften gepflegt, es werden Selbständigkeit und Kreativität gefördert. Aber das kann einen hohen Preis haben.

Gibt es noch andere Schwerpunkte im Arbeitsalltag, Jugendgewalt etwa?

Lea Bösiger: Das mit der Jugendgewalt ist immer eine zweischneidige Sache. Dass es zur Gewalt kommt, das will und kann ich nicht verharmlosen. Jedoch wird zum einen nicht wahrgenommen, dass die Gewalt im Ganzen abnehmend ist. Im Fussball steht die Gewalt nicht im Vordergrund, auch wenn es für Aussenstehende gewalttätig wirken kann. Zum anderen wird die Gewalt, die es tatsächlich gibt, medial oft sehr hochgespielt. Untersuchung zeigen aber auch, dass die Aggressionen in vielen Fällen auch von Seiten der Polizei ausgehen und nicht von den Fussballfans. Aber diese Gewalt ist ein Wirtschaftszweig geworden, unter anderem – das sollte ich vielleicht auch nicht laut sagen – habe auch ich deswegen meinen Job.

Dass Gewalt im Fussball eine Rolle spielt, legitimiert ihre Arbeit?

Lea Bösiger: Ja, auch wenn ich es schade finde, dass das Positive dadurch in den Hintergrund rückt. Natürlich ist es für die Medien weniger interessant, wenn die Fans nur geklatscht und gesungen haben. Wenn es hingegen Schlägereien gibt, dann wird das medial ausgeschlachtet. Natürlich sind das Vorfälle, die absolut nicht akzeptabel sind, aber ich weiss nicht, wie gut es ist, wenn das dann medial so gezeigt wird. Das gibt eine völlig falsche Botschaft an unerfahrene und junge Fans, die das Gefühl haben, die Gewalt gehöre dazu.

Spiegelt sich in der Fankultur auch ein stückweit die Gesellschaft?

Lea Bösiger: Natürlich, das ist immer ein Spiegel der Gesellschaft. Fussball ist ein Konkurrenzkampf, jemand muss gewinnen. Das ist ein Teil, der zum Fussball und auch zu unserer Gesellschaft gehört.

« Als Organisation, als Fanarbeiter*innen in St. Gallen haben wir unseren Platz gefunden. »

Thomas Weber

Fanarbeit ist offenbar ein Feld, das in Bewegung ist. Wie ist die Situation heute in der Schweiz?

Thomas Weber: Die Fanarbeit St. Gallen feiert heuer ihr 10-jähriges Bestehen. Unsere Organisation ist also noch relativ jung. Durch die Coronazeit haben wir festgestellt, wie verankert unsere Organisation und auch unser Ansatz sind. Beim schnellen Neustart im letzten Sommer sahen wir, dass alle unsere Kanäle und Beziehungen auch nach eineinhalb Jahren Pause immer noch gut funktionieren. Das hat uns gezeigt, dass wir als Organisation, als Fanarbeiter*innen in St. Gallen unseren Platz gefunden haben. Das ist sehr erfreulich und gibt uns Legitimation und Raum zum Arbeiten. Gleichzeitig haben wir gemerkt, dass das gesamtpolitische Klima sich geändert hat. Nach der Wiedereröffnung der Stadien und der Konfrontation mit gewissen unerfreulichen Ereignissen ist es plötzlich sehr schnell gegangen, dass ungewohnt radikale repressive Massnahmen gefordert wurden. Da hat es scheinbar plötzlich nur noch diesen Weg gegeben, um diese Probleme zu lösen, diese Dynamik kam überraschend.

Was für Massnahmen wurden vorgeschlagen?

Thomas Weber: Eine Arbeitsgruppe der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) präsentierte innert kurzer Zeit vehemente Forderungen nach personalisierten Tickets. Das war eine Dynamik, die wir so vor der Pandemie nicht mehr gekannt hatten. Ob das jetzt mit Corona zusammenhängt oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls stand der Vorschlag schon fast vor der Umsetzung, wobei völlig an der Fanarbeit und an den Kurven vorbeidiskutiert wurde. Man konnte letztlich das Ganze fürs Erste zwar abwenden, aber wie gefestigt der präventive Ansatz gesamtpolitisch ist, da gibt es für uns Fragezeichen. Das ist, was auf nationaler Ebene läuft, aber lokal sind wir sehr gefestigt und angekommen in unserer Rolle.

« Mein Geschlecht ist nicht so massgebend. »

Lea Bösiger

Wie steht es um die Geschlechterverhältnisse im Fussball?

Thomas Weber: Es ist ganz klar in Veränderung. Die Fankultur hat sehr viele maskuline Anteile, das macht es grundsätzlich für Männer attraktiver. Wir stellen aber auch in St. Gallen fest, dass der Anteil weiblicher Fans kontinuierlich zunimmt.

Lea Bösiger: Es ist ein Prozess und manchmal ist es auch gut, dass es geschlechtsspezifische Sachen gibt. Es gibt auch Situationen, in denen ich lieber nur unter Frauen bin. Aber in der Südkurve hat es je länger je mehr auch weibliche Fans.

Spielt die Geschlechterfrage bei der Stellenbesetzung eine Rolle?

Thomas Weber: Da der Pool an Personen, die sich für Fanarbeit interessieren und auch dafür eignen, relativ klein ist, hat sich für uns die Frage so noch nie gestellt. Am Schluss ist es immer eine Frage der Fachlichkeit und der Eignung als Person, und das Geschlecht war für uns immer sekundär bei der Auswahl. Wir haben aber das grosse Glück, dass wir letzten Dezember die erste Frau anstellen konnten. Wir merken dadurch, dass es von der Ausrichtung des Angebotes her noch andere Bedürfnisse und Möglichkeiten gibt; hier sind wir noch auf Entdeckungstour.

Welche Rolle spielt es für Sie in ihrer Funktion, dass Sie eine Frau sind?

Lea Bösiger: Ich glaube, mein Geschlecht ist nicht so massgebend. Ich bin in einem Alter, wo das vielleicht sowieso nicht mehr so eine Rolle spielt. Ich erlebe es auch überhaupt nicht so, dass die Kurven speziell sexistisch sind. Das hat aber sicher auch damit zu tun, dass die Südkurve eine sehr emanzipierte und urbane Kurve ist. Es gibt hier eine grosse Heterogenität, von Menschen ohne Ausbildung bis Menschen mit Doktortitel, von Menschen mit Migrationshintergrund bis Menschen, die schon ewig in Zürich leben. Ein anderer Punkt ist, dass ich dort arbeite und nicht meine Freunde suche. Ich habe diese Fans unglaublich gern, ich finde sie machen tolle Sachen, ich habe grossen Respekt, aber ich suche nicht meinen Freundeskreis dort.

Gibt es Weiterbildungs-Angebote für Fansozialarbeiter?

Thomas Weber: Zurzeit gibt es keine konkreten Angebote. Wir konnten aber von St. Gallen aus an der Ostschweizer Fachhochschule OST auch schon Module zum Thema sozioprofessionelle Fanarbeit anbieten. Das kommt aber primär aus Eigeninteresse heraus. Zudem haben wir letztes Jahr eine Kooperation mit Jugendarbeitsstellen aufgegleist. In dem Rahmen können wir für Jugendarbeitende Weiterbildungen anbieten. Dabei geht es nicht im engeren Sinn um Fanarbeit, sondern darum, ihnen die Fankultur als Jugendkultur und einen Umgang damit näherzubringen. Schweizweit gibt es im Moment sonst nichts, um den Berufseinstieg vorzubereiten.

Wäre das aus Ihrer Sicht wünschenswert?

Thomas Weber: Ich glaube, es wäre nicht unbedingt sinnvoll, so grosse Kurse anzubieten. Das Feld ist ja klein, wir sind 10-15 Stellen in der Schweiz, und die Fluktuation ist sehr gering. Was aber sehr sinnvoll wäre, interessierten Fachpersonen Weiterbildungen zu Fankultur und Jugendkultur oder dem Fan sein an sich anzubieten.

Autor*in

Portrait von Martin Heiniger

Martin Heiniger

Am vergangenen Sonntag hat der FC Zürich gegen den FC Basel mit 2:0 gewonnen und steht damit bereits vier Runden vor Saisonschluss als Schweizer Meister 2021/2022 fest. Eine solche Meldung ist für die Soziale Arbeit normalerweise nicht besonders relevant. Ausser man arbeitet als Fansozialarbeiterin beim FCZ - oder beim FCB.

Die Leidenschaft für den Fussball und «seinen» Club zu teilen und selbst Fan zu sein, erleichtert diese Arbeit sehr, wie die Fansozialarbeiterin Lea Bösiger und der Fanarbeiter Thomas Weber im Interview ausführen. Fanarbeit ist ein spannender Arbeitsbereich, der zum einen wichtige präventive Vermittlungsfunktionen hat und zum andern einen Ansatzpunkt für niederschwellige psychosoziale Beratung bietet.

Mit diesem Beitrag eröffnen wir eine Serie, die sich in loser Folge sozialarbeiterischen Arbeitsfeldern widmet, die sich eher am Rand des Spektrums Sozialer Arbeit befinden und deshalb von der Gesellschaft oft nicht als solche wahrgenommen werden Damit wollen wir zum Bewusstsein beitragen, dass sozialarbeiterische Kompetenz weit über die klassische Sozialarbeit hinaus Brücken bauen und Wirkung erzeugen kann.