Als Immobilienbewirtschafter mit Sozialfokus bewegt sich Robert Mäder am Schnittpunkt zwischen Verwaltung und Sozialer Arbeit. Seine Doppelrolle und sein Engagement ermöglichen ihm, auch in schwierigen Situationen Lösungen zu finden, die die Anliegen aller Beteiligten berücksichtigen.
Das Murifeld ist eines der vielfältigsten Quartiere in Bern. Die Altbausiedlung gehört der Stadt und wird unter Einbezug der Mieterschaft verwaltet. Robert Mäder ist der zuständige Bewirtschafter von Seiten der städtischen Liegenschaftsverwaltung. Aber er ist mehr als das: er ist auch Sozialarbeiter und bei der Stadt genau in dieser Doppelfunktion angestellt. Hintergrund dazu ist das Bekenntnis der Stadt Bern, bei der Bewirtschaftung ihrer Liegenschaften nebst ökologischen und wirtschaftlichen auch soziale Aspekte zu gewichten.
Im Gespräch mit Robert Mäder und seinem Vorgesetzten Lukas Sieber und einem anschliessenden Rundgang durch die Siedlung Murifeld haben wir erfahren, was zu der Stelle gehört, wie sie entstanden ist, und wie Robert Mäder seine Doppelfunktion im Arbeitsalltag lebt.
Martin Heiniger: Robert, du bist «Immobilienbewirtschafter mit Sozialfokus». Was ist darunter zu verstehen?
Robert Mäder: Eine der Grundlagen unserer Arbeit ist die Wohnstrategie der Stadt Bern, mit der günstiger Wohnraum und innovative Wohnformen gefördert werden sollen. Der Schwerpunkt meiner Stelle liegt genau bei so genutzten Liegenschaften. Personen, die günstigen Wohnraum beanspruchen, bringen oft einen entsprechenden Background mit sozialen Themen mit. Unser Grundsatz ist, dass jeder Mensch seinen Platz finden soll, egal wie gross sein «Rucksack» ist. Aber in der Praxis ist der «Sozialfokus» natürlich schwierig abzugrenzen. Kaum hast du mit Menschen zu tun, ist der Fokus auf das Soziale schon drin. Hierbei ist auch die sozialraumbezogene Arbeit, also der Miteinbezug der Umgebung, Quartier und Siedlung, wichtig zu erwähnen. Diese gehört mit zu meiner alltäglichen Arbeit. Diese Zusammenarbeit mit den dafür Verantwortlichen ist sehr unterstützend für meine Arbeit.

Robert Mäder
«Immobilienbewirtschafter mit Sozialfokus» bei Immobilien Stadt Bern.
Dipl. Sozialpädagoge HF mit diversen Weiterbildungen in Quartier-, Stadt-, Regional-, sowie Organisationsentwicklung.
Wie ist es zur Schaffung dieser Stelle gekommen?
Lukas Sieber: Da unsere Immobilienbewirtschafter*innen eine vorwiegend wirtschaftliche Ausbildung haben, stossen sie bei schwierigen sozialen Situationen manchmal an ihre Grenzen. In solchen Fällen holten wir uns früher das nötige sozialarbeiterische Know-how bei externen Fachstellen. Um diese Zusammenarbeit zu vereinfachen, hatten wir zunächst die Idee, in einer solchen sozialen Fachstelle eine Bewirtschafter-Stelle zu schaffen. Das hätte aber finanziell nicht funktioniert. Die Idee selbst haben wir aber nicht verworfen, sondern haben gemeinsam geschaut, wie wir sie anderweitig umsetzen können. So kam es zum heutigen Weg, das Anliegen sozusagen umzudrehen und das Soziale in die Bewirtschaftung zu nehmen.

Lukas Sieber
«Teamleiter Bewirtschaftung» bei Immobilien Stadt Bern.
Gab es Widerstände gegen die Idee, diese Stelle zu schaffen?
Lukas Sieber: Zu Beginn gab es in der Verwaltung schon Skepsis, ob das funktionieren könne. Mir war klar, dass ich dafür eine Person finden muss, die nebst dem sozialen auch den wirtschaftlichen Aspekt versteht. Man kann nicht jedem den Mietzins erlassen, der gerade nicht zahlen kann. Gleichzeitig ist uns ganz wichtig, dass wir einer Mieterin oder einem Mieter nicht kündigen müssen. Für jemanden, dem die Stadt gekündigt hat, wird es schwierig, wieder eine Wohnung zu finden.
« Zu Beginn gab es schon Skepsis, ob das funktionieren könne. »
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den anderen Bewirtschafter*innen im Team?
Robert Mäder: Ich werde von anderen Bewirtschafter*innen beigezogen, wenn ein Mieteranliegen nicht gelöst werden kann. Aktuell haben wir beispielsweise einen Mieter, der über Jahre Material angesammelt hat. Bisher hatte das alles in seiner Wohnung Platz, aber mittlerweile breitet es sich in der ganzen Liegenschaft aus und das ist für die anderen Mieter*innen nicht mehr tragbar. Dort habe ich mich eingeschaltet, nachdem der Bewirtschafter auf mich zugekommen war, und habe mit dem Mieter abgeklärt, was er braucht. Mittlerweile konnte diese Situation durch eine Wohnbegleitung stabilisiert werden, und ich konnte den Fall dem Bewirtschafter zurückgeben. Natürlich stehen bei solchen Vorhaben auch immer der Wille und die Bereitschaft des Gegenübers selbst im Vordergrund. Dabei sind die Kontaktaufnahme und die dazugehörende Vertrauensbildung wichtig. Nur so findet man passende Angebote. Dabei ist die Niederschwelligkeit wichtig. Kontakte zu bereits installierten Unterstützungsleistungen geben mir dabei ein Bild darüber, was schon gemacht wurde und auch in Zukunft noch gemacht werden könnte.
Hast du nebst dieser Rolle bei Konflikten auch Liegenschaften, für die du alleine zuständig bist?
Robert Mäder: Ja, ich mache beides. Ich bin beispielsweise für die Siedlung Murifeld und die Fahrenden zuständig. Dazu bewirtschafte ich zusätzlich einzelne Liegenschaften in der Stadt, zum Beispiel die Kleefeldstrasse. Der Schwerpunkt liegt aber auch dort bei sozialen Themen.
« Ich fand schon immer wichtig, dass man nicht nur sozial oder nur wirtschaftlich denkt. »
Du hast eine Doppelrolle, einerseits als Bewirtschafter, andererseits als Sozialarbeiter. Gibt es Konflikte zwischen diesen beiden Rollen?
Robert Mäder: Nein, eigentlich nicht. Ich kenne solche Doppelfunktionen schon aus früheren Tätigkeiten im sozialen Bereich. Ich fand schon immer wichtig, dass man nicht nur sozial oder nur wirtschaftlich denkt. Ich habe noch nie einen Konflikt erlebt, in dem man das Soziale und das Wirtschaftliche nicht zusammengebracht hat. Das hat auch damit zu tun, dass die Stadt Bern soziale Aspekte in ihrer Wohnstrategie explizit gewichtet.
Wie gehen die Klient*innen mit dieser Doppelfunktion um?
Robert Mäder: Die merken das schon. Ziel ist es, dass ich von Situation zu Situation flexibel und mit entsprechendem «Hut» meine Vorgehensweisen steuern kann. Ich komme in erster Linie als Person, die bei Immobilien Stadt Bern angestellt ist. Trotzdem kann ich natürlich den einen oder den anderen Aspekt je nach Situation stärker gewichten. Das Ziel ist die Unterstützung der Menschen, und ich habe ein grosses soziales Netz, das ich dafür einsetzen kann. Im Kontakt mit einer sozialen Organisation setze ich den Hut mit dem sozialen Fokus auf, da müssen wir dieselbe Sprache reden. Aber eigentlich sollte über den direkten Kontakt mit dem Menschen nicht wirklich spürbar sein, ob ich jetzt den wirtschaftlichen oder den sozialen Hut aufhabe. Das bin ich als Mensch gefragt, der vorne hinsteht, mit meinen verschiedenen beruflichen Hintergründen. Aber ganz ehrlich: auf die Seite legen, dass ich in erster Linie Sozialarbeiter bin, kann ich kaum.
Kann es sich punktuell strategisch auszahlen, das eine oder das andere in Vordergrund zu stellen?
Robert Mäder: Ja, zum Beispiel wenn ein/e Bewirtschafter*in die Kündigung aussprechen muss. Da kann ich in meiner Rolle nachher schauen, dass die Kündigung auch wieder zurückgezogen wird. Manche brauchen einen gewissen Druck.
Lukas Sieber: Dabei ist vielleicht zu erwähnen, wie wichtig bei solchen Konflikten eine neutrale Person ist.
« Durch die Fälle, die ich übernehme, kann ich die anderen Bewirtschafter*innen entlasten. »
Als Sozialarbeiter in der Verwaltung bewegst du dich nicht in einem primär sozialarbeiterischen Milieu. Gibt es Rechtfertigungsdruck innerhalb des Teams, gerade wenn deine Meinung manchmal abweicht?
Robert Mäder: Nein, das gibt es definitiv nicht. Durch die Fälle, die ich übernehme, seien das Schlichtungen oder schwierige Mietsituationen, kann ich die anderen Bewirtschafter*innen ja eher entlasten. Durch meine Erfahrung schrecke ich auch vor schwierigen Situationen nicht zurück. Da gehe ich pragmatisch hin und stelle einen niederschwelligen Zugang her. Ich halte den/die Bewirtschafter*in auf dem Laufenden, was ich mache, und wenn sich die Situation stabilisiert hat, gebe ich den Fall wieder zurück. Das ist eher Teamwork.
Gibt es politischen Rechtfertigungsdruck?
Lukas Sieber: Bei uns kann zwar jedes Geschäft politisch werden, aber die Schaffung dieser Stelle war grundsätzlich nicht politisch motiviert. Sie ist inzwischen, nach etwas mehr als zwei Jahren im Betrieb, absolut anerkannt.
Robert, du arbeitest auch projektbezogen. Könnt Ihr ein Beispiel geben?
Lukas Sieber: Darfst du das Projekt an der Studerstrasse schon erwähnen?
Robert Mäder: Das darf man schon erwähnen, es war ja schon in den Medien. Vor einem Jahr kam der Verein «Rêves sûrs» auf mich zu mit der Frage, ob ich einen Ort wüsste, um eine Notschlafstelle für junge Menschen eröffnen zu können. Als sich dann nach etwa einem Jahr per Zufall die Möglichkeit mit dem Haus an der Studerstrasse ergab, konnte ich die Tür für dieses Projekt öffnen. Ein anderes Projekt ist an der Sandrainstrasse. Als ich die Zuständigkeit für diese Liegenschaft übernommen habe, war es ein Bordell mit 40 Arbeitsplätzen drin. Daraus ist nun eine Pension für ehemalige Sexarbeiterinnen entstanden. Das sind Frauen, die zum Teil Mühe haben, eine Wohnung zu finden, die wenig Einkommen haben und oft in sehr desolaten Wohnsituationen leben müssen. Zusammen mit der Fachstelle Xenia entstand dann dieses Projekt mit der Idee, für diese Personen einen angenehmen und angemessenen Wohnraum bereitzustellen. Ich finde es wichtig, bei solchen eher «unsichtbaren» Menschengruppen gut hinzuschauen.
« Visionen sind etwas vom Wichtigsten. »
Gibt es Situationen, wo du deine sozialarbeiterischen Grundsätze nicht verwirklichen kannst?
Robert Mäder: Es ist auch schon vorgekommen, dass geltende Gesetze wie beispielsweise das Einhalten der Zonenkonformität eine Nutzung, die ich aus sozialer Sicht für richtig angesehen habe, nicht verwirklicht werden konnten. Solche Projekte sind dann bei mir nicht vom Tisch, sondern das Mäppchen kann ich irgendwann aus der Schublade ziehen, wenn sich Änderungen ergeben haben. Das Glas ist für mich immer halbvoll.
Also Visionen sind auch wichtig.
Robert Mäder: Immer! Visionen sind etwas vom Wichtigsten. Mich hat die Soziale Arbeit in Bereichen, die für diesen Beruf eher untypisch sind, schon immer interessiert. Solche Innovationen werden meiner Meinung nach zukünftig immer wichtiger sein. Dabei steht für mich die erwähnte Zusammenarbeit vieler beteiligter Stellen im Vordergrund. Transdisziplinäre Teams schaffen statt nur Austauschgefässe innerhalb der einzelnen Berufsgruppen selbst.
Könnte diese Art der Einbettung der Sozialen Arbeit auch in anderen Bereichen der Sozialen Arbeit gemacht werden?
Robert Mäder: Da kann ich nur sagen, unbedingt immer ausprobieren, so kommt die Transdisziplinarität zustande. Je grösser die Vielfalt ist von Fachpersonen, die am Tisch sitzen, umso schönere Sachen entstehen. Und wenn es scheitert, dann ist das kein Scheitern, sondern es hat einfach nicht funktioniert. Und für einen Blickwechsel musst du nur den Kopf drehen…
Autor*in

Martin Heiniger
Fachredaktion Sozialinfo
E-Mail: martin.heiniger@sozialinfo.ch

Martin Heiniger
Die Stadt Bern bekennt sich in ihrer Wohnstrategie zur Förderung günstigen Wohnraums und innovativer Wohnformen. Dies ist gerade für Menschen wichtig, die es auf dem Wohnungsmarkt aufgrund ihrer sozioökonomischen Situation nicht leicht haben.
Für das Zusammenleben in den Siedlungen bedeutet das eine grosse Diversität von Menschen mit unterschiedlichen Erwartungen und Voraussetzungen. Das kann zu Konflikten führen, gerade auch weil sich Menschen, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind, oft in belastenden Lebenssituationen befinden, etwa durch Armut, Sucht- oder psychische Probleme.
Dieser Herausforderung begegnet «Immobilien Stadt Bern» mit einer spannenden und innovativen Lösung: Mit einer sozialarbeiterisch ausgerichteten Bewirtschafterstelle können Mieterschaftskonflikte gelöst werden, die andernorts zu Kündigungen führen würden.