Das 2019 in Kraft getretene revidierte Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) ist tückisch. Ungeachtet dessen, wie lange jemand in der Schweiz lebt, kann er oder sie in letzter Konsequenz das Aufenthaltsrecht in der Schweiz verlieren und ausgewiesen werden. Gegen diese Regelung formiert sich politischer Widerstand.
Höhere Hürden für Niederlassungsbewilligung
Per Anfang 2019 trat das neue Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG, vormals Ausländergesetz AuG) in Kraft. Geändert wurden unter anderem integrationsrechtliche Aspekte. Die stärker gewichteten Integrationskriterien zur Erteilung der Niederlassungsbewilligung sollten einen stärkeren Anreiz für die Migrant*innen schaffen, sich um Integration zu bemühen.
In der Praxis erweist sich das Gesetz jedoch als Hebel eines sehr restriktiven Umgangs mit Aufenthaltsrechten. Zur Erlangung eines C-Ausweises sind etwa hohe Sprachkompetenzen nachzuweisen. Wie hoch die Hürde angelegt ist, hat die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA) anhand des Falles eines polnischen Ehepaars dokumentiert. Sie wurden zur Sprachprüfung aufgeboten, obwohl beide Ehepartner*innen nachweislich über hohe Sprachkompetenzen verfügen.
Niederlassungsbewilligung kann wieder entzogen werden
Noch schwerer wiegt die mit der Gesetzesrevision geschaffene Möglichkeit, dass die Behörden eine Niederlassungsbewilligung (C) auf eine Aufenthaltsbewilligung (B) zurückstufen können. Nebst Straffälligkeit oder Verstössen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann auch der Bezug von Sozialhilfe (AIG, Art. 63) ein Grund für eine solche Rückstufung sein. Dies gilt, wenn jemand „dauerhaft und in erheblichem Mass auf Sozialhilfe angewiesen“ ist, jedoch unabhängig davon, wie lange die Person schon in der Schweiz lebt oder ob sie sogar hier geboren wurde.
Dies ist für Betroffene eine einschneidende Änderung, denn die Aufenthaltsbewilligung (B) ist jeweils nur für ein Jahr gültig. Kann die Person ihre Situation in dieser Zeit nicht verbessern, etwa indem sie wieder eine Arbeitsstelle findet und finanziell unabhängig wird, kann ihr die Behörde die Aufenthaltsbewilligung entziehen und sie ausweisen. Dass die Chancen auf eine Anstellung mit einem B-Ausweis weniger gut sind als mit einem C-Ausweis, macht ihre Lage dabei nicht besser. Auch für Familienangehörige kann dies gravierend sein. Da nur die betroffene Person zurückgestuft wird, aber die/der Ehepartner*in und die Kinder ihre Niederlassungsbewilligung behalten, kann es dazu führen, dass Familien auseinandergerissen werden.
Damit entfällt die mit der Niederlassungsbewilligung bisher verbundene Sicherheit eines unbeschränkten Aufenthaltsrechts. Seit Anfang 2019 wurde gemäss einer Zusammenstellung des Staatssekretariats für Migration (SEM) bei 265 Personen eine Rückstufung vorgenommen.
Auch für Niedergelassene, die sich um eine Einbürgerung bemühen, ist eine Rückstufung ein grosser Einschnitt. Um wieder eine Niederlassungsbewilligung zu erhalten, dürfen sie während fünf Jahren keine Sozialhilfe beziehen. Eine Einbürgerung rückt damit in weite Ferne.
Die Verschuldensfrage beim Sozialhilfebezug
Problematisch ist diese Praxis auch hinsichtlich der Frage des Verschuldens. Gesundheitlich angeschlagene Personen, deren Leiden von der Invalidenversicherung nicht anerkannt wird, finden oft keine ihren Möglichkeiten angepasste Tätigkeit. Ihnen bleibt oft nichts anderes übrig, als Sozialhilfe zu beziehen, sobald sie keine Leistungen der Arbeitslosenkasse mehr erhalten. Die Migrationsbehörden werten solche Fälle jedoch oft als verschuldeten Sozialhilfebezug. Dass es im Arbeitsmarkt an geeigneten Stellen fehlt, berücksichtigen sie nicht.
Menschen ausländischer Herkunft arbeiten überdurchschnittlich oft in prekären Arbeitsverhältnissen oder in Branchen mit hohen gesundheitlichen Risiken, wie etwa dem Baugewerbe. Für sie kann das bedeuten, dass sie nach jahrelangem beruflichem Engagement innert kürzester Frist ihre Aufenthaltsrechte verlieren können, sobald sie nicht mehr hundertprozentig arbeitsfähig sind. Die aktuelle Coronakrise, in der viele Menschen unverschuldet ihre Arbeit verloren haben oder noch verlieren werden, verschärft dieses Problem. Den Betroffenen steht mit dieser harten Politik eine ungewisse Zeit bevor.
Allianz von 65 Organisationen gegen Verschärfungen
Unter dem Slogan „Armut ist kein Verbrechen“ haben sich 65 Organisationen zusammengeschlossen, um diese Verschärfungen zu bekämpfen. Mit einem offenen Brief an den Nationalrat unterstützt die Allianz eine parlamentarische Initiative, die Nationalrätin Samira Marti eingereicht hat. Marti verlangt, dass bei Menschen ausländischer Herkunft, die lange in der Schweiz leben, keine Rückstufungen gemacht werden dürfen: „Nach über 10 Jahren in der Schweiz sollte es Ausländerinnen und Ausländer möglich sein, unverschuldet Sozialhilfe zu beziehen, ohne direkt mit einer Wegweisung konfrontiert zu sein.“
Der offene Brief kann auf der Kampagnenseite der Allianz „Armut ist kein Verbrechen“ unterzeichnet werden.
Blick.ch (2021): Ausländergesetz knallhart: Unverschuldeter Sozialhilfe-Bezug kann zu Landesverweis führen
Der Bund (2020): Die Krise gefährdet viele Einbürgerungen
Das Schweizer Parlament (2021): Armut ist kein Verbrechen
SBAA Gewerkschaft Unia (2021): Petition «Armut ist kein Verbrechen»
SAH (2021): FAQ «Armut ist kein Verbrechen»
SEM SAH (2020): Rückstufungen vom 01.01.2019 – 31.10.2020
Autor*in

Martin Heiniger
Fachredaktion Sozialinfo
E-Mail: martin.heiniger@sozialinfo.ch

Martin Heiniger
Der C-Ausweis galt lange als sicherer Hafen für Migrant*innen. Im Gegensatz zum befristeten B-, und vor allem zum wackligen F-Ausweis war die mit dem C-Ausweis verbundene Niederlassungsbewilligung ein Ausdruck des Angekommenseins und ein wichtiger Schritt Richtung Einbürgerung.
Das hat sich nun geändert. Das verschärfte Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) von 2019 soll die Integration von Ausländer*innen stärken. Einer der „Anreize“ besteht darin, dass Personen ihre Niederlassungsbewilligung (C) verlieren können, wenn sie Sozialhilfe beziehen. Sie werden dann auf eine Aufenthaltsbewilligung (B) zurückgestuft.
Das setzt die Betroffenen massiv unter Druck, denn diese ist nur ein Jahr lang gültig und kann ihnen ebenfalls entzogen werden, wenn sich die Situation der Person im Verlauf eines Jahres nicht verbessert hat.
Dass damit allen Ausländer*innen, auch gut integrierten, in letzter Konsequenz der Landesverweis droht, ist höchst problematisch. Integration sagen und das Gegenteil wollen: das ist orwellscher Neusprech. Die Allianz „Armut ist kein Verbrechen“ will hier Abhilfe schaffen.