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Digitalpolitik als Förderung gesellschaftlicher Teilhabe

30.08.2023 - 2 Min. Lesezeit

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Portrait von Christine Mühlebach

Christine Mühlebach

Produktmanagement Digitalisierung

Ähnlich wie Sozialpolitik kann auch Digitalpolitik als Begriff enger oder weiter gefasst werden. Abhängig davon geraten andere Themen und betroffene Personengruppen in den Blick. Eine ganzheitliche und damit gesellschaftspolitische Perspektive auf die Digitalisierung schärft den Blick auf digitale Exklusionsrisiken.

Der Begriff der Digitalisierung oder Digitalität ist vielfältig gefasst. Was jemand darunter versteht, wird oft erst klar, wenn man im Verlauf von Diskussionen feststellt, wie sehr man aneinander vorbeigeredet hat. Es ist also nicht überraschend, dass sich diese Vielfalt von Perspektiven und Deutungen bezüglich der Digitalisierung in jenen Aspekten fortsetzt, mit welcher sich die Politik befasst.

Aus Sicht der Sozialen Arbeit sind weniger diese begrifflichen Missverständnisse und notwendigen Klärungen die grosse Herausforderung, sondern die Art und Weise wie wenig ganzheitlich die Digitalisierung betrachtet, diskutiert und verstanden wird.

Primär Wirtschaftspolitik?

Die Aspekte, die am häufigsten auftauchen und die einem auch selbst am raschesten in den Sinn kommen, sind wohl der Datenschutz und die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt. Besonders im Zusammenhang mit den zu erwartenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt geraten zunehmend auch bildungspolitische Themen in den Blick. Und seit der Corona-Pandemie hat die Digitalisierung im Gesundheitsbereich mehr Aufmerksamkeit erhalten.

Damit scheint Digitalisierung primär als wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisches Thema auf, allenfalls ergänzt durch Aspekte der Bildungs- und Gesundheitspolitik. Ein doch recht eingeschränktes Begriffsverständnis, wenn man bedenkt, dass der digitale Wandel sich auf sämtliche Lebensbereiche auswirkt und beinahe alle Bürger*innen betrifft. Und man kann die Frage stellen, wie Teilhabe an der Digitalisierung gestaltet wird, wenn Menschen – etwas zugespitzt formuliert – primär als Konsument*innen und Mitarbeiter*innen gedacht werden.

Gemessen an der hohen gesellschaftlichen Relevanz scheint ein breiteres, ganzheitlicheres Verständnis von Digitalisierung auf Seite der politischen Akteur*innen mehr als angemessen. Zumal der Politik die Aufgabe zukommt, gute Rahmenbedingungen für digitale Teilhabe zu schaffen. Nebst der Förderung von Chancen und Möglichkeiten im wirtschaftlichen Bereich hat sie auch individuelle, strukturelle und gesellschaftliche Risiken im Blick zu behalten.

Digitale Rechte

In Genf wurde im Juni 2023 die «digitale Unversehrtheit» als grundlegender Teil des Persönlichkeitsrechts in die Kantonsverfassung aufgenommen. Dieses Recht geht über den Schutz vor Missbrauch persönlicher Daten, welches im Datenschutzgesetzt geregelt ist, hinaus und enthält u.a. auch das Recht auf ein Offline-Leben. In vier weiteren Kantonen der Westschweiz und in Zug sind ähnliche Vorhaben geplant.

Digitalpolitik ist Gesellschaftspolitik

Eine ganzheitliche und gesellschaftliche Perspektive bedeutet nicht nur, Digitalisierung in allen Politikfeldern mitzudenken und die Themen zu verschränken. Es geht auch darum, eine systemische Perspektive einzunehmen und damit alle Akteur*innen in Diskussionen und Prozesse mindestens mitzudenken oder, besser noch, miteinzubeziehen.

Beim Gesundheitswesen würde dies beispielsweise bedeuten, nicht nur die digitale Entwicklung bei den Leistungserbringer*innen (Spitäler, Arztpraxen, Krankenkassen usw.) zu fördern oder zu regulieren. Sondern auch Risiken und Potenziale für die Bevölkerung zu berücksichtigen: Indem zum Beispiel digitale Möglichkeiten für die Selbstfürsorge, die Prävention oder die Selbstbestimmung von Patient*innen eingesetzt werden.

Aus Sicht der Sozialen Arbeit muss explizit darauf geachtet werden, unter welchen Bedingungen bestimmte Personengruppen an der digitalen Entwicklung teilhaben können oder von ihr ausgeschlossen werden. Nur so wird das Bewusstsein dafür geschärft, wo analoge (also nicht-digitale) Lösungen und Angebote erhalten werden müssen oder mit welchen Massnahmen die Teilhabemöglichkeiten gewährleistet werden können. Denn auch wenn der allergrösste Teil der Bevölkerung über eine minimale notwendige digitale Infrastruktur verfügt, so fehlen doch knapp einem Viertel die notwendigen Kompetenzen, um diese adäquat zu nutzen.

Ein politisches Mandat für die Soziale Arbeit

Die Profession Sozialer Arbeit hat ein veritables Interesse daran, dass Digitalpolitik als ganzheitliches, gesellschaftspolitisches Thema verstanden wird. Damit kann es gelingen, digitale Exklusionsrisiken frühzeitig zu erkennen und gesellschaftliche Teilhabe nachhaltig sicherzustellen. Ebenso zentral ist es, eine gesellschaftliche und politische Wertediskussion im Hinblick auf die Digitalisierung anzustreben und damit die Positionen der Menschen- und Gemeinwohlorientierung zu stärken.

Wichtig ist, mehr wissenschaftliche Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche konkreten Auswirkungen digitale Exklusion auf Menschen in unserer Gesellschaft hat und wie man diesen Risiken auf struktureller, institutioneller und individueller Ebene begegnen kann.

Und nicht zuletzt: Je mehr Fachpersonen der Sozialen Arbeit ihr (politisches) Umfeld über die konkreten Auswirkungen der Digitalisierung auf ihre Klient*innen aufklären und dafür sensibilisieren, desto differenzierter wird die Digitalisierung als gesellschaftliches Phänomen diskutiert und gestaltet werden können.

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