Politische Strategien sollten Entwicklungen in eine bestimmte, im besten Fall positive Richtung lenken. Die aktuelle «Digitale Strategie Schweiz» hat aus Sicht der Sozialen Arbeit noch Lücken.
Mittels politischer Strategien sollen gesellschaftliche Entwicklungen in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Bei der Digitalisierung gibt der Bund auf nationaler Ebene mit einer Strategie Digitale Schweiz1 die Stossrichtung für verschiedene Bereiche vor. Diese Strategie beinhaltet einige Bezugspunkte, die auch für die Entwicklungen im Sozialwesen relevant sind. Das Sozialwesen selbst – als System, in welchem soziale Dienstleistungen erbracht werden – wird allerdings im Strategiepapier nicht explizit erwähnt. Wie ist diese Strategie aus Sicht der Sozialen Arbeit zu beurteilen?
Risiken werden wenig beachtet
Die Strategie «Digitale Schweiz» gibt «Leitlinien für das staatliche Handeln vor und zeigt auf, wo und wie Behörden, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik zusammenarbeiten müssen, damit wir den Transformationsprozess gemeinsam zum Nutzen unseres Gemeinwesens gestalten können.»2 Die Ausrichtung der Strategie soll dafür sorgen, dass die Schweiz «die Chancen der Digitalisierung optimal nutzt».
Die Risiken des digitalen Wandels werden in weiteren Ausführungen zwar erwähnt, jedoch eher nebensächlich behandelt. Aus Sicht der Sozialen Arbeit wäre es jedoch wünschenswert, wenn negative Auswirkungen der Digitalisierung gleich gewichtet würden wie die positiven. Immerhin können diese Risiken zukünftige soziale Probleme begründen. Und da der Mensch im Zusammenhang mit technologischen Entwicklungen die Tendenz hat, negative Auswirkungen zu unterschätzen, wäre eine Gleichbehandlung von Chancen und Risiken durchaus sinnvoll.
Anschlussfähige Wertebasis
Die Strategie des Bundes beinhaltet unter anderem Grundsätze und Kernziele. Diese dienen als Basis für die Konkretisierung von sogenannten Aktionsfeldern. Die Aktionsfelder sind thematisch gegliedert und führen – wenn auch auf recht hoher Flughöhe – aus, in welche Richtung die digitale Entwicklung grundsätzlich gehen soll.
In den Grundsätzen und Kernzielen sind einige Aspekte enthalten, bei welchen sich Bezüge zur Sozialen Arbeit und ihren Adressat*innen herstellen lassen. Dazu gehören beispielsweise die Grundsätze, dass der Mensch im Mittelpunkt einer «inklusiven demokratischen Informations- und Wissensgesellschaft» stehen soll und dass der digitale Strukturwandel einen Beitrag zu inklusiven und chancengleichen Entwicklungen leisten soll.2 In mindesten drei der fünf Kernzielen finden sich Werte wieder, die eine hohe Übereinstimmung mit der Sozialen Arbeit aufweisen. Dazu gehören die Folgenden:
- Chancengleiche Teilhabe aller ermöglichen und Solidarität stärken
- Sicherheit, Vertrauen und Transparenz gewährleisten
- Digitale Befähigung und Selbstbestimmung der Menschen weiter stärken
Zwei weitere Ziele beziehen sich eher auf die volks-/marktwirtschafte und ökologische Aspekte.
Die Digitalisierungsstrategie des Bundes nimmt damit einige Themen auf, die auch für die Digitalisierung im Sozialwesen relevant sind. Die Risiken werden jedoch in den Details der konkreten Umsetzung stecken. Besonders bei der Inklusion und der Ermöglichung von Teilhabe ist die Soziale Arbeit in der Pflicht, sich spezifisch mit den digitalen Exklusionsrisiken der Adressat*innen auseinanderzusetzen und diesen entgegen zu wirken. Denn, was für den analogen Teil des Systems der sozialen Sicherung gilt, gilt auch für den digitalen: Kein System ist perfekter, nur weil es digitalisiert ist.
Wurde das Sozialwesen vergessen?
Inhaltlich wird es im Aktionsfeld «Soziales, Gesundheit und Kultur» etwas konkreter. Darin wird beschrieben, welche Aspekte im «Sozialen» als relevant betrachtet werden. Am konkretesten wird es bei den Zielgruppen, deren Situation besonders berücksichtig werden sollen: ältere Personen, Menschen mit Behinderungen sowie Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit «besonderen Bedürfnissen», welche aber nicht spezifischer benannt werden. Bei der Digitalisierung soll den Situationen und Bedürfnissen dieser Personengruppen besonders Rechnung getragen werden. Auffällig ist, dass Armutsbetroffene nicht als Zielgruppe genannt werden. Ob und wie stark das gesellschaftliche Exklusionsrisiko für diese Betroffenen durch die fortschreitende Digitalisierung noch zunimmt, kann derzeit nur schwer abgeschätzt werden. Jedenfalls benötigt man für eine Teilhabe an der Digitalisierung finanzielle Mittel und Bildungsressourcen.
Noch etwas anderes fällt in Bezug auf den Bereich «Soziales» beispielsweise im Vergleich mit der «Gesundheit» auf: Bei der «Gesundheit» finden sich Handlungsoptionen, welche sich auf das Gesundheitswesen und damit auf die Organisationen und Fachpersonen beziehen, welche in diesem System die Leistungen für die Patient*innen erbringen. Für das Sozialwesen fehlen solche Ansatzpunkte vollkommen. Unklar ist, ob hier mindestens teilweise die Zuständigkeit der Kantone und Gemeinden innerhalb der föderalistischen Strukturen Einfluss genommen hat oder – im schlimmsten Fall – dieser Aspekt schlichtweg vergessen wurde.
Strategie unter der Lupe
Auch wenn das Sozialwesen und die Adressat*innen nicht vollumfänglich in die Digitalisierungsstrategie des Bundes Eingang gefunden haben: die strategischen Grundsätze und die Wertebasis weisen eine hohe Übereinstimmung mit der Sozialen Arbeit auf. Es ist zu hoffen, dass diese normative Basis bis zu den konkreten Projekten erhalten bleibt. Aber es ist klar, dass die Strategie selbst keine Garantie für eine buchstabengetreue Umsetzung ist. Papier und Wirklichkeit klaffen allzu oft weit auseinander. Insofern wird die Soziale Arbeit auch in der Digitalisierung ein aufmerksames Auge auf Lücken in Systemen richten müssen und sich für deren Schliessung einsetzen müssen, um zusätzliche Exklusionsrisiken für Betroffene zu verhindern.
1 Strategie Digitale Schweiz (Datum: 11.09.2020)
2 Digitale Schweiz (Bundeskanzlei: Digitale Transformation und IKT Lenkung)
Homepage Strategie Digitale Schweiz (inkl. Blog mit aktuellen Themen)
Autor*in

Christine Mühlebach
Produktmanagement Digitalisierung
E-Mail: christine.muehlebach@sozialinfo.ch

Christine Mühlebach
Politische Strategien beeinflussen in unterschiedlichem Ausmass unser Leben, die Gesellschaft, die Wirtschaft oder auch das Sozialwesen.
Natürlich bewirkt ein Strategiepapier allein noch keine Veränderung. Aber es zeigt auf, in welche Richtung die Reise gehen soll. Das gilt auch für die Digitalisierungsstrategie des Bundes.
Aus der Perspektive der Sozialen Arbeit haben wir im aktuellen Beitrag einen prüfenden Blick auf diese Strategie geworfen. Im Hinblick auf die Wertebasis gibt es gute Anknüpfungspunkte, auch wenn einige Lücken erkennbar sind.