Um am digitalen Wandel teilhaben zu können, benötigen Adressat*innen der Sozialen Arbeit entsprechende Ressourcen. Personen mit fehlenden finanziellen Mitteln oder digitalen Kompetenzen sind von digitaler Exklusion besonders betroffen. Die Soziale Arbeit kann hier Gegensteuer geben. Aber auch private Initiativen können wichtige Impulse geben.
Der digitale Wandel und der technologische Fortschritt wirken sich auf die Bevölkerung unterschiedlich aus. Für die Organisationen und Fachpersonen des Sozialwesens gilt es, sich mit den konkreten Voraussetzungen und Situationen ihrer Adressat*innen auseinander zu setzen. Dies ist sowohl für die praktische Arbeit mit den verschiedenen Zielgruppen, als auch für die Entwicklung und Reflexion digitaler Angebote wichtig. Denn damit Betroffene am digitalen Wandel teilhaben können, müssen sie einerseits über finanzielle Mittel verfügen, um sich die notwendige Infrastruktur (PC, Laptop, Handy/Smartphone, Internetzugang etc.) leisten zu können. Und andererseits benötigen sie grundlegende digitale Kompetenzen für die Nutzung der Möglichkeiten. Im erweiterten Sinne können auch Sprachkompetenzen und die Alphabetisierung als kompetenzbezogene Grundvoraussetzungen gesehen werden.
Mit Blick auf einige statistische Zahlen (BFS; Statista.com) kann der Eindruck entstehen, dass in der Schweiz die individuellen Risiken recht gering sind, nicht am digitalen Wandel partizipieren zu können: Im 2019 nutzten über 93% der Bevölkerung über 15 Jahre das Internet, über 90% der Haushalte verfügt über einen Breitband-Internetzugang, über 95% besitzen ein Smartphone und bei der Anzahl Mobile-Abonnemente ist die Schweiz Spitzenreiterin (126 Verträge pro 100 Einwohner*innen).
Geringe digitale Kompetenzen: Einflussfaktoren
In einer Studie des Bundesamtes für Statistik (BFS) zur ungleichen Verteilung digitaler Kompetenzen wurden verschiedene Einflussfaktoren identifiziert, welche dazu führen können, dass Personen über geringere digitale Kompetenzen verfügen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Dazu gehören: der Bildungsstand und die sozioprofessionelle Kategorie (z.B. ungelernte Tätigkeiten im Vergleich zu hochqualifizierten Berufen), der Migrationsstatus, das Alter und die selbst wahrgenommene finanzielle Situation. Personen über 50 Jahre mit tiefem Bildungsstand, ohne Erwerbsarbeit oder in sehr tief qualifizierter Beschäftigung, die im Ausland geboren sind und die im Alltag mit ihren Finanzen nur schwer über die Runden kommen, sind besonders von geringen digitalen Kompetenzen betroffen.
Mit Blick auf die Adressat*innen der Sozialen Arbeit kann davon ausgegangen werden, dass ein wesentlicher Teil von diesen Einflussfaktoren betroffen ist. Solche möglichen Exklusionsrisiken sind sowohl in Bezug auf die aktuellen und zukünftigen Leistungsangebote der sozialen Organisationen wie auch in der Zusammenarbeit mit den Klient*innen im Blick zu behalten.
Rolle der Digitalisierung bei psycho-sozialen Bedürfnissen
Bei Themen der beruflichen Integration scheinen die Vorteile für die Adressat*innen recht offensichtlich, welche durch die Möglichkeiten der Digitalisierung entstehen. Sei es beispielsweise durch mehr Handlungsspielraum für die Stellensuche oder als zusätzliche Kompetenz, welche im Lebenslauf ausgewiesen werden kann. Doch wie sieht es bei Themen der sozialen Integration oder der Befriedigung psycho-sozialer Bedürfnisse aus? Gemäss Silvia Staub-Bernasconi (2018, S.173 ff.) entstehen soziale Probleme, wenn es einem Individuum nicht gelingt, die bestehenden bio-psycho-sozialen Bedürfnisse in einem bestimmten Zeitraum zu befriedigen und damit die sogenannte Bedürfnisspannung abzubauen.
Aus der Perspektive der Sozialen Arbeit kann gefragt werden, inwiefern die Digitalisierung ermöglichend auf die Bedürfnisbefriedigung von Individuen wirken kann. Insbesondere im Bereich der psychischen und sozio-kulturellen Bedürfnisse kann die Digitalisierung – entweder durch direkten Zugang oder als Mittel zum Zweck – zusätzliche Möglichkeiten bieten. Beispielsweise beim Bedürfnis nach Orientierung, dem Wunsch die Umwelt und sich selbst zu verstehen oder in Bezug auf Möglichkeiten der sozialen Anerkennung, der Kooperation mit Anderen und dem Bedürfnis nach soziokultureller Zugehörigkeit. Als ganz simples Beispiel kann die Nutzung des Internets herangezogen werden. Die darin auffindbaren Informationen, Foren, Communitys usw. bieten einer Person grundsätzlich eine autonome und ergänzende Möglichkeit, entsprechende Bedürfnisse zu befriedigen (bspw. durch die Beteiligung in Selbsthilfe-Foren bei gesundheitlichen Problemen).
Fachpersonen der Sozialen Arbeit sind herausgefordert, die Potenziale – aber auch die damit einhergehenden Risiken – für individuelle Lebenssituationen der Adressat*innen zu reflektieren, um diese Themen in die Arbeit mit einzubeziehen. Auf der Ebene der Organisation kann die Diskussion einer gemeinsamen Haltung angebracht sein, um die Relevanz und den Umgang mit den digitalen Themen zu rahmen – insbesondere wenn der Fokus nicht nur auf der beruflichen Integration liegt.
Armut als Risikofaktor digitaler Exklusion
Neben den digitalen Kompetenzen sind auch die finanziellen Mittel für die digitale Teilhabe relevant. Dies zeigt eine Erhebung des BFS zur Internetnutzung (2017): Über 40% der Personen, welche zu Hause über keinen Internetzugang verfügen, geben an, dass die Kosten dafür zu hoch sind. Es kann davon ausgegangen werden, dass geringe finanzielle Mittel das Risiko erhöhen, nicht an den Errungenschaften der Digitalisierung partizipieren zu können. Was für den Durchschnitt der Bevölkerung zum normalen Alltag gehört, muss für diese Betroffenen nicht gleichermassen gelten. Immerhin betragen die durchschnittlichen, monatlichen Haushaltausgaben für Mobiltelefonie, Internetgebühren, Computer, Drucker und Zubehör rund Fr. 200.— (BFS: Haushalteinkommen und -ausgaben 2019)
Im Hinblick auf die Digitalisierung scheint die materielle Ressourcenausstattung (noch) in nicht ins Blickfeld der politischen Akteur*innen gekommen zu sein. Im «Nationalen Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut» hat die Digitalisierung primär als Einfluss nehmende Rahmenbedingung (bspw. im Hinblick auf Veränderungen im Arbeitsmarkt) ihren Platz gefunden. Im Ergebnisbericht des Bundesrates wird unter anderem der Handlungsbedarf im Bereich der digitalen Kompetenzentwicklung bei Armutsbetroffenen konstatiert. Konkrete Massnahmen sind jedoch nicht Teil des nationalen Programms. Hinweise und Informationen über die Situation der Betroffenen in Bezug auf allfällige fehlende Ausstattung mit IT-Infrastruktur oder andere Nutzungshindernisse sind im Bericht keine enthalten.
Fehlen den Betroffen die finanziellen Mittel für die digitale Infrastruktur, existieren verschiedene Möglichkeiten, um diese Lücken zu schliessen: In öffentlichen Bibliotheken oder sozialen Organisationen gibt es teilweise für Adressat*innen zugängliche Computer oder Internetstationen. Diese Ausweichmöglichkeiten erscheinen jedoch suboptimal im Vergleich zu dem, worauf der grösste Teil der Bevölkerung zurückgreifen kann.
Ein Stück digitale Normalität
Einen anderen Weg schlägt hier der Verein «Wir lernen weiter » (wLw) ein. Der Verein sammelt schweizweit gebrauchte Laptops von Privaten und Unternehmen, bereitet diese professionell auf und gibt sie dann gezielt an Armutsbetroffene weiter. Grundlage dieser Verteilung sind Partnerschaften mit Sozialdiensten, Migrationsämtern/Asylorganisationen oder Hilfswerken und Stiftungen . Mittlerweile arbeitet das wLw-Team bereits mit über 500 Gemeinden und Partnerorganisationen zusammen, um sicherzustellen, dass die Laptops auch dort landen, wo sie benötigt werden. Seit der Gründung im April 2020 konnten so knapp 3'000 Laptops in der Schweiz wiederverwendet und gezielt an Armutsbetroffene weitergegeben werden. Die Möglichkeit über grundlegende IT-Mittel zu verfügen, soll kein einkommensabhängiges Privileg sein, sondern der Zugang soll auch jenen Personen in der Schweiz ermöglicht werden, denen für die digitale Teilhabe die finanziellen Mittel fehlen. Zusätzlich wird durch die längere Nutzungsdauer der Geräte auch etwas für die Umwelt getan.
« Unser Angebot ist an alle Personen gerichtet, die sich aus monetären Gründen keine eigene Ausrüstung leisten können. »
Sozialinfo/Chris Mühlebach: Wer nutzt das Angebot von Euch?
Tobias Schär: Unser Angebot ist an alle Personen gerichtet, die sich aus monetären Gründen keine eigene Ausrüstung leisten können. Dies können beispielsweise Personen sein, die eine Stelle suchen, in der Ausbildung stecken oder im Migrationsprozess. In all diesen Bereichen ist es wichtig, zumindest Zugang zur digitalen Welt zu erlangen – und das stellen wir sicher.

Tobias Schär
Gründer und Geschäftsleiter von "Wir lernen weiter"
E-Mail: kontakt@wir-lernen-weiter.ch
Was sind die Vorteile dieser Partnerschaften für die teilnehmenden Organisationen?
Sobald man bei uns dabei ist, kann man für einen fixen Unkostenbeitrag von CHF 150.- bei uns einen Laptop bestellen. Dieser Laptop ist betriebsbereit und mit den wichtigsten Programmen ausgestattet. Die Laptops werden auf ihre Leistungsfähigkeit geprüft und wir gehen auch auf individuelle Anforderungen ein (beispielsweise bei Lernenden). Zudem stellen wir eine Vielzahl von Anleitungen zur Verfügung und betreiben ein Forum, falls jemand Probleme haben sollte.
Wir verschicken alle zwei Wochen Pakete; das heisst, dass die Lieferfrist von wenigen Tagen bis zu zweieinhalb Wochen dauert. Die Laptops können wir entweder an die Partnerorganisationen oder direkt zu den Klient*innen schicken. Somit lohnt sich eine Partnerschaft für alle Organisationen, die auf einfache Prozesse, klar budgetierbare Aufwände aber trotzdem auf professionell aufbereitete Geräte setzen möchten. Auch die ökologischen Aspekte können ein Argument sein, denn wir zeichnen auch sogenannte Kreislaufgemeinden aus; also wenn auf der einen Seite Laptops von uns bezogen, aber auch gespendet werden. Viele Gemeinden entsorgen ihre Hardware, obwohl wir diese noch beispielsweise für ihre Klient*innen verwenden könnten. Für jedes erhaltene Gerät wird kostenfrei eine Datenbereinigung durchgeführt – somit spart man nochmals Geld und stellt den Datenschutz über uns sicher.
« Wenn man bedenkt, dass rund 9% der Schweizer Bevölkerung von Armut betroffen ist, dann fehlt es auch wohl einigen an ebensolcher Ausrüstung. »
In knapp eineinhalb Jahren wurden nun etwa 3'000 Laptops verteilt. Wie gross ist der Bedarf?
Das ist schwierig zu beurteilen. Unsere ganze Arbeit basiert auf der Annahme, dass es viel Armut in der Schweiz gibt und wohl auch einige ihre Stelle durch die Krise verloren haben. Wenn man bedenkt, dass rund 9% der Schweizer Bevölkerung von Armut betroffen ist, dann fehlt es auch wohl einigen an ebensolcher Ausrüstung.
Wie kann man Eure Arbeit unterstützen?
Die einfachste Möglichkeit ist es natürlich, uns ausgediente Hardware zu spenden. In vielen Unternehmen werden Geräte bereits nach wenigen Jahren ersetzt. Auch wenn diese an anderen Orten noch ein langes und sinnvolles Zweitleben geniessen könnten. Auch in sozialen Organisationen, Verwaltungen oder Schulen werden Geräte in gewissen Abständen erneuert. Solche Kontakte helfen uns genauso wie private Spenden. Denn ob Geräte geleast oder gekauft sind, macht schlussendlich keinen Unterschied. Wir hoffen, dass wir weiterhin auf viele Spender*innen zählen dürfen, die sich für diesen Themenbereich mit uns zusammen einsetzen.
Was, wenn man keine Laptops hat?
Unser Projekt steht und fällt mit der Bekanntheit – speziell auch dadurch, da wir immer wieder Laptops benötigen. Man kann uns auch helfen, indem man über uns erzählt. Wir durften schon einige Präsentationen an Schulen, in Wirtschaftsverbänden und Unternehmen halten, aber da geht sicherlich noch mehr. Jede und jeder kann einen kleinen Beitrag leisten, damit irgendwann dann die Schweiz für alle digital werden darf.
- Bundesamt für Sozialversicherungen (ohne Datum) Prävention und Bekämpfung von Armut, Bern
- Bundesamt für Statistik (27.4.2021) Profil der Internetnutzerinnen und -nutzer im Jahr 2019 - Ungleiche Verteilung digitaler Kompetenzen bei Internetnutzerinnen und -nutzern in der Schweiz, Bern
- Bundesamt für Statistik (19.3.2021) Erhebung zur Internetnutzung, Bern
- Bundesamt für Statistik (23.11.2021) Haushaltbudgeterhebung 2015-2019, Bern
- Bundesamt für Statistik (29.5.2018) Erhebung zur Internetnutzung 2017 – Digitale Kompetenzen, Schutz der Privatsphäre und Online-Bildung: die Schweiz im internationalen Vergleich, Bern
- Schweizerische Eidgenossenschaft (18.4.2018) Ergebnisse des Nationalen Programms zur Prävention und Bekämpfung von Armut 2014-2018 – Bericht des Bundesrates: Bern
- Statista (30.11.2020) Anteil der Besitzer von Smartphones in der Schweiz von 2017 bis 2020, Hamburg
- Staub-Bernasconi, Silvia (2018): Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft. Systemtheoretische Grundlagen und Praxis der Profession Sozialer Arbeit, UTB/Haupt, Bern.
Autor*in

Christine Mühlebach
Produktmanagement Digitalisierung
E-Mail: christine.muehlebach@sozialinfo.ch

Christine Mühlebach
Eine grundlegende Ausstattung mit digitalen Ressourcen ist unabdingbar, um an den Möglichkeiten der Digitalisierung teilhaben zu können. Auch Adressat*innen der Sozialen Arbeit benötigen deshalb einerseits einen Zugang zur Nutzung von digitaler Infrastruktur und andererseits digitale Kompetenzen. Diese digitalen Ressourcen bieten – und sei es nur als Mittel zum Zweck – den Betroffenen alternative Wege, um mit ihren sozialen Problemen zurande zu kommen.
Im Hinblick auf die Ausstattung mit digitaler Infrastruktur geht der Verein «Wir lernen weiter» neue Wege. Im Interview gibt Vereinsgründer Tobias Schär Auskunft darüber, wie das Angebot funktioniert und wie eine Win-win-Situation für alle Beteiligten ermöglicht wird.