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Die Stellen in der Arbeitsintegration

19.02.2021 - 9 Min. Lesezeit

Arbeits- / Berufsintegration
Portrait von Christine Mühlebach
PZ
SM

Autor*innen

Säulendiagramm Arbeitsintegration und Funktion

In Krisenzeiten gewinnt die Arbeitsintegration an Bedeutung. Was zeichnet den Stellenmarkt in diesem Feld aus? Die Autor*innen haben Stelleninserate ausgewertet.

Elfter Monitor des Stellenmarktes im Sozialwesen der Schweiz

Das Arbeitsfeld der Arbeitsintegration umfasst öffent­liche und gemeinnützige Organisationen, die Stellensuchende dabei unterstützen, in den ersten Arbeits­markt einzusteigen oder zurückzukehren, sowie Organisationen, die Stellen im zweiten, sogenannt geschützten Arbeitsmarkt mit entsprechender Betreu­ung anbieten. In der ersten Gruppe finden sich beispielsweise Angebote, die den Teilnehmenden eine Ausbildung ermöglichen, Beschäftigungsangebote, die ihnen eine Tagesstruktur geben und die Möglich­keit bieten, ihre Soft Skills zu trainieren, oder Angebo­te, die Teilnehmende ganz konkret bei der Stellensuche oder dem Verfassen von Bewerbungen unterstützen. In der zweiten Gruppe finden sich insbesondere Werkstätten für Menschen mit Beeinträch­tigung. Die Bezeichnung geschützter Arbeitsmarkt kann allerdings irreführend sein, denn auch diese Angebote sind je länger, je mehr dem Markt ausge­setzt und erbringen vermehrt Dienstleistungen, wie sie auch im ersten Arbeitsmarkt zu finden sind.

Im vorliegenden Artikel wurden 7524 Stelleninse­rate von Sozialinfo aus dem Jahr 2019 quantitativ ausgewertet (N=7524), von denen 916 dem Feld der Arbeitsintegration zugeschrieben waren (n1=916). 120 von diesen 916 Inseraten wurden zusätzlich qualitativ ausgewertet (n2=120). Zudem wurden 8 Interviews mit Mitarbeitenden aus dem Bereich der Arbeitsintegra­tion geführt.

Qualifikation

In den Stelleninseraten der Arbeitsintegration steht nicht immer eine Ausbildung im Sozialbereich im Vordergrund, wie eine nähere Betrachtung von 120 Inseraten (n2=120) aufzeigt.

In 38 dieser 120 Stellen (32 Prozent) wird in erster Linie eine berufliche Grundbildung im handwerk­lichen Bereich gefordert und in weiteren 16 Stellen (13 Prozent) eine KV-Ausbildung. Gesucht werden beispielsweise Fachkräfte aus der grünen Branche, der Gastronomie, Hauswirtschaft, Elektrik, Gebäudetech­nik, Schreiner*innen oder Velomechaniker*innen, die Programmteilnehmende ausbilden oder anleiten kön­nen. In 28 der 38 Stellen, in denen eine handwerkliche Grundausbildung im Vordergrund steht, wird eine Weiterbildung im Sozialbereich oder zumindest Erfahrung darin gewünscht.

Die wichtige Rolle der beruflichen Grundbildun­gen in der Arbeitsintegration erklärt zumindest teil­weise, warum die Anforderungen in Bezug auf die Qualifikation in der Arbeitsintegration(n1=916) gene­rell niedriger sind als im Durchschnitt der anderen Felder der Sozialen Arbeit.

Am deutlichsten zeigt sich der Unterschied bei der Teamleitung. Hier reicht in der Arbeitsintegration für 67 Prozent der Stellen eine berufliche Grundbildung. In den anderen Feldern der Sozialen Arbeit ist dies lediglich bei 29 Prozent der ausgeschriebenen Stellen der Fall.

Astrid Bujard, Job Coach und Standortleiterin bei impiega, meint in Bezug auf die Qualifikationsanfor­derungen: «Es ist gut, dass heute mehr Wert auf eine Berufsausbildung und Berufserfahrung, idealerweise in verschiedenen Branchen, gelegt wird. Wer sich bisher vor allem in akademischen Kreisen bewegt hat, findet es häufig schwierig, den Zugang zu Menschen mit Beeinträchtigung oder mit einem deutlich niedri­geren Bildungsstand zu finden.»

Jonas Beetschen, Abteilungsleiter Atelier und stellvertretender Leiter Job Training bei der Stiftung Job Training/Jobfactory hingegen sagt: «Solange es darum geht, Menschen ‹nur› in den Arbeitsprozessen zu begleiten, ist eine berufliche Grundbildung wohl ausreichend. Ich persönlich denke, dass eine Ausbildung im sozialen Bereich auch für solche Tätigkeiten durchaus gewinnbringend ist. Durch den engen und oft ungezwungenen Austausch im Arbeitsprozess können sehr bewusst und qualitativ hochste­hend eine Beziehung und Vertrauen aufgebaut werden. Mittels agogischen Handelns können dann die Selbstständigkeit und der Selbstwert der Klient*innen gefördert werden.»

Ein Teil des grossen Unterschieds in Bezug auf die Anforderungen für die Leitungspositio­nen könnte dadurch erklärt werden, dass in der Arbeitsintegration ein anderes Verständnis von Führung besteht. In der Arbeitsintegration bezieht sich Führung nicht nur auf die Führung von qualifizierten Mitarbeitenden, sondern auch auf die Anleitung von Adressat*innen (z. B. in einer Werkstatt). Dies könnte auch erklären, warum in der Arbeitsintegration doppelt so viele Teamlei­tungsstellen ausgeschrieben werden als in an­ deren Feldern der Sozialen Arbeit1.

Weiter ist den Interviews zu entnehmen, dass es Angebote gibt, die sich lediglich auf das Finden einer Stelle oder auf die Beschäftigung konzentrieren, und solche, die einen ganzheit­licheren Ansatz verfolgen. Hier geht es um die Passung zwischen Adressat*innen und Angebot sowie um die Nachhaltigkeit. Je anspruchsvoller und komplexer die Begleitung, desto eher braucht es einen Hochschulabschluss in Sozialer Arbeit. Jonas Beetschen: «Bei einem grossen Teil der Jugendlichen, die wir begleiten, geht es nicht nur um eine fehlende Stelle, sondern um mannigfaltige Themen, die für einen erfolgreichen Berufseinstieg bearbeitet werden müs­sen.»

Ansätze und Methoden

Bei Ansätzen und Methoden handelt es sich um "begründete, wissensbasierte Anleitung[en] zum planvollen, strukturierten Vorgehen zur Erreichung eines avisierten Ziels" (Galuske/Müller 2012: 588). Sie erleichtern den Mitarbeitenden den Umgang mit komplexen Alltagssituationen, helfen ihnen, ihr Handeln zu begründen und zu kommunizieren (vgl. ebd.).

Die Frage nach Ansätzen und Methoden ist in der Sozialen Arbeit deshalb von besonderem Interesse, weil seit Jahrzehnten darüber diskutiert wird, ob es sich bei der Sozialen Arbeit um einen Beruf oder eine Profession handelt (z.B. Becker-Lenz et al. 2012). Ein Fass, das an dieser Stelle nicht geöffnet werden soll, da es im vorliegenden Rahmen nur ungenügend behandelt werden könnte.

In den 120 näher betrachteten Stelleninseraten im Bereich der Arbeitsintegration finden sich neun explizite Nennungen von Ansätzen und Methoden. Genannt werden der lösungsorientierte Ansatz, der systemische Ansatz, Empowerment, die KOSS-Methodik und Supported Employment. Dies geschieht meist in der Beschreibung der Organisation.

Die Frage, warum so wenig zu Ansätzen und Methoden in den Stelleninseraten steht, lässt sich im vorliegenden Monitor Arbeitsintegration nicht abschliessend beantworten, es bedeutet aber nicht zwingend, dass die übrigen Organisationen nicht mit spezifischen Ansätzen und Methoden arbeiten. Diese könnten vielmehr Gegenstand der Bewerbungsgespräche sein, während der Einarbeitungsphase erlernt werden oder ihre Kenntnis als selbstverständlich vorausgesetzt werden.

Gemäss der Beobachtung von Cornelia Wenger vom Schweizerischen Arbeiterhilfswerk SAH Zentralschweiz sind jedoch tatsächlich verschiedene Ideen und Ansätze, wie beispielsweise Supported Employment oder Motivationsfördernde Gesprächsführung, „noch nicht in allen Betrieben gleichermassen bekannt oder gar in Konzepten verankert".

Ebenso könnte im Zuge der Professionalisierungsdebatte die Frage gestellt werden, ob Ansätze und Methoden überhaupt auf organisationaler Ebene festgesetzt werden sollten oder die Wahl erst fallbezogen im Arbeitsbündnis erfolgen soll.

Soft Skills

Steht in den Stelleninseraten der Arbeitsintegration wenig zu Ansätzen und Methoden, so findet sich zum Thema Soft Skills hingegen sehr viel. Unter dem Begriff Soft Skills werden fachunspezifische Fähigkeiten, soziale Kompetenzen und persönliche Eigenschaften verstanden.

Am häufigsten gewünscht werden in den 120 näher betrachteten Stelleninseraten der Arbeitsintegration:

Selbständiges Arbeiten (61), Flexibilität (57), Belastbarkeit (52), Sozialkompetenzen (48), Kommunikationskompetenzen (42), gute Sprachkenntnisse (41), Teamfähigkeit (36), Verantwortungsbewusstsein (26), ein Flair für administrative Tätigkeiten (24), organisatorische Fähigkeiten (23), Qualitätsbewusstsein (22), Empathie (20), Humor (19), Vernetzungskompetenz (17) und interkulturelle Kompetenzen (17).

Besonders auffällig ist die Vernetzungskompetenz, da sie häufiger als in anderen Arbeitsfeldern gefordert wird. Um Aufträge zu akquirieren oder Praktika zu organisieren, ist es in der Arbeitsintegration von Vorteil, gute Beziehungen zur lokalen Wirtschaft zu pflegen.

Funktion

Wie bereits im 11. Monitor kurz erwähnt, werden im Handlungsfeld der Arbeitsintegration doppelt so viele Teamleitungsstellen ausgeschrieben, als im Durchschnitt der anderen Bereiche der Sozialen Arbeit (s. Grafik). Dies ist zum Teil auf ein anderes Verständnis von Führung zurückzuführen: In der Arbeitsintegration ist mit Teamleitung auch die Anleitung von Programmteilnehmenden gemeint und nicht nur die Leitung von qualifizierten Mitarbeitenden.

Säulendiagramm Arbeitsintegration und Funktion

Arbeitsmarktmonitor 11: Arbeitsintegration und Funktion | Sozialinfo & FHNW

Qualifikation

Vertiefter wurde im 11. Monitor auf das Thema Qualifikation im Feld der Arbeitsintegration eingegangen. Dabei wurde erwähnt, dass sich die Anforderungen bezüglich der Qualifikation in der Arbeitsintegration insbesondere bei der Teamleitung von der anderer Felder unterscheidet.

Säulendiagramm Arbeitsintegration und Qualifikation

Arbeitsmarktmonitor 11: Arbeitsintegration und Qualifikation | Sozialinfo & FHNW

Pensen

Interessant ist auch, dass die Pensen im Bereich der Arbeitsintegration allgemein höher sind als im Durchschnitt der anderen Bereiche der Sozialen Arbeit.

Säulendiagramm Arbeitsintegration und Arbeitspensen

Arbeitsmarktmonitor 11: Arbeitsintegration und Arbeitspensen | Sozialinfo & FHNW

Warum dies so ist, konnten sich die Interviewpartner*innen aus dem Bereich der Arbeitsintegration nicht erklären.

Anstellung

Keinen nennenswerten Unterschied gibt es hingegen in Bezug auf die Art der Anstellung.

Säulendiagramm Arbeitsintegration und Anstellung

Arbeitsmarktmonitor 11: Arbeitsintegration und Anstellung | Sozialinfo & FHNW

Finanzierung und Nachhaltigkeit von Angeboten in der Arbeitsintegration

Marianne Dubach, Geschäftsführerin bei impiega, weist im Interview darauf hin, dass jene Programme am meisten finanzielle Mittel erhalten, „die Klient*innen lange ‚begleiten und fördern’, da immer noch über die Zeitachse abgerechnet wird und nicht über die erzielte Wirkung. Am wenigsten finanzielle Mittel erhält ein Programm, das Menschen in eine Lohnarbeit bringt und sie dort begleitet, obwohl dies ja das eigentliche Ziel wäre." Weiter stellt sie fest: "Mit der Vermittlung endet in der Regel jegliche Unterstützung und die weitere Begleitung durch den Anbieter wird meist nicht mehr finanziert, obwohl aus meiner Erfahrung dann erst die ‚echte Arbeit’ der Reintegration beginnt."

Tatsächlich könnte aufgrund der derzeitigen Finanzierung argumentiert werden, dass ein Anreiz bestehen könnte, Adressat*innen möglichst lange zu halten, statt sie in den 1. Arbeitsmarkt zu integrieren. Andererseits könnte eine Finanzierung auf Erfolgsbasis ebenso problematisch sein, da sie Anreiz geben könnte, Adressat*innen schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ohne darauf zu achten, ob die Stelle auch dem Profil und den Kompetenzen der Adressat*innen entspricht. Stimmen die Anforderungen der Stelle nicht mit dem Profil und den Kompetenzen der Adressat*innen überein, und sind Arbeitgebende nicht in der Lage, die Person zu unterstützen, kann es dazu führen, dass der Arbeitsvertrag eher wieder gekündigt wird.

Eine der Schwierigkeiten im Bereich der Arbeitsintegration ist, dass Angebot und Nachfrage der Arbeitskraft nicht immer übereinstimmen. Zusätzlich bestehen bei den Adressat*innen oft Mehrfachproblematiken. Sie haben nicht nur keine Erwerbsarbeit, sondern oft zusätzlich eine Beeinträchtigung, geringe Bildung, eine Sucht- oder Gewaltproblematik, Schulden, prekäre Wohnsituation, psychische Belastungen etc. Damit Adressat*innen ihr Potential entfalten können, reicht es oft nicht, lediglich eine Erwerbsarbeit zu beschaffen. Die Situation muss als Ganzes betrachtet werden. Erwerbsarbeit ist in diesen Fällen nicht die Lösung aller Probleme, kann sich aber auch insgesamt positiv auf die Situation der Adressat*innen auswirken. Abgesehen von finanziellen Mitteln in Form eines Lohns erfüllt Erwerbsarbeit auch latente Funktionen: sie bietet Struktur für den Tagesablauf, eine Funktion in der Gesellschaft sowie soziale Kontakte, aus denen Unterstützung für Krisensituationen hervorgehen kann (Dooley 2003; Bartley 1994).

Eine kürzlich erschienene Studie von Eser Davolio et al. (2019) hat gezeigt, dass eine Reduktion der Falllast in der Sozialhilfe, wodurch Sozialarbeitende mehr Zeit hatten, sich mit einzelnen Adressat*innen auseinanderzusetzen, zu einer Reduktion der Kosten und zu einer höheren Ablösequote führten. Sprich: Kurzfristig mehr zu investieren, lohnt sich auf lange Sicht.

Mit Blick auf die Nachhaltigkeit der Integration wäre es aufgrund der oben erwähnten Mehrfachproblematiken sinnvoll, dass Adressat*innen und Arbeitgebende eine Ansprechperson hätten, deren Zuständigkeit und Finanzierung nicht mit Stellenantritt enden würden. Dies gilt allerdings für alle Unterstützungsangebote der Sozialen Arbeit, die häufig abrupt enden. Adressat*innen werden so auf sich alleine gestellt und müssen sich einmal mehr auf die Suche nach der für sie neu zuständige Stelle machen. Hinzu kommt, dass sich bei vielen Angeboten die zuständigen Ansprechpersonen häufig ändern. In beiden Fällen müssen Adressat*innen ihren Fall wiederholt von Neuem erläutern und erneut eine Arbeitsbündnis mit den Fachpersonen etablieren. Ganzheitlichere Ansätze wie Supported Employment sind deshalb von Vorteil, da Adressat*innen eine Vertrauensperson haben, an die sie sich bei Bedarf wenden können, die gegebenenfalls weitere Fachkräfte hinzuziehen kann und die Unterstützung koordiniert.

Ein Blick in die Zukunft

Auf die Frage, was sie sich als Beschäftigte in der Arbeitsintegration für ihr Arbeitsfeld wünscht, antwortet Astrid Bujard: «Ich wünsche mir vor allem, dass der Stellenwert der Arbeitsin­tegration noch breitere Anerkennung in Gesell­schaft, Unternehmen und in der Politik findet. Noch immer kämpfen wir häufig gegen Vorur­teile gegenüber Personen, die aus verschiede­nen Gründen längere Zeit ohne Anstellung wa­ren. Sie stellen für unsere Wirtschaft ein grosses ungenutztes Potenzial dar. Ich wünsche mir, dass wir für diese Personengruppe in Zukunft noch mehr Anerkennung und Vertrauen gewinnen können.»

Autor*innen

Jeremias Amstutz

Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent am Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW.

Matthias Giger

Wissenschaftlicher Assistent an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW

E-Mail: matthias.giger@fhnw.ch

Peter Zängl

Sarah Madörin