Der Verein Fundus Basel kümmert sich im Basler Hirzbrunnen-Quartier um Menschen im vierten Lebensalter – und zwar dort, wo sie zuhause sind. Derzeit wird der Verein fast ausschliesslich von Stiftungen getragen; ob der Kanton künftig einen Teil der Kosten übernimmt, ist noch offen.
Aufsuchende Sozialarbeit ist keine neue Erfindung. Allerdings wird sie weniger mit der Altersarbeit, als vielmehr mit der Jugend-, der Gassen- oder der Suchtarbeit in Zusammenhang gebracht. Der Verein Fundus Basel hat sich aber ganz den Menschen im vierten Lebensalter verschrieben. Seit 2019 betreut er im Basler Hirzbrunnen-Quartier diese Menschen genau dort, wo sie zuhause sind. Hauptziel des Vereins ist es, die Autonomie, die soziale Teilhabe und die psychische und physische Gesundheit von vulnerablen, oft armutsbetroffenen oder fremdsprachigen Personen im vierten Lebensalter zu stärken.
In Kooperation mit seinem Netzwerk führt der Verein diverse niederschwellige Veranstaltungen durch. Zudem ist Nicole Tschäppät, Geschäftsführerin von Fundus Basel, regelmässig im Quartier unterwegs und hat ein offenes Ohr für die Anliegen der Seniorinnen und Senioren. Sie bietet Unterstützung aller Art und fungiert als Schaltstelle zwischen Organisationen und Quartierbewohner*innen. Sie kann zudem auf ein Netz mit Freiwilligen zurückgreifen. Derzeit wird der Verein fast ausschliesslich über Stiftungen finanziert. Kürzlich hat das kantonale Parlament einen Vorstoss überwiesen, dessen Ziel es ist, die aufsuchende Altersarbeit auszubauen. Es ist allerdings noch sehr ungewiss, ob der Kanton einen nennenswerten Teil der Kosten des Vereins übernimmt
Die Arbeit, die im Basler Hirzbrunnen-Quartier geleistet wird, bleibt nicht verborgen. Immer wieder wird Geschäftsführerin Nicole Tschäppät von Gemeinden und Organisationen, aber auch von Forschenden angegangen, die mehr über die aufsuchende Altersarbeit erfahren möchten. Kürzlich hat Nicole Tschäppät im Auftrag der Age-Stiftung einen Leitfaden zum Aufbau einer entsprechenden Stelle verfasst.
Neuer Wohnraum, neue Quartierstruktur
Der Verein Fundus Basel ist bisher mehrheitlich im Wohngebiet „Schoren“ tätig. Dieses gehört zum Basler Stadtquartier Hirzbrunnen und hat eine spannende Geschichte. Früher eher ein ruhiges und kaum beachtetes Wohngebiet am östlichen Stadtrand von Basel – mit ein paar industriellen Betrieben und 1400 Einwohner*innen. Bis 2019 war es eines der Entwicklungsgebiete der Stadt Basel. Durch den Abriss von ehemaligen Novartis-Büroräumlichkeiten wurde im Quartier in den letzten Jahren Wohnraum für rund 800 zusätzliche Personen geschaffen. Dadurch hat sich die Bevölkerungsstruktur stark verändert, von einer homogenen zu einer heterogenen Gruppe mit unterschiedlichem sozialem und kulturellem Hintergrund.
Interview mit Nicole Tschäppät: „Manche beobachten mich erst eine Weile“
Sie organisiert ihnen einen Platz am Mittagstisch, einen Termin bei der Ärztin oder mit der Pro Senectute – und alles beginnt mit einem einfachen „Grüezi“. Nicole Tschäppät, Geschäftsführerin des Vereins Fundus Basel, spricht über ihren Arbeitsalltag mit Menschen aus dem vierten Lebensalter.

Nicole Tschäppät
Nicole Tschäppät hat an der Fachhochschule Luzern Soziokulturelle Animation studiert. Sie ist Initiantin und Stellenleiterin des 2019 gegründeten Vereins Fundus Basel. Nicole Tschäppät hatte während vieler Jahre an verschiedenen Stellen im Sozialbereich gearbeitet. Seit 2013 ist sie in der Quartierarbeit tätig.
Sozialinfo/Lisa Stalder: Nicole Tschäppät, Sie sind Geschäftsführerin des Vereins Fundus Basel, dessen Ziel es ist, ältere Menschen aus dem Hirzbrunnen-Quartier dort zu unterstützen, wo sie zuhause sind. Wie kam es dazu?
Nicole Tschäppät: Während und nach meiner Ausbildung zur Soziokulturellen Animatorin hatte ich im Schoren, einem Teil des Hirzbrunnen-Quartiers, bereits den Aufbau verschiedener Angebote initiiert. Wir stellten damals mit anderen Organisationen zum Beispiel ein Freizeitangebot für Kinder, die Trägerschaft eines neuen Quartierraums sowie ein generationenübergreifendes Bewegungsprojekt auf die Beine. Auch führten wir regelmässig Quartierfeste durch, an denen bis zu 500 Personen teilnahmen. Ich kannte das Quartier also bestens. Doch als ich 2017 von diversen Altersorganisationen angefragt wurde, wie denn die Situation der vulnerablen Seniorinnen und Senioren im Quartier aussehe, konnte ich nur bedingt Auskunft geben, verstand aber, dass sie das Thema beschäftigt. Also lud ich 13 Organisationen zu einem Netzwerktreffen ein, um herauszufinden, wie schwer erreichbare Seniorinnen und Senioren besser erreicht werden können. Daraus entstand 2018 die Veranstaltungsreihe „Selbständig im Alter“. Schnell wurde deutlich, dass es ältere Menschen gibt, die zwar gerne an eine Veranstaltung kämen, aber körperlich dazu nicht in der Lage waren. So organisierten wir auch gleich einen Abholdienst. Die Veranstaltungen waren ein Erfolg und das Netzwerk wurde immer grösser. So waren es denn auch die Fachleute aus dem Netzwerk, die sich im 2019 für die Gründung des Vereins Fundus Basel aussprachen.
Ziel des Vereins ist es, Menschen zu erreichen, die eben nicht leicht zu erreichen sind. Wie gelingt Ihnen das?
Man muss sich bewusst sein: Menschen im vierten Lebensalter haben eine oder mehrere Beeinträchtigungen, sie sind körperlich, kognitiv und/oder psychisch eingeschränkt. Sie gehen kaum noch aus dem Haus, ausser sie gehen zum Einkaufen. Deshalb ist es wichtig, dass ich mich dort platziere, wo sie auf dem Weg zum Einkaufen vorbeikommen. Zweimal pro Woche nehme ich meinen Veloanhänger, Stühle sowie mein Informationsmaterial und installiere mich an diesen neuralgischen Punkten. Kommt jemand bei mir vorbei, sage ich „Grüezi“ und signalisiere meine Gesprächsbereitschaft. Manche beginnen sogleich mit mir zu sprechen, andere brauchen etwas mehr Zeit, um Vertrauen zu fassen. Es ist wichtig, dass sich die Menschen nicht bedrängt fühlen. Ich schwatze ihnen nichts auf, will ihnen keine Angebote andrehen. Es geht in einem ersten Schritt einfach darum, ins Gespräch zu kommen.
Basler Parlament will aufsuchende Altersarbeit vorantreiben
Der Erfolg der Arbeit von FuDie SP Basel-Stadt hatte im Februar einen Vorstoss eingereicht, der die Regierung auffordert, Projekte im Bereich aufsuchender Altersarbeit voranzutreiben. Es gebe für Senior*innen zwar schon heute viele Möglichkeiten, am gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben teilnehmen zu können, leider erreichten diese Angebote nur einen Teil der älteren Bevölkerung. Eine andere Gruppe von alten Menschen sei auf sich alleine gestellt, schrieb die SP im Motionstext. Es seien dies Menschen in Armut, mit chronischen Krankheiten, mit Demenz, psychischen Erkrankungen oder mit Migrationshintergrund. Mit der Zunahme von Einzelpersonenhaushalten wachse diese Personengruppe stetig. Vereinsamung, häufige Spitaleintritte, Verwahrlosung und verfrühte, kostspielige Altersheimeintritte seien die traurigen Folgen. Um der drohenden Isolation entgegenzuwirken, brauche es „neue Formen der Altersarbeit“, so die SP Basel-Stadt. Die Arbeit von Fundus Basel habe gezeigt, dass Angebote im Bereich der aufsuchenden Altersarbeit sehr gefragt seien, weshalb hier angesetzt werden müsse.
Im Parlament brauchte es nicht viel Überzeugungsarbeit: Mitte Februar hat der Grosse Rat die Motion ohne Gegenstimme überwiesen. Der Regierungsrat wird nun beauftragt, ein Pilotprojekt im Bereich der aufsuchenden Altersarbeit durchzuführen. Da der Verein Fundus dies bereits anbietet, soll eine Unterstützung für diesen geprüft werden.
Und wie geht es nach diesen ersten Gesprächen weiter?
Nach und nach zeigt sich, wo der Schuh drückt. Zum Beispiel, dass diese Person einsam ist oder finanzielle oder gesundheitliche Probleme hat. Dann biete ich an, bei ihnen zuhause vorbeizukommen. So kann ich mir ein ganzheitliches Bild machen und zielgerichtet helfen. Das kann sein, dass ich einen Arzttermin oder die Spitex aufgleise, bei einem Amt anrufe, einen Platz am Mittagstisch organisiere oder einfach jemanden finde, der diese Person regelmässig besucht. Eines ist ganz wichtig: Ich überrede die Leute nicht, irgendwelche Angebote in Anspruch zu nehmen. Sie müssen es wollen.
Gibt es auch Menschen, die sich nicht helfen lassen wollen?
Ich sage es so: Es ist eine Frage der Zeit. Es gibt Menschen, mit denen komme ich lange nicht ins Gespräch. So wie mit jenem Mann, den ich mindestens zehnmal gegrüsst hatte, bis er mich zurückgrüsste. Dann erzählte er mir Dinge beim Vorbeilaufen. Kürzlich blieb er sogar stehen und liess sich auf ein Gespräch ein. Es passiert also etwas, darauf lässt sich aufbauen. Es gibt auch Bewohnerinnen und Bewohner, die mir sagen, dass sie mich schon lange beobachtet hätten. Viele ältere Menschen sind der Meinung, dass sie keine Hilfe benötigen. Oder sie sind einfach noch nicht bereit dazu, sich helfen zu lassen. Das muss man respektieren.
Aufsuchende Sozialarbeit ist an sich nichts Neues, doch man bringt sie eher mit Jugendarbeit oder Suchtarbeit in Verbindung und nicht mit Altersarbeit. Hier fristet sie eher noch ein Schattendasein. Warum?
Bis vor nicht allzu langer Zeit ist man davon ausgegangen, dass die Angehörigen die Betreuung übernehmen. Insbesondere von den Frauen wurde erwartet, dass sie sich um die Eltern und Verwandten kümmern. Doch für Menschen, die selber im Arbeitsleben sind und allenfalls noch weit weg wohnen, ist das kaum zu bewältigen. Kommt hinzu, dass die Leute heute älter werden und länger in den eigenen vier Wänden bleiben. Die Zeitspanne, in der sie auf Hilfe angewiesen sind, wird länger. Dazu kommt, dass immer mehr Senior*innen keine Angehörigen haben, die sich um sie kümmern. Sei dies, weil sie keine Kinder haben, keinen Kontakt zu ihren Kindern pflegen oder diese eben zu weit weg wohnen. Das führt zu neuen Problemstellungen, daher sind neue Lösungsansätze gefragt. Und hier sehe ich für die aufsuchende Altersarbeit sehr grosses Potenzial. Ihr gehört die Zukunft. Die Forschung weist schon länger darauf hin und nun scheint das auch in der Praxis immer mehr anzukommen. Ich werde häufig von Organisationen und Gemeinden angegangen und um Tipps gefragt.
Auch Aarau setzt auf aufsuchende Altersarbeit
Seit August 2020 ist der Fachbereich Alter der Stadt Aarau durch die Mobile Altersarbeit MoA verstärkt. Diese ist vorerst in zwei Quartieren der Stadt Aarau tätig. Das Ziel des Projekts formulieren die Verantwortlichen wie folgt: „Ziel des Programms ist, dem demografischen
Wandel mit zeitgemässen, wirtschaftlich tragbaren und bedürfnisorientierten Lösungen zu begegnen. Dabei soll auch dem Wunsch der meisten älteren Menschen entsprochen werden, möglichst lange möglichst autonom in der eigenen Wohnung zu bleiben.“
Bei MoA handelt es sich vorerst um ein Pilotprojekt, das bis 2024 dauert. Das Projekt nimmt Teil am Programm Socius der Age-Stiftung. Dieses richtet sich an Gemeinden und Regionen, die Unterstützungssysteme für zu Hause lebende ältere Menschen gestalten wollen.
Weitere Informationen unter:
https://www.gesellschaft-aarau.ch/public/upload/assets/13836/MoA%20Factsheet.pdf?fp=1
https://www.programmsocius.ch
Fundus Basel ist derzeit nur im Hirzbrunnen-Quartier tätig. Gibt es Pläne, das Angebot auszubauen?
Der Bedarf wäre da, keine Frage. Die Umsetzung ist indes nicht so einfach. Es ist unser Ziel, mehr Personal einzustellen und unsere Tätigkeiten auch auf andere Quartiere auszuweiten. Bisher war dies aufgrund der fehlenden Finanzierung schlicht nicht möglich. Ich bin als Geschäftsführerin zu 60 Prozent angestellt. Einen grossen Teil meiner Arbeitszeit verbringe ich damit, Gesuche einzureichen und bei Stiftungen und Behörden anzuklopfen, damit unser Betrieb gesichert werden kann. Das ist manchmal ermüdend. Bisher hat unsere Zielgruppe, also Personen im vierten Lebensalter, in der Politik wenig Aufmerksamkeit erhalten. Doch der Kanton Basel Stadt ist derzeit dabei, eine Altersstrategie zu erarbeiten. Ich hoffe sehr, dass Initiativen wie unsere in diese aufgenommen und künftig finanziell unterstützt werden.
Hat sich durch die Arbeit mit älteren Menschen Ihre eigene Sicht aufs Älterwerden verändert?
Bei meiner Arbeit zeigt sich mir tagtäglich, dass Altwerden nichts für Feiglinge ist, wie es einer meiner Klienten einmal ausdrückte. Ich habe grösste Hochachtung vor diesen Menschen, denen es immer wieder gelingt, sich an ihre veränderte Situation anzupassen und trotz Gebrechen und Krankheiten ihren Frieden zu finden.
Vielfältiger Arbeitsalltag
Nicole Tschäppät trifft bei ihrer Arbeit auf verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Problemen. Im Folgenden zwei Einblicke in ihren Berufsalltag mit Menschen aus dem vierten Lebensalter.
Nicole Tschäppät nennt ihn Herr Moser. Er wohnt schon lange im Schoren-Quartier, bis vor kurzem gemeinsam mit seiner Frau. Nicole Tschäppät lernte ihn auf seinem Weg zum Einkaufen kennen und baute langsam ein Vertrauensverhältnis zu ihm auf. Als seine Frau aus gesundheitlichen Gründen ins Altersheim umziehen musste, rief Herr Moser Nicole Tschäppät an. Er habe nie gelernt, selber zu kochen. Nun mache er sich Sorgen um seine Ernährung. Nicole Tschäppät recherchierte verschiedene Essensangebote und zeigte Herrn Moser schliesslich bei einem Hausbesuch die verschiedenen Möglichkeiten auf. Um nicht nur gesund zu essen, sondern auch gleich soziale Kontakte pflegen zu können, entschied sich Herr Moser für den Mittagstisch in einem Tagespflegeheim. Nicole Tschäppät setzte sich sogleich mit den Verantwortlichen in Verbingung und organisierte einen ersten Termin. Von da an nahm Herr Moser dreimal pro Woche am Mittagstisch teil – bis die Corona-Pandemie dies nicht mehr zuliess. Da organisierten die Heimleiterin und Nicole Tschäppät mit ein paar Freiwilligen aus dem Quartier spontan einen Lieferdienst, damit Herr Moser wenigstens nicht auf die Mahlzeiten verzichten musste. Inzwischen ist Herr Moser in ein Altersheim gezogen. An die Veranstaltungen von Nicole Tschäppät kommt er noch immer regelmässig, wenn es sein muss auch mit dem Taxi.
Es kommt immer wieder vor, dass Nicole Tschäppät nicht von Betroffenen selber, sondern von Angehörigen oder Nachbar*innen angegangen wird. So meldete sich einmal ein Bewohner, ihm sei aufgefallen, dass der Briefkasten seiner Nachbarin überquelle. Er habe selber versucht, die Seniorin zu kontaktieren, doch diese öffne die Türe nicht. Auch Nicole Tschäppät versuchte die Dame zu erreichen, ohne Erfolg. Also kontaktierte sie die Polizei. Just als zwei junge Beamte bei der Frau vorbeischauen wollten, kam diese von einem längeren Spitalaufenthalt zurück. Sie war hocherfreut über das fesche Empfangskomitee und schäkerte eine Weile mit den Polizisten. Das sei ein eindrücklicher Moment gewesen, sagt Nicole Tschäppät. Denn die Frau sei dement, grüsse kaum noch und wolle nichts mehr von anderen wissen. Aber die beiden jungen Männer hätten ihre Lebensgeister für einen kurzen Moment geweckt.
Autor*in
)
Lisa Stalder
Journalistin
Selbständig
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