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Zuzug zu Familie des minderjährigen Freundes von ZH in den Aargau

Veröffentlicht:
18.10.2021
Kanton:
Aargau
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag

Wir erhielten einen Antrag auf Sozialhilfe einer 19-jährigen Schweizerin. Sie lebte die letzten Jahre in Heimen und Pflegefamilien. Seit sie volljährig ist, konnte sie in einer sozialpädagogischen Familie leben, welche dem letzten Heim angeschlossen war. Sie hat ihre Ausbildung abgebrochen und wird in finanziellen Fragen von einer Beiständin der letzten Wohngemeinde unterstützt. Diese ist neu, weil bis zur Volljährigkeit eine Kinderbeiständin betraut war. Dies, weil die leibliche Mutter nicht für die Kinder sorgen konnte. Der Vater lebt nicht mehr. 

Bis August 21 hatte sie keine Wohnung für sich gefunden und aufgrund ihres aktuellen Verdienstes im Service mit einer 50% Stelle. konnte sie sich auch keine Wohnung leisten. Nun lebt sie im Zimmer ihres minderjährigen Freundes. Die Mutter des Freundes hat mir ihr einen Untermietvertrag abgeschlossen. Die Mutter verlangt 500.- Franken für das Zimmer. Die Mietkosten von FRa 2600.-  teilt die Mutter wie folgt auf 1600.- bezahle sie für sich und den Sohn. Die eine Untermieterin zahlt 500.- und auch unsere Antragstellerin. Die junge Frau wohnt im Zimmer des Sohnes, sie hat laut deren Angaben kein eigenes Zimmer. 

Unsere Fragen sind: Kann ein Wechsel des Unterstützungswohnsitzes  von ZH nach AG akzeptiert und vorgenommen werden und muss der Mietzins für Fr. 500.- übernommen werden. Ist der dauernde Verbleib im Kinderzimmer des minderjährigen Sohnes hier als solcher anzusehen? 

Besten Dank für eine Einschätzung von Ihrer Seite. 

Freundliche Grüsse 

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrter Herr Huggler

Vielen Dank für Ihre Fragen. Ich beantworte diese gerne wie folgt:

1. Unterstützungswohnsitz

Betreffend Ihre Frage, ob die Antragstellerin durch das Wohnen bei ihrem minderjährigen Partner in seinem Zimmer im Kanton Aargau den Unterstützungswohnsitz vom Kanton Zürich in den Kanton Aargau verlegt haben kann, ist das Zuständigkeitsgesetz (ZUG, SR 851.1) massgebend. Der Unterstützungswohnsitz befindet sich nach diesem (Art. 4 Abs. 1 ZUG) in dem Kanton, in dem sich jemand mit der Absicht dauern­den Verbleibens aufhält. Gemäss Lehre und Rechtsprechung muss eine dauerhafte persönliche Beziehung zu diesem Ort bestehen. Dabei kommt es nicht auf den inneren Willen an, sondern vielmehr darauf, welche Absicht aus dem Verhalten objektiv erkennbar ist. Die Motive für die Wohnsitznahme sind nicht massgebend. Entscheidend ist die Beantwortung der Frage «ob nach den gesamten Umständen anzunehmen ist, dass die betreffende Person den Ort ihres Verweilens zum Mittel- oder Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehungen gemacht hat» (BGE vom 7.11.2014, 8C_530/2014 E.3.1; Guido Wizent, Sozialhilferecht, Zürich/St. Gallen 2020, N 251 ff.). Wer aus dem Wohnkanton wegzieht, verliert den bisherigen Unterstützungswohnsitz (Art. 9 ZUG), auch wenn kein neuer Unterstützungswohnsitz begründet wird. Hat eine Schweizer Bürgerin keinen Unterstützungswohnsitz, so ist der Aufenthaltsort für die Unterstützung zuständig (Art. 12 Abs. 2 ZUG). Eine Ausländerin ohne Wohnsitz in der Schweiz ist notfallmässig ebenfalls vom Aufenthaltskanton zu unterstützen (Art. 21 ZUG).

Im Merkblatt «Örtliche Zuständigkeit in der Sozialhilfe» der SKOS finden sich zum Unterstützungswohnsitz detailiertere Ausführungen. Gemäss Kapitel 3 deutet auf einen Wohnsitz hin, wenn jemand an diesem Ort eine Wohngelegenheit hat und für Dritte erkennbare Umstände auf die Absicht des dauernden Verbleibs schliessen lassen (z.B. Postzustellung, Versuch der polizeilichen Anmeldung, Äusserungen gegenüber Dritten). Gefragt werden kann auch nach dem Beziehungsnetz, dem Ort der persönlichen Dinge und der Häufigkeit der Übernachtungen an diesem Ort (Kapitel 2).

Aufgrund Ihrer Schilderung des Sachverhalts lässt sich vorliegend sagen, dass die Klientin keinen Lebensmittelpunkt mehr im Kanton Zürich hat, verfügt sie dort doch offenbar nicht über Wohnraum. Ob sie im Kanton Aargau Wohnsitz begründet hat, ist für mich sehr wahrscheinlich aber aufgrund meiner Sachverhaltskenntnisse nicht absolut sicher. So verfügt die Klientin mit Bestimmtheit über ein gewisses Beziehungsnetz im Kanton Aargau, lebt sie doch bei ihrem Freund. Auf jeden Fall spricht alleine das Wohnen im Zimmer ihres minderjährigen Freundes nicht gegen die Begründung eines Unterstützungswohnsitzes. Ob die Klientin aber plant, fest bei ihrem Freund zu wohnen, ist für mich unklar. Sucht sie weiterhin eine Wohnung? Hat sie bereits eine gefunden? Wann zieht sie allenfalls dorthin?

Fazit: Es macht Sinn, den Sachverhalt genauer abzuklären, um zu bestimmen, ob die Antragstellerin Wohnsitz im Kanton Aargau hat. Aber auch wenn sie keinen Wohnsitz im Kanton Aargau hätte, so ist der Kanton Aargau als Aufenthaltskanton für die Unterstützung (vorerst) zuständig.

 

2. Höhe des Mietzinses

Die Bemessung der Unterstützungsleistungen regelt im Kanton Aargau nach § 10 Abs. 1 des Sozialhilfe- und Präventionsgesetzes (SPG, SG 851.200) der Regierungsrat. Dies hat der Regierungsrat mit der Sozialhilfe- und Präventionsverordnung (SPV, SG 851.211) gemacht. Gemäss § 15b dieser legen die Gemeinden als Richtwert der in der Sozialhilfe maximal zu übernehmenden Wohnungsmietzinsen Mietzinsrichtlinien fest, die die Grösse des Haushaltes berücksichtigen und sich an den ortsüblichen Mietzinsen orientieren.

Da ich nicht weiss, in welcher Gemeinde die Antragstellerin wohnt, kann ich Ihnen keine zahlenmässig genaue Antwort geben. Soweit ich den Sachverhalt aber richtig verstanden habe, lebt neben der Antragstellerin, deren Freund und dessen Mutter eine weitere Person im Haushalt. Es scheint sich somit um einen 4-Personenhaushalt zu handeln.

Zwischenfazit I: Damit hat die Klientin grundsätzlich Anspruch auf ¼ des von der Gemeinde für einen 4-Personenhaushalt festgelegten Mietzinses.

Bei erstmaligem Bezug von materieller Hilfe ist eine vorhandene Mietzinssituation zu übernehmen. Die Wohnungskosten sind vorerst, bis ein entsprechendes Auflagen- und Weisungsverfahren mit Anpassung der Wohnungskosten umgesetzt werden konnte, vollständig zu Lasten der materiellen Hilfe zu übernehmen (Handbuch Sozialhilfe Kanton Aargau)

Zwischenfazit II: Vorerst sind die tatsächlichen Wohnkosten von Fr. 500.-- zu übernehmen.

Sollten die Mietzinskosten der Klientin von Fr. 500.-- den Grenzwert für eine Person in einem 4-Personenhaushalt übersteigen, so ist zu prüfen ob Gründe vorliegen, die die Übernahme der höheren Wohnungskosten rechtfertigen. Dies können medizinische oder soziale Gründe sein. Existieren solche Gründe, so kann die Übernahme von überhöhten Wohnungskosten trotz Abweichung von allfälligen Mietzinsrichtlinien ausnahmsweise angemessen sein. Entsprechen die Wohnungskosten nicht den Mietzinsrichtlinien und sprechen keine anderen Gründe für den Erhalt der Wohngelegenheit, so kann die unterstützte Person mittels Auflagen- und Weisungsverfahren aufgefordert werden, sich eine günstigere Wohnung im Rahmen der Mietzinsrichtlinien zu suchen. Bevor der Umzug in eine günstigere Wohnung verlangt wird, ist jedoch die Situation im Einzelfall zu prüfen. Insbesondere sind die Grösse und Zusammensetzung der Familie, eine allfällige Verwurzelung an einem bestimmten Ort, das Alter und die Gesundheit der betroffenen Person sowie der Grad ihrer sozialen Integration zu berücksichtigen. Es entspricht dem Grundgedanken der Eigenverantwortung der Sozialhilfe, in den Nachbargemeinden nach einer kostengünstigen Wohnung zu schauen, um so das Ausmass der Notlage verringern zu können. Dies gilt aber nur dann, wenn die Verwurzelung mit der Wohnsitzgemeinde beziehungsweise die soziale Integration nur in geringem Ausmass vorhanden ist und auch die Alltagsstrukturen nicht zwingend auf die jetzige Wohnsitzgemeinde zugeschnitten sind. Der unterstützten Person ist eine genügend grosse Zeitspanne (Kündigungsfristen, -termine etc.) einzuräumen, um den Wohnungswechsel vollziehen zu können. Eine Kündigung der Wohnung darf nicht verlangt werden. Der Nachweis der Wohnungsbemühungen ist zu quantifizieren.Weigert sich eine unterstützte Person, eine günstigere Wohnung zu suchen oder in eine effektiv verfügbare und zumutbare günstigere Wohnung umzuziehen, so werden die Wohnungskosten nur noch gemäss angemessenem Bedarf im Umfang der Mietzinsrichtlinien übernommen. Die Anpassung der Wohnungskosten ist in Form einer beschwerdefähigen Verfügung zu erlassen und entsprechend zu begründen. Findet die unterstützte Person während der gesetzten Frist keine günstigere Wohngelegenheit, kann aber nachweisen, dass sie sich erfolglos bemüht hat, so ist eine Anpassung der Wohnungskosten nicht zulässig. In diesem Fall ist eine neue Frist anzusetzen (siehe Handbuch Sozialhilfe Kanton Aargau).

Schlussfazit: Die Wohnungskosten sind vorerst in der Höhe von Fr. 500.-- zu übernehmen. Liegen sie über dem Grenzwert für eine Person in einem 4-Personenhaushalt der Unterstützungsgemeinde, ist zu prüfen, ob es Gründe gibt, um die überhöhten Kosten weiterhin zu bezahlen. Gibt es keine, ist der Antragstellerin eine Frist zum Wechsel in eine günstigere Wohnung (oder auch der Reduktion der Mietkosten am aktuellen Wohnort) zu stellen und bis zum Ablauf dieser Frist weiterhin Fr. 500.-- zu bezahlen.

Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse