Ich habe die Vormundschaft für einen 15jährigen Jugendlichen, der in einer Institution für Kinder mit einer kognitiven Beeinträchtigung lebt. Aufgrund von schweren Verhaltensauffälligkeiten mit Fremdgefährdung wird es von den Betreuenden als notwendig erachtet, den Jugendlichen zeitweise in seinem Zimmer einzuschliessen. Die Institution verlangt nun meine schriftliche Zustimmung zu dieser Massnahme.
- Liegt die Verantwortung für eine solche Massnahme bei mir oder bei der Institution?
- Muss ich dazu meine Zustimmung geben?
Besten Dank.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Grüezi Frau Ziswiler
Eine Frage: in welchem Kanton befindet sich das Heim?
Freundliche Grüsse
Karin Anderer
Im Kanton Luzern.
Besten Dank.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrte Frau Ziswiler
Als Vormundin stehen Ihnen nach Art. 327c Abs. 1 ZGB die gleichen Rechte zu wie den Eltern.
Im ZGB ist in den Art. 383 bis 387 die Einschränkung der Bewegungsfreiheit nur für urteilsunfähige erwachsene Heimbewohner geregelt. Regelungen für Minderjährige lassen sich nur punktuell finden, so haben etwa verschiedene Kantone Rechtsgrundlagen geschaffen um für Disziplinierungs- und Sicherungsmassnahmen im Jugendstraf- und Massnahmenvollzug und in der stationären Jugendhilfe eine genügende rechtliche Grundlage zu schaffen (vgl. dazu Mösch Payot Peter, Rechtliche Rahmenbedingungen für freiheitsbeschränkende Massnahmen im Heimbereich, in ZKE 2014, S. 5-30, 17).
Das Heim befindet sich im Kanton Luzern, dort gibt es keine kantonalen Rechtsgrundlagen für den fraglichen Bereich.
Das zeitweise Einschliessen im Zimmer gehört zu den freiheitsbeschränkenden Massnahmen. Es dürfte sich hier um eine Sicherheitsmassnahme oder um eine disziplinarische Massnahme handeln. Bei Sicherheitsmassnahmen handelt es sich um Freiheitsbeschränkungen, mit dem Ziel, die Sicherheit des Betroffenen, von Mitarbeitenden in der Institution oder Dritten zu schützen. Disziplinarische Massnahmen sind Reaktionen auf Regelüberschreitungen und zielen auf die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und eines geordneten Zusammenlebens innerhalb einer Institution ab. Sie verfolgen oft auch erzieherische und Sicherheitsinteressen (vgl. zum Begriff Mösch 10 ff.).
Der 15jährige Jugendliche kann zunächst einmal selbst in die freiheitsbeschränkende Massnahme einwilligen. Dazu muss er urteilsfähig und umfassend aufgeklärt worden sein. Diese Einwilligung kann er auch im Voraus geben. Liegt ein erheblicher Schutz- und Erziehungsbedarf vor, lässt sich allerdings ein Vertretungsrecht von Ihnen als Vormundin rechtfertigen (vgl. dazu Mösch 20 f.).
Ist der Jugendliche urteilsunfähig, ist von Ihnen als gesetzliche Vertreterin die Zustimmung einzuholen.
Sie müssen sich also in jedem Fall überzeugen, ob die Massnahme im Einklang mit dem Kindeswohl steht. Auch muss sie verhältnismässig sein, d.h. sie ist geeignet, erforderlich und zumutbar, um die Fremdgefährdung abwenden bzw. das erzieherische Ziel avisieren zu können. Insbesondere stellen sich Fragen nach Handlungsalternativen, was könnte dem Jugendlichen an Alternativen angeboten werden? Eine Institution soll auch über ein Konzept im Umgang mit freiheitsbeschränkenden Massnahmen verfügen. Darin legt sie ihre Haltung, Alternativen, Art der Massnahmen und Vorgehensweisen transparent nieder. Im Rahmen von „Platzierungsvertragsverhandlungen“ ist es doch von besonderem Interesse zu wissen, wie eine Institution in diesem heiklen Bereich arbeitet.
Fazit
Die Anordnung von freiheitsbeschränkenden Massnahmen an Minderjährigen erfolgt mangels spezifischer Rechtsgrundlagen seitens des Heims, als delegierte Ausübung der elterlichen Aufgaben. Von daher liegt die Verantwortung primär bei den Eltern bzw. bei Ihnen als Vormundin.
Da sich die elterliche Sorge am Wohl des Kindes zu orientieren hat (vgl. Art. 296 und 327c ZGB) ist dieser Bezugspunkt auch Grenze der Delegation.
Auch wenn der urteilsfähige Jugendliche aufgeklärt und freiwillig in die freiheitsbeschränkende Massnahmen eingewilligt hat, sind m.E. wichtige Bezugspersonen und gesetzliche Vertreter immer über die Anwendung freiheitsbeschränkender Massnahmen zu informieren, auch wenn sie nicht zustimmen müssen.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich
Luzern, 18.2.2019
Karin Anderer