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Zuständigkeitsfrage bei Volljährigkeit einer Person, welche sich in einer Pflegefamilie befindet

Veröffentlicht:
28.08.2020
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag

A.B. lebte bis im Jahr 2017 bei seiner Mutter am Wohnort XX (Kanton Bern). Es fand eine freiwillige Platzierung in die Pflegefamilie B. statt (Gemeinde ZZ, Kanton Bern). Die Platzierungskosten wurden durch den Sozialdienst am Wohnort XX übernommen. Die Kindsmutter ist kurze Zeit später nach YY umgezogen (Kanton Jura). A.B. begründete somit neu seinen zivilrechtlichen Wohnsitz bei der Mutter am Wohnort YY, der Sozialdienst der Gemeinde XX blieb jedoch infolge des ZUG weiterhin für die Bezahlung der Platzierungskosten zuständig.

Nun ist A.B. im Verlaufe des Monats August 2020 volljährig geworden. Er befindet sich nach wie vor in Ausbildung und ein weiterer Aufenthalt in der Pflegefamilie bis mindestens Ende Ausibldung war bereits beim Abschluss des Pflegevertrages vorgesehen.

Nun hat die örtliche KESB entschieden, dass A.B. ab Volljährigkeit seinen zivilrechtlichen Wohnsitz in der Gemeinde ZZ begründen wird (= Wohnsitz der Pflegeeltern) und die Beistandschaft somit durch die Gemeinde ZZ zu übernehmen sei.

Der Sozialdienst der Gemeinde ZZ erklärte sich damit nicht einverstanden mit der folgenden Begründung: Die Unterbringung in einer Institution, in einem Heim oder Spital begründet keinen Unterstützungswohnsitz. Das Gleiche gilt bei Angeboten des betreuten und begleiteten Wohnens (vgl. Stichwort "Wohnsitz" BKSE (Berner Konferenz für Sozialhilfe, Kindes- und Erwachsenenschutz); Art. 12 Abs. 2 SHV Kanton Bern). 

Die zuständige KESB antwortete wie folgt: Der zivilrechtliche Wohnsitz ist dort, wo eine volljährige Person sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Zudem muss die Person zur Begründung eines selbständigen Wohnsitzes urteilsfähig sein. Der Aufenthalt an einem Ort zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz. Diese gesetzliche Vermutung kann jedoch etwa dadurch umgestossen werden, dass eine urteilsfähige Person freiwillig in eine Einrichtung eintritt und sich dort mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Die Verlegung des Lebensmittelpunktes aus freien Stücken und mit der Absicht dauernden Verbleibens begründet Wohnsitz in der Einrichtung und lässt nicht etwa gemäss Art. 24 Abs. 1 ZGB den bisherigen Wohnsitz als fiktiven beibehalten. Zweck der Wohnsitzanknüpfung ist es, die Zuständigkeit möglichst am Lebensmittelpunkt der betroffenen Person zu begründen. Daher ist in diesem Zusammenhang der Wohnsitzbegriff funktionalisiert resp. zweckbezogen auszulegen. Zur Gemeinde XX bestehen vorliegend auch keinerlei Anknüpfungspunkte mehr.

Die Bejahung der örtlichen Zuständigkeit hat keine Auswirkungen auf die unterstützungsrechtliche Kostentragung, welche an den unterstützungsrechtlichen Wohnsitz anknüpft.

Obwohl auch diese Antwort nicht zufriedenstellend war und die Begründung des zivilrechtlichen Wohnsitzes trotz Heimaufenthalt nicht nachvollziehbar ist, erklärte sich der Sozialdienst der Gemeinde ZZ einverstanden, die Beistandschaft zu übernehmen.

Nun erklärte die Gemeinde XX, dass nun auch die Platzierungskosten durch die Gemeinde ZZ zu tragen seien, da gemäss Art. 46 SHG des Kantons Bern die Gewährung der Sozialhilfe an Personen mit Aufenthalt im Kanton Bern der Gemeinde obliegt, in der die bedürftige Person ihren zivilrechtlichen Wohnsitz hat. Das ZUG würde keine Anwendung finden, da sich die Gemeinde ZZ (wie die Gemeinde XX) ebenfalls im Kanton Bern befindet.

 

Nun  die Fragen: Muss die Gemeinde ZZ nun künftig tatsächlich für diese Heimkosten aufkommen, nur weil die örtliche KESB entschieden hat, dass der zivilrechtliche Wohnsitz von A.B. nun in der Gemeinde ZZ ist und die Übernahme der Beistandschaft durch die Gemeinde ZZ schlussendlich auf Druck der KESB akzeptiert wurde? Welche Möglichkeiten bestehen allenfalls, sich dagegen zu wehren? (Anmerkung: die örtliche KESB hat den Sozialdienst der Gemeinde ZZ ja schliesslich darüber informiert, dass "die Bejahung der örtlichen Zuständigkeit keine Auswirkungen auf die unterstützungsrechtliche Kostentragung hat, welche an den unterstützungsrechtlichen Wohnsitz anknüpft" (siehe obenstehend).) Eine Übernahme der Beistandschaft bedeutet ja nicht, dass somit auch dem gesetzlichen Wohnsitz zugestimmt wird, sondern dass die Betreuung der betroffenen Person sichergestellt ist.

Und noch weiter: Diese Begründung der KESB würde ja bedeuten, dass sämtliche Personen, welche freiwillig und mit der Absicht des dauernden Aufenthaltes in eine Institution (Heim) eintreten, ihren gesetzlichen Wohnsitz an den Ort der Institution verlegen könnten und somit dann die Gemeinde am Sitz der Institution (sofern im gleichen Kanton und das ZUG folglich keine Anwendung findet) gemäss SHG dann unterstützungspflichtig wäre. Dies wäre doch ganz klar nicht im Sinne des Gesetzes und sämtliche Gemeinden, in welchen sich solche Institutionen befinden, wären finanziell schwer belastet...

Ich danke für Ihre zeitnahe Rückmeldung.

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Binggeli

Vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne wie folgt beantworte:

Sie führen richtig aus, dass nach Art. 46 Abs. 1 des Sozialhilfegesetztes des Kantons Bern (SHG BE, SGS 860.1) imm INNERkantonalen Verhältnis diejenige Gemeinde unterstützungspflichtig ist, in der eine Person ihren zivilrechtlichen Wohnsitz hat.

Ob der Klient bei Eintritt seiner Volljährigkeit seinen zivilrechtlichen Wohnsitz in die Gemeinde ZZ verlegen konnte, ist für mich zwar äusserst fraglich. Gehen wir davon aus, dass der Klient seinen zivilrechtlichen Wohnsitz bei Volljährigkeit nicht in die Gemeinde ZZ verlegen konnte, dann hat er ihn nach wie vor am letzten Ort seines zivilrechtlichen Wohnsitzes, denn der zivilrechtliche Wohnsitz bleibt so lange bestehen, bis ein neuer begründet wird. Das ist im Kanton Jura in der Gemeinde YY.

Welche Folgen hat dies?

Im INTERkantonalen Verhältnis ist nicht der zivilrechtliche Wohnsitz sondern der Unterstützungswohnsitz nach dem Zuständigkeitsgesetz (ZUG, SR 851.1) massgebend. Gemäss Art. 4 Abs. 1 ZUG hat der Bedürftige seinen Unterstützungswohnsitz in dem Kanton, in dem er sich mit der Absicht des dauernden Verbleibs aufhält. Der Aufenthalt in einem Heim, einem Spital oder einer anderen Einrichtung begründet nach Art. 5 ZUG keinen Unterstützungswohnsitz. Das minderjährige Kinde behält unabhängig von seinem Aufenthaltsort den Unterstützungswohnsitz der Eltern (Art. 7 Abs. 1 ZUG). Haben die Eltern keinen gemeinsamen zivilrechtlichen Wohnsitz, so hat das minderjährige Kind einen eigenen Unterstützungswohsitz am Wohnsitz des Elternteils, bei dem es überwiegens wohnt (Art. 7 Ans. 2 ZUG). Es hat einen eigenen Unterstützungswohnsitz am letzten Unterstützungswohnsitz nach den Absätzen 1 und 2, wenn es dauernd nicht bei den Eltern oder einem Elternteil wohnt (Art. 7 Abs. 3 Lit. c ZUG).

Der Klient hat aufgrund seiner Fremdplatzierung während seiner MInderjährigkeit einen eigenen Unterstützungswohnsitz am letzten Unterstützungswohnsitz vor seiner Fremdplatzierung begründet (ich gehe davon aus, dass die Mutter sorgerechtsberechtigt ist). Dies war dann die Gemeinde XX im Kanton Bern, weil er im Zeitpunkt der Platzierung als Minderjähriger mit seiner Mutter dort gelegt hat. Dies hat zur Folge, dass im INTERkantonalen Verhältnis der Unterstützungswohnsitz im Kanton Bern geblieben ist.

Zwischenfazit: Der Kanton Bern ist zuständig für die Unterstützung des Klienten, auch wenn der Klient seinen zivilrechtlichen Wohnsitz im Kanton Jura haben sollte.

Wenn wir nun davon ausgehen, dass der zivilrechtliche Wohnsitz nach wie vor im Kanton Jura ist, gibt es im Kanton Bern keinen zivilrechtlichen Wohnsitz und Art. 46 Abs. 1 SHG BE kann nicht zur Anwenung gelangen. Dann kommt Art. 46 Abs. 2 SHG BE zur Anwendung. Dort steht, dass die Gewährung der Sozialhilfe der Aufenthaltgemeinde obliegt, wenn kein Wohnsitz im Kanton besteht. Die Aufenthaltsgemeinde ist die Gemeinde ZZ, da sich der Klient dort bei der Pflegefamilie aufhält.

Wenn wir davon ausgehen, dass der Klietn den zivilrechtlichen Wohnsitz, so wie die KESB ausführt, mit seiner Volljährigkeit in die Gemeinde ZZ verlegen konnte, so ist nach Art. 46 ABs. 1 SHG BE ebenfalls die Gemeinde ZZ zuständig.

Schlussfolgerung: Innerhalb des Kantons Bern ist die Gemeinde ZZ für die Unterstützungs des Klienten zuständig unbesehen davon, ob er auch seinen zivilrechtlichen Wohnsitz dort hat oder nicht.

Diese Lösung finde ich rechtlich ebenfalls sehr unbefriedigend, denn sie führt tatsächlich dazu, dass Gemeinden mit Institutionen zur Fremdplatzierung allenfalls höhere Sozialhilfekosten tragen müssen. Das ZUG will gerade dies verhindern, wenn es in Art. 5 festhält, dass der Eintritt in ein Heim keinen Unterstützungswohnsitz begründen kann. Der Kanton Bern hat betreffend seine Regelung meiner Meinung nach vermutungsweise übersehen, dass der zivilrechtliche Wohnsitz gerade bei Fremdplatzierungen ausserhalb des Kantons liegen kann und dies dazu führt, dass Gemeinden mit Institutionen mehr Kosten tragen müssen. Ich kann Ihnen dafür leider keine Lösung bieten. Allenfalls lässt sich argumentieren, dass es sich um eine Gesetzeslücke handelt, die von der Rechtsprechung dahin gehend zu füllen ist, dass die Gemeinde zuständig ist, die vor der Verlegung des zivilrechtlichen Wohnsitzes in einen anderen Kanton zuständig war, zuständig bleiben soll. Wenn Sie das geltend machen wollen, könnten Sie gestützt auf Art. 46 Abs. 3 SHG BE eine Klage beim Regierungsstatthalter des Verwaltungskreises der Gemeinde ZZ einreichen.

Ergänzend möchte ich noch ausführen, dass bei dieser rechtlichen Betrachtung der Sachlage die Gemeinde ZZ bereits seit dem Wechsel des zivilrechtlichen Wohnsitzes in den Kanton Jura für die Bezahlung der Unterstützungsleistungen zuständig gewesen wäre und mit der aktuellen Lösung Kosten spart.

Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen kann, auch wenn ich befürchte, dass sie nicht in Ihrem Sinn ist.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach