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Zuständigkeiten klären D oder CH bei FU

Veröffentlicht:
12.07.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Guten Tag
Ich bin beauftragt mit einer Abklärung einer Situation, in welcher ein 14 jähriger Jugendlicher im Raum Aargau fremdplatziert wurde. Seine Kindseltern sind arbeitslos und leben in D. Die Großeltern (GE) sind seit der Geburt seine Vormunde und leben seit 2012 in der CH. Der Jugendliche wurde per Polizei direkt in ein Heim eingewiesen, da er die Großmutter bedroht habe und diese um ihr Leben fürchtete. Diese sieht sich nun mit Rechnungen von fast 1200.- konfrontiert, zumal sie das Gesundheitszentrum Fricktal über das Ereignis mit ihrem „Kind“ informiere und es hierauf zur polizeilich geführten Intervention kam, die eine sofortige Fremdplatzierung nötig machte.
Es ist für beide GE sowie mich bisher folgendes unklar:

  1. Wer übernimmt die Kosten für diese Unterbringung d.h. diese 1200.- haben die GE der Gemeinde bereits bezahlt, sind aber unsicher, ob nicht im Endeffekt die Gemeinde (oder sonst wer) dafür aufzukommen habe. Der Jugendliche musste fremdplatziert werden gegen seinen Willen. Er lebte vor der Fremdplatzierung in X (CH).
  2. Welche finanzielle Unterstützung steht den Grosseltern in Ihrer Rolle als Vormunde, zu (Vormundschaftsgelder o.ä.)? Wer ist hier zuständig, die CH oder D?
  3. Welche Alimente stehen zu, wenn die Eltern (beide sind in D und arbeitslos) nicht dafür aufkommen können? Lassen sich diese ggf. bevorschussen? Auch hier: Wer ist zuständig, D oder CH?
  4. Wie soll die aktuelle Pflegekostenfinanzierung mit dem Heim kommuniziert werden? Dies vor dem Hintergrund, dass die GE noch keinen Betrag erhielten, dieser aber mit voraussichtlich 1000.- pro Monat, deren finanzielle Verhältnisse sprengt. Wer kann hier Unterstützung leisten?
    Sorry wenn ich da noch etwas unsicher bin.
    Freundliche Grüsse
    Diego von May
    Sozialarbeiter FH MAS
    Arbeitstage: Montag, Dienstag und Mittwoch

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrter Herr von May
Ich versuche, Ihnen hier im Rahmen der Kurzberatung ein paar Anhaltspunkte zu geben. Der Fall ist komplex, hat Auslandsbezug und bedarf einer vertieften Sachverhaltsabklärung.
Mit der Einreise in die Schweiz im Jahr 2012 bedurfte die in Deutschland angeordnete Vormundschaft der Überführung ins Schweizer Recht durch die KESB am gewöhnlichen Aufenthalt des Jugendlichen (Art. 15 Abs. 3 Haager Kindesschutzübereinkommen, HKsÜ). Auch hätte der Familienplatzierung nach Art. 33 HKsÜ von der zuständigen Behörde in der Schweiz zugestimmt werden müssen.
Die Grosseltern sind private Mandatspersonen und benötigen offenbar Beratung, Unterstützung und Instruktion in der Mandatsführung. Nach § 42 Abs. 2 EG ZGB ist die KESB verantwortlich für die fachliche Führung, Instruktion und Unterstützung der Beiständinnen und Beistände (was auch für die Vormunde des Kindesschutzrechts) gilt.
Die Grosseltern sind zugleich Pflegeeltern, weshalb sie seit Zuzug 2012 über eine Pflegeplatzbewilligung verfügen müssen. Im Rahmen dieses Bewilligungsverfahren mussten die finanziellen Verhältnisse geklärt werden: das Pflegegeld und somit auch der Beitrag der Eltern an den Unterhalt ihres Sohnes in einem Pflegevertrag, idealerweise schriftlich. Diesem Vertrag ist auch zu entnehmen, was den Pflegeeltern an Auslagen- und Verwendungsersatz für die Unterkunft, Ernährung und Nebenkosten zukommt und ob sie eine Vergütung für die Erziehung und Betreuung erhalten (vgl. dazu Karin Anderer, Das Pflegegeld in der Dauerfamilienpflege und die sozialversicherungsrechtliche Rechtsstellung der Pflegeeltern, Diss. Luzern, 2011, Zürich 2012, N 102 ff.). Im Bewilligungsverfahren wären die Pflegeeltern auch über sozialversicherungsrechtliche Ansprüche zu informieren gewesen, insbesondere wenn sie das Pflegeverhältnis unentgeltlich ausüben (vgl. dazu Anderer, N 328 ff.).
Ob ein Pflegevertrag abgeschlossen wurde, ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Wurde kein Pflegevertrag abgeschlossen, ist es ratsam, das nachzuholen, sofern der Jugendliche wieder bei den Grosseltern leben wird. Jedenfalls soll pro futuro geklärt werden, wer was und in welcher Höhe an den Auslagen- und Verwendungsersatz und die Vergütung zu begleichen hat. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang, dass die Grosseltern einen Anspruch auf ein Pflegegeld erheben und nicht verpflichtet werden können, das unentgeltlich zu tun (vgl. dazu Anderer, N 170 ff.). Den Pflegevertrag können die Grosseltern als gesetzliche Vertreter und Pflegeeltern nicht selbst abschliessen, die KESB hat hier das Vorgehen zu bestimmen.
Der Jugendliche wurde gemäss den Angaben gegen seinen Willen platziert. Handelt es sich um eine geschlossene Einrichtung, so liegt eine fürsorgerische Unterbringung vor. Angeordnet hat diese Platzierung entweder die KESB gestützt auf Art. 327c Abs. 3 ZGB oder oder der zuständige Arzt bzw. die Ärztin gestützt auf Art. 327c Abs. 3 ZGB i.V.m. § 46 EG ZGB. Handelt es sich nicht um eine geschlossene Einrichtung, so sind die Grosseltern kraft Vormundschaft für die Platzierung zuständig, den Platzierungsvertrag müssen sie gestützt auf Art. 327c Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 416 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB der KESB zur Zustimmung unterbreiten (BK-Affolter/Vogel, Art. 327c N 48 ff.)
Möglich ist allerdings auch, dass die Jugendanwaltschaft involviert ist und es sich um eine jugendstrafrechtliche Platzierung handelt. Von dem gehe ich vorliegend nicht aus und gehe darauf nicht weiter ein.
Die Polizei hat keine Kompetenz, Heimeinweisungen anzuordnen, sie schreitet bei Gefahr ein, verständigt die KESB, die Strafverfolgungsbehörde oder zieht den Arzt bzw. die Ärztin bei.
Für die Kosten von zivilrechtlichen Kindesschutzmassnahmen, Familienplatzierungen wie auch Heimplatzierungen, kommen nach Art. 276 Abs. 2 ZGB die Eltern auf, sind sie leistungsunfähig so hat nach Art. 293 Abs. 1 ZGB das Gemeinwesen für den Unterhalt aufzukommen. Zuständig ist nach Art. 7 Abs. 3 lit. a ZUG der Sitz der KESB, unter dessen Vormundschaft das Kind steht. Im Kanton Aargau regelt § 22 EG ZGB, wo sich der Sitz der KESB befindet; ob das die Gemeinde M. ist, kann ich nicht abschliessend beurteilen. Kommt das Gemeinwesen für den Unterhalt des Jugendlichen auf, so hat es nach Art. 289 Abs. 2 ZGB den Unterhaltsanspruch des Kindes bei den Eltern einfordern, ggf. muss er gerichtlich festgesetzt werden.
Die Grosseltern sind nicht unterhaltspflichtig und müssen weder die Heimkosten noch die Kosten der Familienplatzierung (bei sich selbst) finanzieren, können aber, sofern sie in günstigen Verhältnissen leben, verwandtenunterstützungspflichtig werden (vgl. dazu Art. 328 f. ZGB und SKOS RL F.4).
Besteht bereits ein vollstreckbarer Unterhaltstitel, so kann die Alimentenbevorschussung beantragt werden.
Handelt es sich um ein ausländisches Kind, was vorliegend nicht bekannt ist, ist es allerdings möglich, dass sich die Pflegeeltern gestützt auf Art. 6 Abs. 3 PAVO vor der Einreise im Jahr 2012 schriftlich verpflichten mussten, ohne Rücksicht auf die Entwicklung des Pflegeverhältnisses für den Unterhalt des Kindes in der Schweiz wie für den eines eigenen aufzukommen und dem Gemeinwesen die Kosten zu ersetzen, die es an ihrer Stelle für den Unterhalt des Kindes getragen hat.
Das Gemeinwesen hat eine von der KESB angeordnete Heimplatzierung zu finanzieren (vgl. „Der Einbezug von Sozialhilfebehörden in die Entscheidfindung der Kindesschutzorgane, Empfehlungen der KOKES vom 24. April 2014“, Ziffer 3.3., abrufbar auf https://www.kokes.ch/assets/pdf/de/dokumentationen/empfehlungen/14EmpfehlungenEinbezugSH-BehrdenmitHinweisBGer.pdf). Auch eine von den Vormunden veranlasste Familienplatzierung (auch wenn es bei ihnen selbst ist) muss vom Gemeinwesen finanziert werden, allerdings sind die Vormunde gehalten, gegenüber dem finanzierenden Gemeinwesen darzulegen, aus welchen Gründen diese Massnahme angeordnet wurde, welche Alternativen geprüft wurden etc. (vgl. „Der Einbezug von Sozialhilfebehörden in die Entscheidfindung der Kindesschutzorgane, Empfehlungen der KOKES vom 24. April 2014“, Ziffer 3.2.).
Die Mandatsentschädigung der Grosseltern muss von der KESB jeweils festgelegt werden. Sie bemisst sich nach § 13 f. der Verordnung über das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht (V KESR). Regelmässig wird die Mandatsentschädigung im Rahmen der Berichts- und Rechnungsprüfung festgelegt. Ob die Grosseltern jemals Bericht und Rechnung abgelegt haben, ist unklar.
Ich hoffe, die Angaben helfen Ihnen weiter und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 12. Juli 2017
Karin Anderer