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Zuständigkeit

Veröffentlicht:
17.04.2020
Kanton:
Nidwalden
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag

 

Ich habe eine Frage bezüglich der Zuständigkeit zweier Gemeinden im Kanton NW.

 

L. befindet sich im 4. Ausbildungsjahr. Er hat bis am 08.10.2019 bei seiner Familie in der Gemeinde A. gelebt. Am 09.10.2019 ist er stationär in die LUPS eingetreten, der Klinikaustritt ist am 19.02.2020 erfolgt.

Es war bereits bei Klinikeintritt klar, dass L. aufgrund des konfliktreichen Familienverhältnisses nicht zurück in die Wohnung der Eltern ziehen kann. Er hat daraufhin einen Vertrag für eine Pension (Lehrlingsheim) in der Gemeinde S. unterzeichnet, gültig ab dem 01.11.2019. Aufgrund des schlechten Gesundheitszustands hat L. nur schrittweise Probeübernachtungen im Lehrlingsheim durchgeführt und ist immer wieder in die LUPS zurückgekehrt.

 

Nach dem Klinikaustritt am 19.02.2020 hat sich L. während der ganzen Woche im Lehrlingsheim aufgehalten – entgegen aller anderen Lehrlinge. Üblicherweise ist es so, dass die Lehrlings in der Gemeinde S. als Wochenaufenthalter angemeldet sind. Für L. ist im Pensionsvertrag jedoch geregelt worden, dass er sich ausnahmsweise für einen kleinen Aufpreis auch am Wochenende im Lehrlingsheim aufhalten darf. Gemäss Lehrlingsheim kann L. im Ausnahmefall Wohnsitz in der Gemeinde S. begründen und muss sich nicht "nur" als Wochenaufenthalter bei der Gemeinde anmelden. Die Gemeinde S. sieht dies jedoch anders: Für sie ist klar, dass das Lehrlingsheim auch in Ausnahmefällen keinen Wohnsitz in der Gemeinde begründen kann.

 

Anspruch auf Sozialhilfe

L. hat ab Dezember 2019 Anspruch auf WSH in der Gemeinde A. Die Gemeinde A. erklärt im Beschluss, dass die Zuständigkeit für WSH mit dem Ablauf des zweiten Monats nach Klinikaustritt auf die Gemeinde S. übergeht (gemäss Art. 7 Abs. 3 SHG). Dies würde bedeuten, dass ab Mai 2020 die Gemeinde S. für L. zuständig ist, obwohl sie der Zuständigkeit nicht zustimmt.

 

Kehrtwende: Auf Wunsch der Lehrlingsheims muss L. das Heim bereits frühzeitig verlassen. Er kann daraufhin per 08.04.2020 in die Gemeinde A. zurückziehen, wo er bei einer Art Pflegemutter wohnen kann. Die Pflegemutter ist jedoch keine "richtige Pflegemutter" – gemäss Jugendberatung NW nimmt die Frau hin und wieder mehrere junge Erwachsene bei sich auf. L. bezahlt monatlich eine Pauschale für Kost und Logis, muss nicht einkaufen gehen und darf sich auch für die auswärtige Mittagsverpflegung am Kühlschrank bedienen.

 

Fragestellung: Wie sieht es nun aus? Ist es korrekt, dass die Gemeinde A. ab Mai 2020 weiterhin zuständig sein wird, da der Wohnortwechsel noch vor Ablauf der Übergangsmonate stattgefunden hat? Oder steht dies sowieso ausser Frage, da das Lehrlingsheim auch im Ausnahmesituationen keinen Wohnsitz begründen kann?

 

Bemerkung: L. hat sich von der Gemeinde A. nie abgemeldet, obwohl er im Beschluss der Gemeinde A. explizit darauf hingewiesen worden ist.

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Käslin

Entschuldigen Sie die verzögerte Antwort. Aufgrund eines Versehens meinerseits ging Ihre Anfrage leider unter. Gerne beantworte ich nun aber Ihre Frage.

Die innerkantonale Zuständigkeit ist in Art. 7 SHG NW geregelt. Für die Feststellung des Unterstützungswohnsitzes, welche für die Gemeindezuständigkeit massgebend ist, verweist Art. 7 Abs. 1 SHG NW auf das Zuständigkeitsgesetz des Bundes (ZUG). Dabei sind im geschilderten Fall, der einen jungen Erwachsenen betrifft, die Bestimmungen nach Art. 4, 5 und 9 ZUG relevant.

Zur Frage der Begründung eines Unterstützungswohnsitzes im Lehrlingsheim: Zunächst wäre danach zu fragen, ob der Aufenthalt an einem Ort zu Ausbildungszwecken einen Unterstützungswohnsitz nach Art. 4 ZUG überhaupt zu begründen vermag, unabhängig davon, ob sich eine Person im Lehrlingsheim oder woanders aufhält. Schaut man auf den zivilrechtlichen Wohnsitz, wäre dies grundsätzlich ausgeschlossen. Denn Art. 23 ZGB hält fest, dass der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung für sich alleine gesehen keinen Wohnsitz begründen kann. Dies steht so nicht im Art. 4 ZUG. Dennoch lässt sich dem Kommentar von Werner Thomet zum Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (ZUG), Zürich 1994, in Rz. 102 entnehmen (mit Verweis auf einen älteren Entscheid des Bundesgerichts), dass Aufenthalt am Studienort keinen Wohnsitz begründen kann, da dieser Aufenthalt von seiner Natur und seinem Zwecke bloss vorübergehend sei. Belanglos seien dabei die Dauer und auch, wenn ein Student seine Ausweisschriften hinterlegt und auch seine politischen Rechte am Studienort ausübt. Handkehrum ist es im Einzelfall aber dennoch möglich, dass jemand seinen Wohnsitz an den Studienort verlegt, so wenn die Beziehungen zum früheren Wohnort stark gelockert sind und der Bezug zum Studienort sehr ausgeprägt ist z.B. eigene Familie, Job und Wohnung. Es ist eine Einzelfallbeurteilung notwendig. Im vorliegenden Fall spricht gegen die Begründung eines neuen Unterstützungswohnsitzes in der Gemeinde S., dass die Unterkunft nur ein Lehrlingsheim ist und diese Unterkunft mit der Lehre verbunden ist. Insoweit würde ich dazu tendieren, dass es sich um einen Sonderzweck handelt, der den bisherigen Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde A. nicht zu beenden vermag, so dass kein Wegzug nach Art. 9 ZUG vorliegt. Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei dem Lehrlingsheim um ein Heim gemäss Art. 5 ZUG handelt. Der Vollständigkeit halber kann dazu erwähnt werden, dass dies abhängig von Art und Mass der angebotenen Dienstleistungen, Grad der feststellbaren Fremdbestimmung, Abhängigkeitsgrad der betroffenen Person ist. Der Heimbegriff ist weit zu verstehen. Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Luzern A 09 108 vom 3.5.2010 würde aber ein reiner Wohnzweck in einer Institution den Heimcharakter nicht erfüllen. Es muss ein Zweck mit dem Heim verfolgt werden, der über das reine Wohnen hinausgeht.

Zur Unterbringung bei der Art Pflegemutter in der Gemeinde A.: Da die Zuständigkeit ohnehin bei der Gemeinde A. bleibt und die Pflegemutter sich in der Gemeinde A. befindet, erübrigt sich die Beantwortung der unterstützungsrechtlichen Einschätzung der Unterbringung bei der Pflegemutter. Auch hier kann der Vollständigkeit halber erwähnt werden, dass der Sonderzweck der Ausbildung wiederum wirken würde, wäre es eine andere Gemeinde. D.h. die Absicht dauernden Verbleibens des jungen Erwachsenen würde sich wiederum nicht verändern, da die Pflegeunterbringung im Kontext der Ausbildung zu sehen wäre. Dazu kommt noch, dass nach Art. 5 ZUG die behördliche Unterbringung einer volljährigen Person in Familienpflege keinen Unterstützungswohnsitz zu begründen vermag und somit auch keinen Wegzug nach Art. 9 ZUG. Handelt es sich nicht um eine behördliche Unterbringung, kann aber durchaus Unterstützungswohnsitz begründet werden – ausser es steht ein Sonderzweck wie vorliegend entgegen.

Insoweit erübrigt sich die Frage zur Übergangsregelung nach Art. 7 Abs. 3 SHG NW. Dazu ein Hinweis aber noch: Es handelt sich meiner Meinung um eine koodinationsrechtliche Bestimmung, damit der Wechsel der Sozialhilfezuständigkeit reibungslos stattfinden kann. Der Unterstützungswohnsitz beurteilt sich unabhängig davon nach den Regeln des ZUG (Art. 7 Abs. 1 SHG NW).

Ich hoffe, Ihnen mit den Ausführungen Ihre Frage beantwortet zu haben.

Freundliche Grüsse

Ruth Schnyder