Sachverhalt:
Die KESB Luzern bringt im Herbst 2018 eine Jugendliche in einem Heim im Thurgau unter, der Mutter wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen. Luzern bleibt für die Kosten zuständig, da der Wohnort des Kindes zum Zeitpunkt des Entzugs des Aufenthaltsbestimmungsrechtes Unterstützungswohnsitz bleibt.
Die Mutter (der Vater ist unbekannten Aufenthaltes im Ausland) lebt inzwischen im Kanton Uri.
Im März 2019 wird das Heim im Thurgau als IVSE-Einrichtung anerkannt. Die Kosten soll ab diesem Zeitpunkt die Wohnortgemeinde der Mutter im Kanton Uri übernehmen, da gemäss IVSE der zivilrechtliche Wohnsitz des Kindes (der bei der Mutter im Kanton Uri liegt) massgeblich sein soll.
Es ist damit zu rechnen, dass in Kürze ein Beschluss der KESB zu einem begleiteten Besuchsrecht ergeht, der ebenfalls mit Kosten verbunden ist.
Daraus ergeben sich folgende Fragen:
Ist es richtig, dass die Bestimmung gemäss IVSE, dass der zivilrechtliche Wohnsitz für die Kostenübernahme massgeblich ist, die Vorschriften des ZUG bricht, wonach sich bei einem Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes der Unterstützungswohnsitz nicht ändert?
Wer wäre für die Kosten eines begleiteten Besuchsrechtes zuständig? Der Unterstützungswohnsitz (also Luzern), der wegen des Entzugs des Aufenthaltsbestimmungsrechtes nicht wechselt? Oder auch die Gemeinde im Kanton Uri?
Für die Beantwortung der Fragen danke ich Ihnen herzlich.
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Herrscher
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage, bei welcher es um die Zuständigkeit bei einer Heimplatzierung eines Jugendlichen geht.
Bis zur IVSE-Anerkennung des Heimes im März 2019 war der Kanton Luzern für die Finanzierung zuständig, so wie ich Ihren Ausführungen entnehme gestützt auf Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG. Es handelt sich demnach um eine dauerhafte Fremdplatzierung. Das ZUG regelt die Zuständigkeit in solchen Fällen, soweit nicht die IVSE zur Anwendung gelangt. Kommt die IVSE zum Tragen, dann geht diese dem ZUG vor. Das Bundesgericht wich von diesem Grundsatz in einem konkreten Fall, wo die Anwendung der IVSE-Zuständigkeitsregelung eine Zuständigkeit am Aufenthaltsort des Kindes und damit am Standort der Einrichtung ergab. In diesem Fall gab das Bundesgericht der Regelung im ZUG den Vorrang (BGE 143 V 451 E. 9).
Durch die IVSE-Anerkennung des Heimes fällt das Heim in den Anwendungsbereich der IVSE. Die IVSE enthält keine Übergangsregelungen für derartige Fälle, so dass ich von einer sofortigen Anwendung nach Heimanerkennung ausgehe.
Im vorliegenden Fall kommt der Bereich A (vgl. Art. 2 IVSE) zur Anwendung, der von allen Kantonen ratifiziert wurde. Nach Art. 19 IVSE ist der Wohnkanton für die Finanzierung zuständig. Der Wohnkanton richtet sich nach dem zivilrechtlichen Wohnsitz der Person, die die Leistung beansprucht (Art. 4 lit. d IVSE). D.h. durch die IVSE-Unterstellung kommt nun anstelle des Unterstützungswohnsitzes nach ZUG der zivilrechtliche Wohnsitz zum Tragen. Dieser ist für Minderjährige in Art. 25 ZGB geregelt. Grundsätzlich leitet sich der zivilrechtliche Wohnsitz von jenem des alleine sorgeberechtigten Elternteils ab, unabhängig davon, wo sich das Kind aufhält.
Haben beide Eltern das gemeinsame Sorgerecht, ist die Situation differenzierter anzuschauen. Haben die sorgeberechtigten Eltern etwa unterschiedliche zivilrechtlichen Wohnsitz und wurde den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen, begründet das Kind den zivilrechtlichen Wohnsitz an seinem Aufenthaltsort (BGE 143 V 451 E. 7.4; vgl. auch die juristische Studie von Dr. iur. K. Anderer zur Wohnsitzregelung im Bereich A der IVSE auf der Webseite der IVSE, insbesondere die hilfreichen Prüfungsschemen im Anhang).
Ich gehe vorliegend aber davon aus, dass die Mutter das alleinige Sorgerecht hat, da der Vater unbekannten Aufenthalts ist. Ist dem nicht so, bitte ich Sie, sich nochmals zu melden. Demnach folgt der zivilrechtliche Wohnsitz des Kindes vorliegend jenem der Mutter, da sie nach meiner Annahme das alleinige Sorgerecht besitzt.
Ihren Ausführungen zufolge hat die Mutter mittlerweile ihren zivilrechtlichen Wohnsitz in Kanton Uri verlegt mit der Konsequenz, dass auch das Kind nun seinen zivilrechtlichen Wohnsitz im Kanton Uri hat. D.h. der Kanton Uri hat ab der IVSE-Anerkennung des Heimes Kostengutsprache im Sinne von Art. 19 IVSE zu leisten und entsprechend die Kosten zu übernehmen.
Anders verhält es sich jedoch in Bezug auf den Elternbeitrag der Mutter. Es handelt sich um den Unterhaltsbeitrag, welche die Eltern nach Art. 22 IVSE für Kost und Logis leisten müssen. Können die Eltern diesen Beitrag nicht leisten, kommt nach Abs. 2 von Art. 22 IVSE die Sozialhilfe dafür auf. D.h. es handelt sich hierbei effektiv um Sozialhilfekosten. Die Zuständigkeit für diese Kosten richtet sich dann nicht mehr nach der Regelung gemäss IVSE, sondern nach jener im ZUG. D.h. in Ihrem Fall wäre dafür immer noch der Kanton Luzern zuständig. D.h. im Umfang des Elternbeitrages nach Art. 22 IVSE könnte der Kanton Uri dem Kanton Luzern Kosten in Rechnung stellen.
Nun zu Ihrer Frage zum begleiteten Besuchsrecht:
Das begleitete Besuchsrecht fällt nicht in den Anwendungsbereich der IVSE (vgl. die Bereiche A – D der IVSE). D.h. die Finanzierungszuständigkeit richtet sich nach dem ZUG. Dabei ist vorfrageweise zu prüfen, wem solche Kosten im Grundsatz belastet werden: Dem Kind, oder dem betreffenden Elternteil? Im Handbuch des Kantons Luzern wird das begleitete Besuchsrecht jenem Elternteil belastet, für welchen es eingerichtet wurde (Kapitel C.1.3). D.h. ist der Elternteil, der das begleitete Besuchsrecht ausgelöst hat, bedürftig, kommt das für ihn zuständige Sozialhilfeorgan für die Kosten auf. Im Kanton Uri konnte ich zu dieser Thematik nichts finden. Soweit der Kanton Uri ebenfalls diese Praxis pflegt und im vorliegenden auch sachgerecht ist, wären die Kosten der Mutter zu belasten bzw., soweit sie ebenfalls wirtschaftliche Hilfe bezieht, der für sie zuständigen Gemeinde.
Es käme aber auch die Lösung in Frage, dass die Kosten des begleiteten Besuchsrechts dem Sozialhilfekonto des Kindes belastet würden, wenn der betreffende Elternteil nicht dafür aufkommen kann (analog des o.e. Elternbeitrags bei Heimaufenthalten). Dies lässt sich wie folgt begründen: Das begleitete Besuchsrecht stellt eine Kindesschutzmassnahme dar, wofür die Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht nach Art. 276 ZGB aufkommen müssen. Können die Eltern ihre Unterhaltspflicht nicht erfüllen, kommt das Gemeinwesen dafür gegenüber dem Kind auf und subrogiert in den entsprechenden Unterhaltsanspruch (Art. 289 Abs. 2 ZGB).
D.h. für die Frage des begleiteten Besuchsrechts gilt, dass die IVSE nicht zur Anwendung gelangt und sich die Zuständigkeit für die Kostenübernahme danach richtet, wem – dem Kind oder der Mutter – die Kosten belastet werden sollten. Nach Beantwortung dieser Vorfrage ist die Zuständigkeit auf Basis des ZUG zu beantworten.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen Ihre Fragen beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder