Hallo zusammen
Ich habe folgende Situation:
Ich betreue einen Klienten, der per 28.02.2022 seine aktuelle Wohnung verlassen muss. Derzeit hat er keine neue Wohnung gefunden. Die Suche nach einer neuen Wohnung zeigt sich als schwierig. Der Klient muss aufgrund seiner gesundheitlichen Situation (chrome fatigue Syndrome) einen entsprechenden ihm zustimmenden Wohnsitz finden. Nun teilte er mir mit, dass er per 01.03.2022 eine Wohnung (befristeten Mietvertrag) in einem anderen Kanton gefunden hat. In diesem würde er auch einen Rehaufenthalt (Eintrittsdatum unbekannt) absolvieren. Nun stellts sich mir die Frage, ob bei einem befristeten Kantonswechsel die Zuständigkeit bei der alten Gemeinde ist. Oder gibt es eine Art "Frist" ab wann man gemäss ZUG Art4. nicht mehr von der Absicht des dauerhaften Verbleibens spricht. Kann der Klient den Kanton wechseln und weiterhin von der aktuellen Unterstützungsgemeinde unterstützt werden? Oder gilt auch hier ein ganz normaler einmonatiger Übergangsmonat?
Art 9. ZUG besagt, Wer aus dem Wohnkanton wegzieht, verliert den bisherigen Unterstützungswohnsitz. Gilt dies bereits bei einem Wegzug in einen anderen Kanton oder erst nach ordentlicher Abmeldung bei der alten Gemeinde?
Vielen Dank im Voraus.
Grüsse
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
Da die neue Wohnung sich in einem anderen Kanton befindet, ist – wie Sie richtig schreiben – das Zuständigkeitsgesetz (ZUG, SR 851.1) massgebend, dafür, welcher Kanton unterstützungspflichtig ist.
Der Unterstützungswohnsitz einer volljährigen Person befindet sich nach Art. 4 ZUG dort, wo sie sich mit der Absicht des dauernden Verbleibens auf unbestimmte Zeit aufhält und sich tatsächlich und für Dritte erkennbar niedergelassen hat. Die polizeiliche Anmeldung ist keine Voraussetzung für die Begründung eines Unterstützungswohnsitzes. Wenn sich jemand mit der nach aussen erkennbaren Absicht des dauernden Verbleibens in einer Gemeinde niedergelassen hat und dort über eine ordentliche Wohngelegenheit verfügt, begründet er im Zeitpunkt seiner Niederlassung in jener Gemeinde seinen Unterstützungswohnsitz, auch wenn er sich dort aus welchen Gründen auch immer nicht polizeilich angemeldet bzw. in der alten Wohngemeinde nicht abgemeldet hat. Die polizeiliche Anmeldung - und bei Ausländern zusätzlich die Anwesenheitsbewilligung - begründen eine gesetzliche Wohnsitzvermutung. Diese kann umgestossen werden. Dass die betroffene Person trotz der gesetzlichen Wohnsitzvermutung keinen Wohnsitz genommen, den Wohnsitz aufgegeben oder ihn erst später begründet hat, muss der Meldekanton beweisen. Indizien für das Bestehen eines Unterstützungswohnsitzes sind namentlich: das Vorhandensein einer ordentlichen Wohngelegenheit (eigene Wohnung, Zimmer in einer WG, möbliertes Zimmer mit Mietvertrag oder Gebrauchsleihevertrag etc.), für Dritte erkennbare Umstände, die auf eine Absicht der betreffenden Person, sich in der Gemeinde niederzulassen, schliessen lassen (z.B. Postzustellung, Zeitungsabonnement, Telefonanschluss, Versuch, sich in der Gemeinde polizeilich anzumelden, Äusserungen gegenüber Dritten, in der Gemeinde zumindest bis auf Weiteres bleiben zu wollen, soweit diese Absicht durchführbar ist etc., der nicht von Vornherein lediglich vorübergehend geplante Aufenthalt (das heisst es besteht keine Absicht, innerhalb einer kurzen, zeitlich klar bestimmten Frist in die vorherige Wohngemeinde zurückzukehren oder in eine dritte Gemeinde zu ziehen).
Wenn sich jemand in einem Kanton zu einem bestimmten Zweck (Sonderzweck) aufhält, bleibt der bisherige Unterstützungswohnsitz bestehen. Das gilt insbesondere, wenn jemand
- einen Kuraufenthalt macht,
- zur Vermeidung von Obdachlosigkeit vorübergehend, d.h. von Vornherein für eine kurze Zeit befristet bei einem Verwandten oder Bekannten in einem anderen Kanton Unterschlupf nimmt (siehe SKOS Merkblatt Örtliche Zuständigkeit in der Sozialhilfe)
- in vergleichbaren Situationen ist.
Wenn ich den Sachverhalt richtig verstanden habe, zieht Ihr Klient in einen anderen Kanton, weil er seine Wohnung im Kanton Wallis verloren hat und nur in einem anderen Kanton anschliessend eine Wohnung gefunden hat, die er befristet mieten kann. Zudem plant er einen Rehaaufenthalt im anderen Kanton. Würde der Klient nur während des Rehaaufenthalts wegziehen, würde es sich klar um einen Sonderzweck handeln und die bisherige Gemeinde würde für die Unterstützung zuständig bleiben. Da der Klient nach meinem Verständnis des Sachverhalts aber insbesondere deshalb wegzieht, weil er seine Wohnung im Kanton Wallis verloren hat, ist zu prüfen, ob die befristete Miete einer Wohnung in einem anderen Kanton ebenfalls als Sonderzweck gelten kann und der bisherige Kanton bzw. die bisherige Gemeinde unterstützungspflichtig bleibt. Hat der Klient die Wohnung im anderen Kanton nur gemietet, um nicht obdachlos zu werden, ist der Mietvertrag auf relativ kurze Zeit (was eine relativ kurze Zeit ist, ist nicht abschliessend definiert. Es dürfte sich aber nicht um mehr als wenige Wochen handeln) befristet, plant der Klient nach Ablauf des Mietvertrages wieder in den Kanton Wallis möglichst in die bisherige Wohngemeinde zurückzukehren und ist entsprechend wieder auf der Suche nach einer Wohnung im Kanton Wallis, so könnte der Aufenthalt im anderen Kanton bei der vorliegenden Konstellation als Sonderzweck eingestuft werden. Dann bliebe der Wohnsitz im Kanton Wallis bestehen und die bisherige Gemeinde wäre weiterhin zur Unterstützung verpflichtet. Dies kann aber nur so lange gelten, bis der Klient nach relativ kurzer Zeit wieder Wohnung im Kanton Wallis nimmt. Hat der Klient zwar aktuell den Wunsch, spätestens nach Ablauf des befristeten Mietvertrages wieder in den Kanton Wallis zurückzukehren, tut er dies aber nicht und bleibt im neuen Kanton wohnen oder zieht gar in einen anderen Kanton weiter, endet der Aufenthalt zu Sonderzwecken und der bisherige Kanton bzw. die bisherige Gemeinde ist nicht mehr Unterstützungswohnsitz. Hat der Klient im anderen Kanton zwar einen befristeten Mietvertrag abgeschlossen, dauert der aber nicht nur relativ kurz, kann ebenfalls nicht von einem Aufenthalt zu Sonderzwecken ausgegangen werden und der Unterstützungswohnsitz am bisherigen Wohnort endet (Art. 9 ZUG). Der neue Wohnsitz- oder Aufenthaltsort wird – zumindest bei Schweizer Bürgern – unterstützungspflichtig (Art. 12 ZUG). Dies gilt grundsätzlich auch bei ausländischen Staatsangehörigen (Art. 20 ZUG). Allerdings müssen Drittstaatenangehörige mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung den Kantonswechsel beantragen und müssen bei Abweisung des Antrags allenfalls wieder in den Bewilligungskanton zurückkehren, um ordentliche Unterstützung zu erhalten (siehe SKOS Merkblatt Örtliche Zuständigkeit in der Sozialhilfe).
Fazit: Die bisherige Gemeinde könnte vorübergehend unterstützungspflichtig bleiben, wenn und solange man den Aufenthalt des Klienten als «Aufenthalt zu Sonderzwecken» definieren kann. Kann man dies nicht oder nicht mehr, ist der Kanton, in den der Klient weggezogen ist, als Wohnsitz oder zumindest Aufenthalt unterstützungspflichtig. Bei ausländischen Drittstaatangehörigen gilt dies nur so lange, bis der Kantonswechsel allenfalls abgelehnt wird.
Ergänzend sei ausgeführt, dass bei einem Wegzug nach SKOS-RL C.4.3 Abs. 4 eine Übergangsfrist von 1 Monat besteht (auf die SKOS-RL wird in Art. 10 Abs. 6 des Gesetzes über die Eingliederung und die Sozialhilfe [GES, SGS 850.1] verwiesen) und für diesen Monat die bisherige Sozialhilfe Unterstützung leisten muss. Diese Regelung kommt vorliegend nur zur Anwendung, wenn der Aufenthalt im anderen Kanton nicht als Sonderzweck definiert werden kann.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach