Guten Morgen
In der Zusammenarbeit mit dem subsidiär kostenpflichtigen Gemeinwesen (Soziale Dienste der Stadt Chur) stellt sich im nachfolgenden Fall die Frage, welche Partei (Berufsbeistandschaft, Soziale Dienste, sorgeberechtigte Mutter) für die Einsprache gegen einen Einstellungsverfügung der SVA BL berechtigt, bzw. in der Pflicht ist.
Ausgangslage:
R. wurde von Dezember 2015 bis Dezember 2018 (mit Unterbrüchen) zusammen mit seiner Mutter, seiner Zwillingsschwester S. und seinem jüngeren Bruder J. mit öffentlicher Sozialhilfe unterstützt. R. und S. erhalten via IV-Rente des Vaters (wohnhaft in BL) Kinderrenten und Ergänzungsleistungen. Die Ergänzungsleistungen der beiden Kinder wurde am 01.12.17 zusammen verfügt und an das subsidiär kostenpflichtige Gemeinwesen, bzw. an die Sozialen Dienste abgetreten. R. wird aufgrund einer Kindesschutz-Massnahme ab 01.01.2019 in einer eigenen Unterstützungseinheit geführt. Die Mutter wird mit Bruder J. separat unterstützt. S. kann aufgrund Kinderrente und EL nun von der Sozialhilfe abgelöst werden. Die Ergänzungsleistungen werden für die beiden Kinder separat von der zuständigen Behörde (SVA Kanton BL) verfügt. S. erhält rückwirkend ab Januar 2019 mehr Ergänzungsleistungen (aufgrund Auszug R. aus dem Haushalt), die Ergänzungsleistungen von R. werden dagegen rückwirkend ab Januar 2019 eingestellt und von der Sozialhilfebehörde zurückgefordert, da die Heimtaxen bei der Berechnung nicht als Ausgaben berücksichtig werden.
Alle involvierten Stellen sind der Meinung, dass die Heimtaxen als Ausgabe berücksichtigt werden müssen, da diese im Rahmen der Sozialhilfe finanziert werden (s. SKOS-Budget v. 01.07.19).
Die Kindesschutzmassnahme wird ohne Vermögensverwaltung geführt. Die Mutter kann jedoch im Rahmen der Mandatsführung, wo nötig, ua. in den Bereichen Freizeit und Wohnen (inkl. Sicherstellung der Finanzierung) durch den Beistand vertreten werden (Art. 308 Abs. 2 ZGB).
Ist es vorgesehen, dass der Beistand mit der Kindsmutter diesen Sachverhalt bespricht und eine entsprechende Einsprache vorbereitet oder ist es Aufgabe der Sozialhilfebehörde, eine mögliche Einsprache durchzuführen?
Wir bedanken uns sehr herzlich für die Beantwortung der vorliegenden Fragestellung.
Andreas Flütsch
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrte Herr Flütsch
Für die Beantwortung Ihrer Frage müsste ich über genaue Aktenkenntnisse verfügen. Im Rahmen der Kurzberatung kann ich Ihnen eine allgemeine Einschätzung geben.
Der Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL), Stand: 01.01.2019 (abrufbar auf https://sozialversicherungen.admin.ch/de/d/6930/download), können Sie Ziffer 1120.06 entnehmen, dass eine anmeldeberechtigte Person zur Einsprache-und Beschwerdeerhebung befugt ist.
Nach Ziffer 1120.03 WEL sind Personen und Behörden zur Anmeldung befugt, wenn sie eine Unterhaltspflicht gegenüber der Person erfüllen oder in absehbarer Zeit erfüllen werden. Art. 20 ELV regelt, dass der Anspruch auf eine jährliche Ergänzungsleistung durch eine schriftliche Anmeldung geltend gemacht wird. Artikel 67 Abs. 1 AHVV ist sinngemäss anwendbar. Art. 67 Abs. 1 AHVV regelt: Zur Geltendmachung befugt sind der Rentenansprecher bzw. für ihn sein gesetzlicher Vertreter, sein Ehegatte, seine Eltern oder Grosseltern, seine Kinder oder Enkel, seine Geschwister sowie die Drittperson oder die Behörde, welche die Auszahlung an sich verlangen kann.
Weder Mutter noch Kind sind zur Geltendmachung befugt, da sie nicht rentenberechtigt sind; die IV-Kinderrente ist ein Anspruch des Vaters. Als Ehegattin des IV-Rentners wäre sie dazu allerdings befugt (vgl. Koch/Carigiet, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, 2. Aufl. 2009, 130).
Das unterstützende Gemeinwesen ist somit einsprache- und beschwerdeberechtigt, da es nach Art. 20 ATSG die Auszahlung an sich verlangen kann (vgl. Félix Frey, Hans-Jakob Mosimann, Susanne Bollinger, AHVG/IVG Kommentar, 2018, Art. 59 ATSG, N 8). Das hat die Gemeinde hier auch getan (Hinweis: es besteht eine Abtretungs- und Verpfändungsverbot, es handelt sich um eine Drittauszahlung, vgl. dazu auch das Merkblatt 3.05 Drittauszahlung von Leistungen der AHV/IV/EO/EL/FZ der Informationsstelle AHV/IV in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sozialversicherungen, Nachdruck 2017, abrufbar auf http://www.ahv-iv.ch/p/3.05.d).
Ebenso ist der Vater einsprache- und beschwerdeberechtigt.
Der Auftrag nach Art. 308 Abs. 2 ZGB legitimiert den Beistand nicht, eine Einsprache- und Beschwerde zu erheben. Auch wenn die Sicherstellung der Finanzierung der Kindesschutzmassnahme angeordnet wurde, würde es in jedem Fall eine Prozessführungsbefugnis nach Art. 416 Abs. 9 benötigen. Zu prüfen wäre zusätzlich, ob die Beschwerdelegitimation im EL-Verfahren vorliegt.
Vorliegend ist eine Absprache zwischen den Einsprache- und Beschwerdeberechtigten, also zwischen unterstützendem Gemeinwesen, Vater und Beistand notwendig. Da es um die Anrechnung der Heimtaxe geht, dürfte das unterstützende Gemeinwesen ein besonderes Interesse an der Einsprache haben.
Zur Überprüfung der EL-Berechnung für R können die Ziffern 3.1.4.3 ff. welche den Anspruch von Kinder, die nicht bei einem rentenberechtigten Elternteil leben, regeln, allenfalls hilfreich sein.
Ich hoffe, die Angaben sind Ihnen nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 12.8.2019
Karin Anderer