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Zuständigkeit bei Wohnbegleitung

Veröffentlicht:
09.02.2022
Kanton:
Nidwalden
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag

Ich begleite einen suchtkranken Klienten, welcher das Heroinprogramm nützt.
Er hat vor einiger Zeit die Kündigung für seine ehemalige Wohnung erhalten, da er die Mieten (vor Bezug der wirtschaftlichen Sozialhilfe) nicht bezahlt hat. Zusätzlich lag die Miete für die ehemalige Wohnung über den kantonalen Richtlinien.

Der Klient hat via eine Institution, welche Begleitetes Wohnen im Suchtbereich anbietet eine Wohnung in einer Gemeinde ausserhalb des Kantons gefunden. Der Mietvertrag läuft auf die Institution, der Klient hat einen Beherbergungsvertrag mit der Institution unterzeichnet, welche auch ein Begleitetes Wohnen anbietet und er nützt.

Der Klient lebt dort nun seit 1.5 Jahren und hält sich mehrheitlich auch in dieser Gemeinde auf, da diese in der Nähe des Heroinprogramms ist. Er nimmt nur noch Termine beim Sozialdienst Nidwalden wahr und kommt deshalb nach Stans.

Der Klient hat sich letztes Jahr bei der neuen Gemeinde angemeldet. Die Institution, welche ihn beim Begleiteten Wohnen unterstützt, teilte mit, dass die Zuständigkeit für die wirtschaftliche Sozialhilfe nicht wechselt, da es sich um einen Aufenthalt in einer Institution handelt. Der Kanton Nidwalden hat keinen Leistungsvertrag mit dieser Institution und deshalb werden keine Wohnungen im Kanton Nidwalden für "allfällige" Klient*innen angemietet. Diese Institution ist für das begleitete Wohnen auch nicht IVSE anerkannt.

Ich darf für den Klienten einen Fortsetzungsantrag bei der Gemeinde stellen. Nun zur Frage:

Ist nach wie vor die alte Gemeinde für die wirtschaftliche Sozialhilfe zuständig?

Oder die neue Gemeinde, da ein Beherbergunsvertrag nicht als soziale Institution gemäss Art. 4. Abs. 1 ZUG, Art. 5 ZUG und Art. 9 Abs 3 ZUG bezeichnet werden kann?

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:

Ein Bedürftige hat seinen Wohnsitz (Unterstützungswohnsitz) nach Art. 4 Abs. 1 des Zuständigkeitsgesetzes (ZUG, SR 851.1) in dem Kanton, in dem er sich mit der Absicht dauern­den Verbleibens aufhält. Die­ser Kanton wird als Wohnkanton bezeichnet. Der Aufenthalt in einem Heim, einem Spital oder einer anderen Einrichtung und die behördliche Unterbringung einer volljährigen Person in Familienpflege begründen nach Art. 5 ZUG keinen Unterstützungswohnsitz. Das Gegenstück dazu bildet Art. 9 Abs. 3 ZUG, welcher besagt, dass der Aufenthalt in einer Einrichtung nach Art. 5 ZUG einen bestehenden Unterstützungswohnsitz nicht zu beenden vermag.

Was alles unter den Heimbegriff fällt, definiert Art. 5 ZUG nicht. Ob es sich um eine Institution handelt, in der kein Unterstützungswohnsitz begründet werden kann, muss deshalb immer in Bezug auf den konkreten Sachverhalt geprüft werden. Für die Prüfung der Heimeigenschaft sind gemäss dem  Merkblatt «Örtliche Zuständigkeit in der Sozialhilfe» der SKOS namentlich folgende Fragen zu stellen:

  • Ist die Person in einem kollektiv besorgten Haushalt untergebracht?
  • Was ist der Zweck der Unterkunft?
  • Geht es um Gewährung von Obdach, Verpflegung und weiteren Dienstleistungen an fremde Personen oder um medizinische Versorgung und Pflege etc.?
  • Wie hoch ist der Fremdbestimmungsgrad?
  • Wie hoch ist der Abhängigkeitsgrad?

Das Bundesgericht hat schon verschiedentlich festgestellt, dass nicht allzu hohe Anforderungen an den Heim- bzw. Anstaltsbegriff gestellt werden dürfen. Es spielt keine Rolle, ob der Eintritt freiwillig oder unter Zwang erfolgt ist. Folgende Wohnformen fallen beispielsweise unter Art. 5 ZUG bzw. Art. 9 Abs. 3 ZUG

  • Notschlafstellen,
  • Alters- und Pflegeheime,
  • Aufnahme- und Wohnheime aller Art,
  • verschiedene Formen des Begleiteten Wohnens,
  • Pflegefamilien,
  • Frauen- und Männerheime,
  • Kur- und Erholungsheime,
  • therapeutische Wohngemeinschaften,
  • ärztlich geleitete Heilstätten aller Art,
  • Strafanstalten, Untersuchungsgefängnisse

Ergänzung: Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichts führt ein Heimaufenthalt nicht dazu, dass der Unterstützungswohnsitz praktisch nicht mehr ändern kann. Hat die unterstützungsbedürftige Person ihre Beziehungen zum bisherigen Kanton abgebrochen und in subjektiver wie objektiver Hinsicht ein neues Verhältnis zu einem anderen Kanton begründet, kann der Unterstützungswohnsitz trotz ununterbrochenen Heimaufenthalts ausnahmsweise wechseln. Davon kann allerdings nur unter sehr restriktiven Bedingungen ausgegangen werden. So hat das Bundesgericht in seinem Urteil vom 7. November 2014 erneut festgehalten, dass die Begriffe Heim, Spital und andere Anstalt nach Lehre und Rechtsprechung in einem sehr weiten Sinn zu verstehen sind, gehe es doch bei Art. 5 und Art. 9 Abs. 3 ZUG in erster Linie um den Schutz der Standortkantone und um eine Verringerung des Anreizes nach kantonsexterner Unterbringung.

Vorliegend ist deshalb bei der Bestimmung, ob das begleitete Wohnen als Heim nach Art. 5 ZUG gelten kann, der genaue Sachverhalt zu eruieren. In was besteht die Begleitung? Wie hoch ist der Fremdbestimmungsgrad? Was für Angebote bestehen? Je enger die Begleitung ist und je höher der Fremdbestimmungsgrad, desto eher ist von einem Heim auszugehen.

Da das Bundesgericht den Begriff des Heims sehr grosszügig auslegt und sogar Notschlafstellen als Heim definiert, braucht es keine intensive Begleitung und keinen grossen Grad an Fremdbestimmung, um von einem Heim auszugehen. Wie in der Aufzählung oben ausgeführt, kann ein begleitetes Wohnen deshalb ohne Weiteres ein Heimaufenthalt sein.

Kommt man vorliegend zum Schluss, dass die Wohnbegleitung intensiv und fremdbestimmend genug ist, um als Heim gelten zu können, ist der Wohnsitz nach Art. 5 ZUG grundsätzlich im bisherigen Kanton – also in Nidwalden – verblieben. Dies ist nur dann anders, wenn die unterstützte Person ihre Beziehungen zum bisherigen Kanton vollständig abgebrochen und objektiv und subjektiv ein neues Verhältnis zum anderen Kanton gegründet hat. Um festlegen zu können, ob dies vorliegend der Fall ist, müsste eruiert werden, ob der Klient auch selbst der Überzeugung ist, seinen Lebensmittelpunkt definitiv verlegt zu haben.

Fazit: Ich schlage vor, in einem ersten Schritt den Inhalt des betreuten Wohnens zu eruieren. Gibt es in einem gewissen, wenn auch geringen, Umfang eine Begleitung und eine Fremdbestimmung, ist von einem Heim auszugehen und grundsätzlich nach wie vor der Kanton Nidwalden für die Unterstützung zuständig. In einem zweiten Schritt schlage ich bei diesem Sachverhalt vor zu klären, ob der Klient seinen Lebensmittelpunkt von aussen betrachtet, in den anderen Kanton verlegt hat und auch selbst der Meinung ist, seinen Lebensmittelpunkt verlegt zu haben. In diesem Fall könnte argumentiert werden, der Klient habe trotz Heimaufenthalt seinen Wohnsitz in den anderen Kanton verlegt und dieser sei nun für die Unterstützung zuständig.

Ergänzend möchte ich ausführen, dass bei einem IVSE-anerkannten Heim für einen Teil der Kosten der zivilrechtliche Wohnsitz massgebend wäre. Da es sich vorliegend aber offenbar nicht um ein IVSE-anerkanntes Heim handelt, ist dies nicht relevant.

Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach