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Zuständigkeit bei Gemeindewechsel durch drohende Obdachlosigkeit

Veröffentlicht:
03.03.2022
Kanton:
Nidwalden
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag

Meine Klientin lebte die letzten dreizehn Jahre in der Gemeinde X im Kanton NW. Sie lebte im Haushalt ihres Vaters, welcher sie auch finanziell stützte. Die Klientin war die ganze Zeit erwerbslos und hat mit hoher Wahrscheinlichkeit eine psychische Beeinträchtigung. Die Klientin wurde aufgrund Streitereien mit der Herkunftsfamilie vor die Türe gesetzt. Eine Rückkehr sei ausgeschlossen. Aufgrund drohender Obdachlosigkeit hat sie eigenhändig ein Studio in der Gemeinde Z im Kanton NW bezogen. Bisher hat sie noch keinen Vertrag abgeschlossen, die Miete hat sie im Voraus bezahlt. Sie hat von sich aus geäussert, dass sie nicht beabsichtige in der Gemeinde Z zu bleiben, aber es aktuell keine alternative gäbe. Gerne möchte sie in ein begleitetes Wohnen eintreten, da sie gemäss eigenen Angaben nicht mehr fähig sei, alleine zu wohnen. Sie hat zudem eine Beistandschaft beantrangt bei der KESB. Beim Wechsel von der Gemeinde X zur Gemeinde Z war die Klientin noch nicht bedürftig. Aktuell liegt ihr Vermögen immer noch leicht über der Vermögensfreigrenze von CHF 4000.00. Der Sozialdienst geht davon aus, dass der Antrag auf WSH im nächsten Monat gestellt wird. Sollte der Antrag bei der Gemeinde X gestellt werden oder bei der Gemeinde Z? 

 

Vielen Dank für Ihre Antwort. 

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:

Wenn ich die Frage richtig verstanden habe, liegt sowohl der neue wie auch der alte Wohnort im Kanton Nidwalden. Deshalb kommen die kantonalen Zuständigkeitsregeln zur Anwendung. Nach Art. 7 des Sozialhilfegesetzes (SHG, SG 761.1) obliegt die Durchführung der individuellen Sozialhilfe jener Politischen Gemeinde, in der die hilfeempfangende Person den Unterstützungswohnsitz gemäss den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (ZUG) hat; vorbehalten bleiben Bestimmungen in der eidgenössischen und kantonalen Spezialgesetzgebung. Wechselt die hilfeempfangende Person innerhalb des Kantonsgebietes den Unterstützungswohnsitz, geht die Fürsorgepflicht mit dem Ablauf des zweiten auf den Wohnsitzwechsel folgenden Monats auf jene Politische Gemeinde über, in der die hilfeempfangende Person ihren Unterstützungswohnsitz neu begründet hat, wenn sie im Zeitpunkt des Wohnsitzwechsels von der Sozialhilfe unterstützt wurde. Der Unterstützungswohnsitz einer volljährigen Person befindet sich nach Art. 4 ZUG dort, wo sie sich mit der Absicht des dauernden Verbleibens auf unbestimmte Zeit aufhält und sich tatsächlich und für Dritte erkennbar niedergelassen hat. Dabei kommt es nicht darauf an, wo die Schriften hinterlegt sind.

Vorliegend hält sich die Klientin nicht mehr in der Gemeinde X auf, sondern wohnt nun in der Gemeinde Z. Damit liegt der Unterstützungswohnsitz nach den Bestimmungen des ZUG auf den ersten Blick nicht mehr in X. In Z hält sich die Klientin nach ihren eigenen Angaben aber ohne die Absicht des dauernden Verbleibs auf. Sie will in ein betreutes Wohnen eintreten, allenfalls in einer dritten Gemeinde (so habe ich den Sachverhalt verstanden). Damit hat die Klientin auf den ersten Blick weder in der Gemeinde X noch in der Gemeinde Z Unterstützungswohnsitz.

Wer ist aber unterstützungspflichtig, wenn es keinen Wohnsitz gibt? Nach Art. 26 Abs. 2 SHG ist die Aufenthaltsgemeinde zur Leistung von wirtschaftlicher Sozialhilfe verpflichtet, solange der Unterstützungswohnsitz der hilfsbedürftigen Person nicht feststeht oder wenn eine Person unaufschiebbarer Hilfe bedarf.

Zwischenfazit: Die Klientin hält sich aktuell in Z auf und wohnt dort in einer Wohnung. Diese Gemeinde ist deshalb Aufenthaltsort und muss vorerst bezahlen, bis feststeht, ob die Klientin entgegen dem ersten Eindruck doch einen Unterstützungswohnsitz hat. Die Klientin kann sich deshalb in Z zum Bezug von Sozialhilfe anmelden.

In einem zweiten Schritt stellt sich aber die Frage, ob die Klientin entgegen dem ersten Eindruck doch einen Unterstützungswohnsitz hat. Gemäss der Rechtsprechung, die von der SKOS im Merkblatt «Örtliche Zuständigkeit» abgebildet ist, bleibt der bisherige Unterstützungswohnsitz (zumindest interkantonal) bestehen, wenn jemand sich zu einem bestimmten Zweck (Sonderzweck) in einem anderen Kanton (bzw. vorliegend in einer anderen Gemeinde) aufhält. Das gilt gemäss SKOS insbesondere, wenn jemand zur Vermeidung von Obdachlosigkeit vorübergehend, d.h. von Vornherein für eine kurze Zeit befristet bei einem Verwandten oder Bekannten in einem anderen Kanton bzw. durch den Verweis auf das ZUG im Kanton Nidwalden wohl auch in einer anderen Gemeinde innerhalb des Kantons Unterschlupf findet oder in vergleichbaren Situationen.

Soweit ich den Sachverhalt verstanden habe, ist die Klientin zur Vermeidung von Obdachlosigkeit nach Z gezogen, will aber nicht unbedingt nach X zurückkommen. Andererseits will sie – voraussichtlich - wieder von Z weg in ein begleitetes Wohnen, was den Begriff des Heims nach Art. 5 ZUG erfüllen kann. Sollte der Aufenthalt in Z tatsächlich nur wenige Wochen dauern, die Klientin intensiv nach einem begleiteten Wohnen suchen und nach relativ kurzer Zeit bereits in ein begleitetes Wohnen eintreten, könnte man allenfalls von einem Aufenthalt zu Sonderzwecken ausgehen und die Gemeinde X wäre Unterstützungswohnsitz (auch in der Zeit des begleiteten Wohnens, wenn dieses den Heimbegriff erfüllt). Die Situation ist meiner Meinung nach aber nicht eindeutig. Sollte der Aufenthalt in Z länger als wenige Wochen dauern, bleibt es für mich bei der Aufgabe des Unterstützungswohnsitzes in X, zumal die Klientin nach meinem Verständnis nicht zwingend in die Gemeinde X zurückkehren will. In diesem Fall bleibt die Gemeinde Z solange als Aufenthaltsort für die Unterstützung zuständig, bis die Klientin entweder in Z selbst oder in einer anderen Gemeinde einen neuen Unterstützungswohnsitz gegründet hat.  

Sind sich die Gemeinden X und Z nicht einig, ob die Gemeinde X entgegen dem ersten Eindruck nach wie vor Unterstützungswohnsitz ist, ist in einem ersten Schritt das Gespräch zwischen den Gemeinden zu suchen und in einem zweiten Schritt die kantonal zuständige Stelle zu kontaktieren, um eine Lösung zu finden.

Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach