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Zuständigkeit

Veröffentlicht:
08.02.2022
Kanton:
Nidwalden
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag

Im Rahmen der WSH betreue ich einen Klienten, der seine Wohnung per Ende September 2021 verloren hat. Er wohnte bis dahin in der Gemeinde H im Kanton NW. Dort ist er nach wie vor angemeldet, empfängt seine Post via Postschalter und auch die WSH wird noch von der Gemeinde H ausgerichtet. Er hat nicht die Absicht, dort weiterhin zu verblieben.

Seit 01. Oktober 2021 bewohnt er einen Büroraum eines Kollegen in der Stadt L im Kanton LU. Für den Büroraum, der ein Kollege von meinem Klienten gemietet hat, gibt es keinen (Unter)Mietvertrag. Der Klient belegt mit einer Quittung, dass er die Miete nach Eingang des GBLs beglichen hat, die Gemeinde zahlt anschliessend die Mietkosten aus. Eigentlich war geplant, dass es sich hierbei um eine Zwischenlösung handelt.

Nun ist es so, dass ich dem Klienten bereits einige Wohnmöglichkeiten aufgezeigt habe und er auch mehrere Wohnungsbesichtigungen hatte. Er hätte mindestens ein Zimmer beziehen können, sich jedoch dagegen entschieden (entsprach nicht seinen Vorstellungen). Ich versuche ihm immer wieder aufzuzeigen, dass er mit seinem Betreibungs- und Strafregisterauszug nur schwierig eine ihm passende Wohnlösung (seine Vorstellung ist eine Einzimmerwohnung zu finden) finden wird. Eigentlich möchte er nach K. im Kanton LU ziehen, dort findet er aber keine Wohnmöglichkeit.

Meine Fragen:

- Wie verhält sich die Zuständigkeit, da sich der Klient seit Oktober 2021 in L aufhält, in H angemeldet ist und die Absicht des dauernden Verbleibs in K hat?

- Ist es im Sinne der Sozialhilfe, dem Klienten eine Auflage zu machen betreffend der Wohnsituation? Was soll diese Auflage umfassen?

 

Besten Dank

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:

Da sich die bisherige Wohnung des Klienten im Kanton Nidwalden und der neue Wohnort im Kanton Luzern befindet, handelt es sich um eine interkantonale Zuständigkeitsfrage und das Zuständigkeitsgesetz (ZUG, SR 851.1) ist massgebend.

Der Unterstützungswohnsitz einer volljährigen Person befindet sich nach Art. 4 ZUG dort, wo sie sich mit der Absicht des dauernden Verbleibens auf unbestimmte Zeit aufhält und sich tatsächlich und für Dritte erkennbar niedergelassen hat. Die polizeiliche Anmeldung ist keine Voraussetzung für die Begründung eines Unterstützungswohnsitzes. Wenn sich jemand mit der nach aussen erkennbaren Absicht des dauernden Verbleibens in einer Gemeinde niedergelassen hat und dort über eine ordentliche Wohngelegenheit verfügt, begründet er im Zeitpunkt seiner Niederlassung in jener Gemeinde seinen Unterstützungswohnsitz, auch wenn er sich dort aus welchen Gründen auch immer nicht polizeilich angemeldet bzw. in der alten Wohngemeinde nicht abgemeldet hat. In Art. 9 Abs. 1 ZUG wird weiter festgehalten, dass derjenige, der aus seinem Wohnkanton wegzieht, seinen bisherigen Unterstützungswohnsitz verliert. Als Aufenthalt nach Art. 11 Abs. 1 ZUG gilt die tatsächliche Anwesenheit in einem Kanton. Schweizer Bürger sind vom Aufenthaltskanton zu unterstützen, wenn sie keinen Wohnsitz haben (Art. 12 Abs. 2 ZUG). Dies gilt grundsätzlich auch bei ausländischen Staatsangehörigen (Art. 20 ZUG). Allerdings müssen Drittstaatenangehörige mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung den Kantonswechsel beantragen und müssen bei Abweisung des Antrags allenfalls wieder in den Bewilligungskanton zurückkehren, um ordentliche Unterstützung zu erhalten (siehe SKOS Merkblatt Örtliche Zuständigkeit in der Sozialhilfe).

Die SKOS präzisiert in ihrem Merkblatt "Örtliche Zuständigkeit in der Sozialhilfe" die Bestimmungen des ZUG und führt aus, dass wenn sich jemand in einem Kanton zu einem bestimmten Zweck (Sonderzweck) aufhält, der bisherige Unterstützungswohnsitz bestehen bleibe. Das gelte insbesondere, wenn jemand

  • einen Kuraufenthalt macht,
  • zur Vermeidung von Obdachlosigkeit vorübergehend, d.h. von Vornherein für eine kurze Zeit befristet bei einem Verwandten oder Bekannten in einem anderen Kanton Unterschlupf nimmt,
  • in vergleichbaren Situationen ist.

Wenn ich den Sachverhalt vorliegend richtig verstanden habe, ist der Klient zwar ursprünglich deshalb aus dem Kanton Nidwalden weggezogen, weil er seine Wohnung verloren hat und er in der Gemeinde L im Kanton Luzern eine Wohnmöglichkeit gefunden hat. Wollte er zu diesem Zeitpunkt möglichst rasch in den Kanton Nidwalden zurückkehren, kann man von einem Aufenthalt zu Sonderzwecken sprechen. In der Zwischenzeit wohnt er aber bereits seit über 4 Monaten im Kanton Luzern. Es kann deshalb nicht oder nicht mehr von einem Aufenthalt zu Sonderzwecken ausgegangen werden. Der Klient hat somit keinen Wohnsitz mehr im Kanton Nidwalden. Nidwalden ist deshalb nicht mehr unterstützungspflichtig. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Klient im Kanton Luzern Wohnsitz begründet hat oder sich nur dort aufhält.

Fazit: Der Kanton Nidwalden ist aktuell wegen fehlendem Wohnsitz im Kanton nicht unterstützungspflichtig. Die Unterstützung kann deshalb mittels Verfügung eingestellt werden. Eine Auflage ist dann nicht mehr notwendig.

Für ergänzende Ausführungen zu diesem Thema verweise ich auf meine Antwort auf die Frage aus dem Kanton Wallis vom 4.2.2022.

Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach

Guten Tag Frau Loosli


Besten Dank für Ihre Rückmeldung. Diese war soweit nachvollziehbar und eine Verfügung über die Beendigung der WSH per Ende Februar 2022 wird am 18.02.2022 ausgestellt. 

Nun hat sich aber die Situation bei meinem Klienten verändert: er müsse das Zimmer in L.  per Ende Monat verlassen und voraussichtlich eine Haftstrafe antreten. 

Richtet sich die Zuständigkeit zur Ausrichtung der Sozialhilfe entspechend nach dem Aufenthaltsort des Klienten? Auch wenn er inhaftiert wird? Handelt es sich dabei um eine Beendigung des Unterstützungswohnsitzes gemäss Punkt 6 des SKOS Merkblattes Örtliche Zuständigkeit in der Sozialhilfe?

 

Besten Dank und freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Vielen Dank für Ihre Ergänzungsfrage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:

Wenn die bisherige Wohnsitzgemeinde im Kanton Nidwalden die Unterstützung auf Ende Februar 2022 einstellt mit der Begründung, ab diesem Zeitpunkt bestehe kein Unterstützungswohnsitz (auch nicht zu Sonderzwecken) mehr im Kanton Nidwalden, dann müsste sie meiner Meinung nach in diesem Fall während des Haftaufenthalts den Klienten weiterhin unterstützen, wenn er noch im Februar 2022 die Haft antritt, weil sie dann im Zeitpunkt des Eintritts noch Wohnsitzgemeinde ist und der Eintritt in eine Institution nach Art. 5 ZUG grundsätzlich keinen Wohnsitz begründet. Tritt der Klient die Haftstrafe nach Februar 2022 d.h. ab 1. März 2022 an, so gilt der Kanton Nidwalden aufgrund der Einstellungsverfügung wegen fehlendem Wohnsitz auf Ende Februar 2022 nicht mehr als Wohnsitzkanton und es wäre der Kanton Luzern als neuer Wohnsitzkanton oder als Aufenthaltskanton (Art. 11 Abs. 1 ZUG, Merkblatt SKOS "örtliche Zuständigkeit in der Sozialhilfe", Ziff. 6) für die Unterstützung zuständig. 

Macht die bisherige Unterstützungsgemeinde im Kanton Nidwalden in der Einstellungsverfügung geltend, der Unterstützungswohnsitz im Kanton Nidwalden sei bereits Ende Januar 2022 verloren gegangen und sie bezahle im Februar 2022 lediglich den Übergangsmonat nach SKOS-RL C.4.3 dann wäre der Kanton Nidwalden auch bei einem Eintritt in die Haftanstalt im Februar 2022 nicht mehr für die Unterstützung zuständig. Ich gehe aber davon aus, dass in der Einstellungsverfügung nicht entsprechend argumentiert wurde und ein Hafteintritt im Februar 2022 deshalb die weitere Unterstützung während der Haft durch den Kanton Nidwalden bedeuten würde. 

Falls der Klient die Einstellungsverfügung anficht, so hat seine Verwaltungsbeschwerde grundsätzlich aufschiebende Wirkung (Art. 72 Abs. 1 Verwaltungsrechtspflegegesetz, SG 2651). Dann müsste der Kanton Nidwalden weiterhin Unterstützung leisten, bis ein Entscheid vorliegt oder bis die Rechtsmittelinstanz die aufschiebende Wirkung auf Antrag entzogen hat (Art. 72 Abs. 2 Verwaltungsrechtspflegegesetz).

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach 

Sehr geehrte Frau Loosli

 

Nach wie vor betreue ich den Klienten, zu welchem ich diese Frage im Februar 2022 eröffnet habe (vgl. Beratungsverlauf). 

Nun hat sich die Situation dahingehend verändert, dass der genannte Klient die Haftstrafe per 27.07.2022 angetreten hat.

Bis dahin hielt er sich gemäss eigenen Angaben überwiegend in seinem Auto im Wald auf. Ab und zu übernachtete er bei Bekannten. Eine Zeit lang hat er, illegal, in einer freistehenden Wohnung in H., NW (dies ist die Gemeinde, die auch WSH entrichtet) aufgehalten. Auf den Unterlagen die er mir beibringt kann ich sehen, dass er sich des Öfteren auch ausserkantonal aufhält. Er empfängt seine Post nach wie vor in H. und gibt an, dass er hier eine Wohnung suche. Einen schrifltichen Nachweis für Wohnungsbemühungen leistet er nicht, wir besprechen die getätigten Wohnungsbemühungen mündlich. Er könnte es sich nach wie vor vorstellen, auch in LU zu wohnen. Er müsste beim Migrationsamt jedoch den Kantonswechsel beantragen.

 

Meine Frage: 

Der Klient wird die Fortsetzung der WSH beantragen müssen. Aufgrund der obengenannten Umstände erschliesst sich mir die Zuständigkeit, die ja seit einiger Zeit in Frage gestellt ist, nicht abschliessend? Ist es richtig, dass die Gemeinde H nach wie vor für die Ausrichtung der WSH zuständig ist? Wird die Gemeinde H auch nach Austritt aus der Haft zuständig bleiben? Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen, damit ich meinen Antrag zur Weiterführung/ Ablehnung der WSH fundiert begründen kann. 

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Ich bedanke mich für die Schilderung des geänderten Sachverhalts und Ihre Frage. 

Um diese beantworten zu können, erlaube ich mir eine Rückfrage: Liegt die Haftanstalt innerhalb des Kantons Nidwalden oder in einem anderen Kanton?

Ich bedanke mich für Ihre Unterstützung.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach

Guten Tag Frau Loosli

 

Entschuldigen Sie dieses Versäumnis meinerseits. Die Haftanstalt befindet sich in LU. Der Klient konnte diese jedoch heute schon wieder verlassen. Er hat nach wie vor kein Obdach und will sich weiterhin im Auto resp. bei Freunden (wie in der Fallschilderung festgehalten) aufhalten. Eine Wohnungslösung steht nicht in Aussicht. 

 

Besten Dank und freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Ich bedanke mich für ihre Unterstützung und entschuldige mich für die gesundheitlich bedingt späte Rückmeldung. 

Im Kanton Nidwalden ist für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit das ZUG massgebend (Art. 7 Abs. 2 SHG NW).

Für die Frage, ob der Klient nach wie vor Unterstützungswohnsitz (Art. 4 ZUG) in der Gemeinde H. in NW hat, sind sein Wille und die gesamten Umstände ausschlaggebend. Denn massgebend ist nach der Rechtsprechung auf welche Absicht die erkennbaren äusseren Umstände schliessen lassen (vgl. Werner Thomet, Kommentar zum Bundesgesetz über die Zuständigkeit (ZUG), 1994, Art. 4 Rz. 97, kurz ZUG-Kommentar).

Vorliegend wechselt der Klient die Orte, an denen er übernachtet (Auto, Bekannte, leerstehende Wohnung in H.). Seine Post lässt es sich nach H. schicken. Dass er sich tatsächlich um eine Wohnung in H. bemüht, belegt der Klient nicht. Zudem scheint er nicht zwingend in H. wohnen zu wollen, wenn er sich auch eine Wohnung in Luzern vorstellen kann. Der von Ihnen geschilderte Sachverhalt lässt den Eindruck entstehen, der Klient passe sich seiner nicht einfachen Situation an und es sei ihm an sich einerlei, ob er in H. wohne, was dafür sprechen würde, dass er den Unterstützungswohnsitz in H. mit dem Verlust der Wohnung aufgegen hat. Insgesamt erscheint mir die Beurteilung aber nicht ganz einfach zu sein. 

Ich würde Ihnen bzw. der Gemeinde deshalb empfehlen, weitere Abklärungen zu tätigen: Wo hat der Klient seine persönlichen Effekten (in H. oder im Auto)? Wo hält er sich tagsüber auf, falls er nicht arbeitet? Wo sind schwerpunktmässig seine persönlichen Beziehungen (in H. oder sonstwo)? Gibt es andere Hinweise, die für den Lebensmittelpunkt in H. sprechen?

Wenn Sie bzw. die Gemeinde H. mit den ergänzenden Abklärungen zum Schluss kommen, dass der Lebensmittelpunkt in H. vor dem Hafteintritt nicht bzw. nicht mehr gegeben war, so muss die Gemeinde H. den Klienten während der Haft nicht als Wohnsitzgemeinde unterstützen (Art. 5 ZUG). In diesem Fall müsste der Kanton Luzern als Aufenthaltskanton den Klienten während der Haft finanziell unterstützen (Art. 21 ZUG). Kommen Sie zum Schluss, dass der Unterstützungswohnsitz vor Hafteintritt doch in der Gemeinde H. lag, müsste diese den Klienten während der Haft unterstützen (Art. 5 ZUG). 

Nach dem Austritt aus der Haft ist die Gemeinde H. für die Unterstützung zuständig, wenn entweder auch nach der Haft die Situation dergestallt ist, dass von einem Unterstützungswohnsitz auszugehen ist oder der Klient mindestens seinen Aufenthalt in der Gemeinde H. hat. 

Ich hoffe, Ihnen weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse