Guten Tag
Aktuell habe ich einen Klienten in folgender Situation in Beratung:
Per Februar 2020 begann er bei der aktuellen Arbeitgeberin seine Tätigkeit als Polygraf (BG 100%). Die Probezeit bestand er erfolgreich. Kurz nach Beendigung der Probezeit, im Verlauf Mai 2020, verschlechterte sich das Verhältnis zwischen dem Mitarbeiter und der vorgesetzten Person. Diese brachte nun vermehrt zum Ausdruck, er entspräche nicht den Erwartungen und seine Leistungen seien ungenügend. Es erfolgte ein schriftliche Verwarnung am 12.6., gefolgt von der Kündigung am 24.6.
In dieser gerundsätzlich schwierigen Situation stellt sich für den Mitarbeiter aktuell jedoch v.a. folgende Frage:
Die Arbeitgeberin erwartet von ihm nun eine hohe Flexibilität, während seiner Kündigungsfrist grundsätzlich alle Tätigkeiten zu verrichten, auch wenn diese praktisch nichts mit seiner Funktion und mit seinem Stellenprofil zu tun haben (konkret z.B. Einsatz in der Produktion, d.h. körperlich mittelschwere Arbeit, Stehen / Gehen ganztags). Des Weiteren haben zwei vorgesetzte Personen ihm gegenüber geäussert, je kooperativer er während der Kündigungsfrist sei, desto eher sei man auch bereit, sein Zwischenzeugnis positiver zu formulieren (> m.E. ist das aktuelle Zwischenzeugnis schlicht nicht verwendbar für Bewerbungen / für die Stellensuche) und ihm ein positives / recht gutes Schlusszeugnis auszustellen.
Wir sind Ihnen sehr dankbar für Ihre Einschätzung zur Frage, welche Arbeiten der Mitarbeiter / mein Klient während der Kündigungsfrist akzeptieren muss, sowie für die entsprechenden arbeitsrechtlichen / gesetzlichen Grundlagen.
Mit bestem Dank bereits und sommerlichen Grüssen
Carole Lauper
Beraterin
MSc in Sozialer Arbeit
Movis AG Bern
Frage beantwortet am
Andreas Petrik
Expert*in Arbeitsrecht
Guten Tag Frau Lauper
Die Arbeitgeberin hat zwar das Recht, Weisungen zu erteilen, und der Arbeitnehmer, diese auch einzuhalten. Eine Grenze des Weisungsrecht ergibt sich unter anderem aus dem Vertragsinhalt. Zulässig sind vertragliche Abreden, wonach der Arbeitgeberin das Recht eingeräumt wird, dem Arbeitnehmer andere Arbeiten zuzuweisen. Ob eine solche Vereinbarung getroffen wurde, ist anhand der Arbeitsvertrages zu prüfen.
Ohne ein solche Abrede, besteht grundsätzlich keine Verpflichtung, andere Tätigkeitkeiten auszuüben. Entsprechend besteht auch keine Verpflichtung, die zugewiesene Arbeit in der Produktion auszuüben.
Ausnahmsweise kann ein Arbeitnehmer verpflichtet sein, auch nicht vereinbarte Tätigkeiten auszuüben. So hat das Obgergerich BL etwa entschieden, dass während der Kündigungsfrist für eine beschränkte Zeit auch andere, ursprünglich nicht vereinbarte Arbeiten ausführt werden müssen, wenn sie zumutbar sind und im weitesten Sinne mit der verabredeten Tätigkeit zusammenhängen. Dieser Entscheid macht deutlich, dass das Gericht im Streitfall Wertungsentscheide (Zumutbarkeit, Zusammenhang mit der vereinbarten Tätigkeit) zu treffen hat. Auch die betriebliche Notwendigkeit spielt dabei eine Rolle. Besteht beispielsweise aktuell keine Beschäftigungsmöglichkeit als Polygraf, ist es eher zulässig, Arbeit in der Produktion zuzuweisen, als wenn es in der vereinbarten Tätigkeit genügend Arbeit gibt.
Die gesetzliche Grundlage für die Pflicht, im Ausnahmefall auch Tätigkeiten auszuführen, die nicht Gegenstand des Arbeitsvertrages sind, ergibt sich aus Art. 321 d Abs. 2 OR: "Der Arbeitnehmer hat die allgemeinen Anordnungen des Arbeitgebers und die ihm erteilten besonderen Weisungen nach Treu und Glauben zu befolgen."
Wenn Ihr Klient sich entscheidet, die zugewiesene Tätigkeit nicht auszuüben, wäre zu beachten, dass alles dokumentiert ist. Wenn die Arbeiszuweisung bloss mündlich erfolgt, ist dies natürlich schwierig. Wichtig ist auch, dass er seine Bereitschaft, die vertraglich vereinbarte Tätigkeit auszuüben, schriflich festhält, am besten in einem eingeschriebenem Brief an die Arbeitgeberin. Bevor er nicht mehr an seinem Arbeitsplatz erscheint, sollte er ausserdem schriftlich darauf hinweisen, dass er sich nicht verpflichtet fühlt, die zugewiesene Arbeit auszuführen. Für den Fall, dass er nicht die Tätigkeit gemäss Arbeitsvertrag ausüben kann, sollte die Absicht, der Arbeitsstelle fernzubleiben, zunächst angedroht werden. Zu bedenken ist schliesslich, dass die Arbeitgebern die Lohnzahlungen voraussichtlich einstellen wird und er seinen Lohn auf dem Rechtsweg einfordern muss. Ein Lohnanspruch besteht freilich nur, falls die Zuweisung vertraglich nicht vereinbarter Tätigkeiten nicht ausnahmsweise zulässig ist.
Dass mit dem Hinweis auf den Inhalt des Arbeitszeugnisses Druck ausgeübt wird, wirderspricht der gesetzlichen Fürsorgepflicht. Falls das Vertrauensverhältnis nachhaltig beschädigt sein sollte - und danach sieht es aus -, sollte sofort ein den gesetzlichen Anforderungen genügendes Zwischenzeugnis eingefordert werden.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Zuweisung von vertraglich nicht vereinbarten Tätigkeiten grundsätzlich nicht möglicht ist. Im Einzelfall kann aber dennoch eine Pflicht bestehen, auch diese Tätikgeit auszuüben. Weigert sich Ihr Klient, die zugewiesene Arbeit auszuführen, geht er das Risiko ein, seinen Lohnanspruch zu verlieren. An seiner Stelle würde ich die zugewiesene Arbeit ausführen, gleichzeitig aber die gerichtliche Durchsetzung des Anspruchs auf ein Arbeitszeugnis, das den gesetzlichen Anforderungen genügt, in Erwägung ziehen.
Freundliche Grüsse
Andreas Petrik