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Zivilrechtlicher Wohnsitz von Kindern?

Veröffentlicht:
27.09.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Anderer

Ich bin Beiständin von drei minderjährigen Geschwisterkindern.

Die Eltern der Kinder sind geschieden, beide sind Inhaber der elterlichen Sorge. Bei der Scheidung wurde der Mutter die Obhut zugesprochen.

Zum dem Zeitpunkt, als die KESB das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen hat, haben die Kinder bereits in der Stadt X in einem Heim gelebt. Beide Elternteile hatten ebenfalls in der Stadt X ihren Wohnsitz. Inzwischen ist die Mutter nach Y umgezogen.

Die Gemeinde Y verweigert der Mutter nun, die drei Kinder zivilrechtlich in ihrer Gemeinde anzumelden. Die Gemeinde bezieht sich dabei auf Art. 25 Ziff. 1 ZGB, wonach die Kinder an ihrem Aufenthaltsort den zivilrechtlichen Wohnsitz haben, sobald die Eltern, die beide über die elterliche Sorge verfügen, getrennte Wohnsitze haben und die Kinder nicht unter der Obhut eines der Elternteile stehen.

Wir sind der Auffassung, dass nach Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts der abgeleitete zivilrechtliche Wohnsitz der Kinder bei demjenigen Elternteil verbleibt, der zuletzt die Obhut innehatte, weshalb die Kinder in Y anzumelden seien (mit Wochenaufenthalt in X).

Welche Rechtsauslegung ist korrekt?

Vielen herzlichen Dank im Voraus für Ihre Antwort.

Freundliche Grüsse,

Christiane Klug

Noch eine kleine Ergänzung zur inhaltlichen Klärung:
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht wurde beiden Elternteilen entzogen.

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Klug

Die Eltern haben die gemeinsame elterliche Sorge inne und der Mutter wurde mit der Scheidung die Obhut über der Kinder zugeteilt. Die Eltern lebten in der gleichen Ortschaft X. Die Kinder wurden in ein Heim in der Ortschaft X platziert und das Aufenthaltsbestimmungsrecht nach Art. 310 ZGB wurde beiden Eltern gegenüber aufgehoben.

Art. 25 Abs. 1 ZGB lautet:

Als Wohnsitz des Kindes unter elterlicher Sorge gilt der Wohnsitz der Eltern oder, wenn die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, der Wohnsitz des Elternteils, unter dessen Obhut das Kind steht; in den übrigen Fällen gilt sein Aufenthaltsort als Wohnsitz.

Die Ableitung des zivilrechtlichen Wohnsitzes präsentierte sich, solange beide Eltern in X lebten,  folgendermassen: Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge und gemeinsamen Wohnsitz in derselben Gemeinde (wenn auch an verschiedenen Adressen). Die Kinder haben ihren zivilrechtlichen Wohnsitz in X, unabhängig davon ob den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht oder nicht, ein Fall von Art. 25 Abs. 1 erster Teilsatz ZGB ist eingetreten.

Die Mutter lebt nun in Y, der Vater weiterhin in X.

Mit dem Umzug der Mutter nach Y präsentiert sich die Ableitung des zivilrechtlichen Wohnsitzes folgendermassen: Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge, kein gemeinsamer Wohnsitz in derselben Gemeinde, keine Obhut bei einem Elternteil infolge Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Ein „übriger Fall“ nach Art. 25 Abs. 1 zweiter Teilsatz ZGB ist eingetreten, der zivilrechtliche Wohnsitz der Kinder befindet sich am Aufenthaltsort X.

Eine gute Übersicht über die verschiedenen Varianten des zivilrechtlichen Wohnsitzes von Kindern finden Sie in BK Affolter/Vogel, Art. 315-315b ZGB N 41 ff. In der von mir verfassten „Juristische Studie zur Wohnsitzregelung im Bereich A der IVSE, zuhanden der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK)“, vom 25. September 2017 (mit Nachtrag vom 5. Dezember 2018), finden Sie im Kapitel A die Auslegung von Art. 25 ZGB mit Fallbeispielen <https://ch-sodk.s3.amazonaws.com/media/files/Gutachten_IVSE_22122018_Publikation_definitiv.pdf>.

Ich hoffe, die Ausführungen helfen Ihnen weiter.

Luzern, 27.9.2019

Freundliche Grüsse

Karin Anderer