Sehr geehrte Damen und Herren
Mein Klient lebte seit 2017 in einer sozialpsychiatrischen Instituion. Er bezieht eine volle IV-Rente und EL. Er hat per 31.05.2022 das Wohnverhältnis in der Institution ordentlich gekündigt. Die Heimleitung hat ihm für den restlichen Verbleib Regelauflagen gemacht. Diese konnte er nicht einhalten. Deshalb wurde ihm, seitens der Insitution, per 06.04.2022 fristlos gekündigt. Er darf das Wohnheim nicht mehr betreten. Im Wohnvertrag steht zur ausserordentlichen Kündigung: "Aus wichtigen Gründen können die Parteien fristlos kündigen. Als wichtiger Grund gilt jeder Umstand, welcher die Vertragserfüllung unzumutbar macht: z.B. Missbrauch von Alkohol, Medikamenten oder Drogen; andauernde und schwerwiegende Verletzung der Pflicht zu Sorgfalt un Rücksichtsnahme." Im Vertrag ist jedoch die Zahlungsverpflichtung bei fristloser Kündigung nicht erwähnt. Ich möchte nun wissen, ob wir verpflichtet sind, den Aufenthalt bis 31.5.2022 (ordentliche Kündigung) zu zahlen oder ob wir nur bis zum Datum der fristlosen Kündigung (6.4.2022). Danke für die Bearbeitung meines Anliegens. Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Urs Vogel
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Erwägungen
Beim vorliegenden Vertrag (Heimvertrag) handelt es sich um einen sogenannten gemischten Vertrag mit verschiedenen Elementen aus dem Miet-, Gesundheits- und Auftragsrecht, einen sogenannten Innominatvertrag. Eine eigenständige gesetzliche Regelung des Heimvertrages besteht, im Unterschied zu anderen Ländern, in der Schweiz nicht.
Primär ist gestützt auf Art. 18 Abs. 1 OR für die Auslegung des Vertrages der der übereinstimmende wirkliche Wille zu beachten. Vorliegend wurde explizit eine fristlose Vertragsauflösung aus wichtigem Grund vereinbart. Die wichtigen Gründe wurden zudem im Sinne einer nicht abschliessenden Aufzählung im Vertrag aufgeführt. Ob die, von der Heimleitung für den restlichen Verbleib auferlegten Regelauflagen, die bei Nichteinhalten zu einer fristlosen Kündigung seitens der Institution führen, sich mit diesen wichtigen Gründen decken, lässt sich aus dem Sachverhalt nicht entnehmen. Ich gehe jedoch davon aus, dass seitens der Klientschaft und der gesetzliche Vertretung die fristlose Kündigung akzeptiert wurde.
Findet sich keine Vertragsregelung bezüglich der sich stellenden Frage der Zahlungspflicht bei fristloser Kündigung, so greift die Vertragsergänzung. Dabei kommen – mangels expliziter Rechtsgrundlagen für den Heimvertrag – die je passenden obligationenrechtlichen Bestimmungen aus dem Miet-, Auftrags- oder allgemeinem Obligationenrecht lückenfüllend zur Anwendung. Aus dem allgemeinen Teil des Obligationenrechts haftet der Schuldner, wenn der Vertrag aufgrund seines Verschuldens nicht erfüllt werden kann, dem Gläubiger für den entstandenen Schaden (Art. 97 ff OR). Somit ist, bei bereits gekündigtem Heimvertrag, wohl maximal der Pensionspreis (reduziert um die Verpflegungskosten und weitere Leistungen, die nur bei Anwesenheit anfallen) bis zur ordentlichen Kündigung als möglicher Schaden zu beziffern. Das Mass der Haftung des Schuldners richtet sich nach der besonderen Natur des Vertrages. Es stellt sich vorliegend die Frage, ob das Verhalten von Herr XY, das zur fristlosen Kündigung geführt hat, Teil seiner psychischen Erkrankung ist (es handelt sich ja vorliegend um eine sozialpsychiatrische Einrichtung) und somit kein schuldhaftes Verhalten von Herrn XY vorliegt, oder mindestens eine Verringerung seiner Schadenersatzpflicht zu prüfen ist. Zudem ist die Institution zur sogenannten Schadenminderung verpflichtet und hat ihrerseits insbesondere für die möglichst rasche Besetzung des freigewordenen Platzes in der Institution besorgt zu sein, um so den Schaden zu verringern.
Ich rate Ihnen an, mit der Institution diesbezüglich zu verhandeln und eine gemeinsame Lösung anzustreben. Sollte keine Einigung gefunden werden, so ist je nach Beurteilung des Verschuldens von Herrn XY der Rechtsweg zu beschreiten, sollte die Institution auf die Leistung des Pensionspreises bis zur ordentlichen Kündigungsfrist beharren. In diesem Falle muss die Einrichtung aktiv werden und der Klient sieht sich ggf. mit einer Klage konfrontiert, respektive die Institution betreibt den Klienten und die Anhebung eines Rechtsvorschlages ist in Erwägung zu ziehen.
22. April 2022 Urs Vogel