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Wohnsitzwechsel bei umfassender Beistandschaft

Veröffentlicht:
26.08.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Ich habe die Publikation „Wohnsitzwechsel bei umfassender Beistandschaft“ vom 23.12.2015 gelesen. Denn wir haben bei uns dazu aktuell einen Fall. Allenfalls können Sie mir weiterhelfen:

Eine Beiständin einer Person unter umfassender Beistandschaft hat uns mitgeteilt, dass der Wohnsitz in eine andere Gemeinde (selbes KESB-Gebiet) wechsle. Die Gemeinde verweigert jedoch eine Anmeldung gemäss Art. 26 ZGB. Hat die Beiständin (Privatperson, nicht KESB-Mitglied) die Möglichkeit, bei der KESB einen Wohnsitzwechsel zu beantragen oder muss die Person weiterhin bei uns angemeldet bleiben und allenfalls mittels Nebenwohnsitz in der neuen Gemeinde angemeldet sein?

Danke für die Rückmeldung.

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Dommen

Volljährige unter umfassender Beistandschaft haben ihren Wohnsitz am Sitz der Erwachsenenschutzbehörde (Art. 26 ZGB). Für Volljährige unter umfassender Beistandschaft (Art. 26 ZGB) gilt als Sitz der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die Gemeinde, in welcher sie ihren Lebensmittelpunkt haben (§ 56 Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (EGZGB) des Kantons Luzern vom 20.11.2000, SRL 200).

Ein Wohnsitzwechsel ist bei Personen unter umfassender Beistandschaft nur durch eine Übertragung der Massnahme möglich (BSK ZGB I-Huguenin/Reitze, Art. 26 N 5). Für die beiden Gemeinden ist die gleiche KESB zuständig, weshalb es hier nicht zu einer Übertragung der Massnahme kommt.

Nach Art. 23 ZGB befindet sich der Wohnsitz einer Person an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.

Art. 23 Abs. 1 ZGB erster Teilsatz stellt auf zwei Kriterien ab: den objektiv physischen Aufenthalt und die subjektive Absicht dauernden Verbleibens. Da der Wohnsitz nicht nur für die betroffene Person, sondern auch für Drittpersonen und das Gemeinwesen von Bedeutung ist, ist die innere Absicht des dauernden Verbleibs nur insoweit von Bedeutung, als sie nach aussen erkennbar geworden ist. Massgebend ist daher der Ort, wo sich der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen befindet (BSK ZGB I-Staehelin, Art. 23 N 5 ff.).

§ 56 EGZGB stellt auf den Lebensmittelpunkt ab. Auf den vorliegenden Sachverhalt bezogen kann damit nur der tatsächliche Wohnsitz gemeint sein, wie er aArt. 377 ZGB, der altrechtlichen Bestimmung zur Übertragung der Vormundschaft, zugrunde lag. Abzustellen ist auf den Mittel- und Schwerpunkt der Lebensverhältnisse am neuen Ort. Der Wohnsitzbegriff wird für die Übertragung einer Massnahme objektiviert und vom Erfordernis der Urteilsfähigkeit wird abgesehen (BK Schnyder/Murer, Art. 377 N 21).

Verlegt die Person nun ihren Lebensmittelpunkt in eine andere Gemeinde desselben KESB-Kreises, gilt, nach Art. 26 ZGB i.V.m. § 56 EGZGB, fortan diese Gemeinde als Sitz der KESB. Der Wohnsitz leitet sich demzufolge vom neuen Lebensmittelpunkt ab. Zu prüfen ist hier nun, ob die Person unter umfassender Beistandschaft ihren  Lebensmittelpunkt und damit auch ihren zivilrechtlichen Wohnsitz, wie zuvor erläutert, in die neue Gemeinde verlegt hat.

Für die Anmeldung auf der Gemeinde ist das Bundesgesetz über die Harmonisierung der Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister (Registerharmonisierungsgesetz, RHG) massgebend. Die Person ist, sofern die Voraussetzungen vorliegen, in das Einwohneregister am neuen Ort einzutragen. Eine formelle Übertragung der Beistandschaft erfolgt hier nicht, da sich der KESB-Kreis nicht ändert.

Die Beiständin (hier eine Privatperson) dürfte in dieser komplexen Sachlage auf die Unterstützung und Instruktion der KESB angewiesen sein (Art. 400 Abs. 3 ZGB). Bei der Fachstelle für Private Mandatsträger erhält sie Instruktion und Unterstützung. Idealerweise klärt die Fachstelle oder die KESB direkt mit den involvierten Gemeinden die Wohnsitzfrage, da das sonst übliche Übertragungsverfahren hier entfällt.

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich

Luzern, 30.8.2021

Karin Anderer