Guten Tag
Unser Klient war lange Zeit arbeitslos, nun hat er in Bern eine Anstellung erhalten. Die Probezeit ist abgelaufen. Er lebt seit drei Monaten unter der Woche in Bern und kehrt am Wochenende zu seiner Wohnung in Kanton A zurück. Die Verkehrsauslagen (Benzinkosten) sind in sind nicht verhältnissmässig. Wir bezahlen eine Pauschle von CHF 350.00 für die Benzikosten. Die Benutzung der ÖV wäre CHF 640.00. Das Auto kann er in der Stadt Bern kostenlos bei seinem Freund platzieren. Wir haben die Kostenübernahme der Verkehrsauslagen befristet. bis 30. September 2023. Zumal sein Pensum nur 50% ist.
Können wir ihn bauftragen, sich eine Wohnung in Bern zu suchen?
Frage beantwortet am
Melanie Studer
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Vielen Dank für die Frage, die ich gerne zu beantworten versuche.
Grundsätzlich haben Sozialhilfeempfänger:innen das Recht auf Niederlassungsfreiheit, d.h. das Recht ihren Wohnort selber zu wählen (vgl. Art. 24 der Bundesverfassung). Das gilt zumindest für alle Schweizer:innen, aber ebenfalls für Ausländer:innen mit einer C Bewilligung, resp. EU/EFTA-Angehörige oder anerkannte Flüchtlinge auch mit einer B-Bewilligun. Ich gehe in meiner Antwort davon aus, Ihr Klient profitiere grundsätzlich von der Niederlassungsfreiheit, da er Schweizer, eine C-Bewilligung hat oder EU-EFTA-Angehöriger resp. Flüchtling mit B-Bewilligung ist.
Die Niederlassungsfreiheit wird auch durch das Bundesgesetz über die Zuständigkeit zur Unterstützung Bedürftiger (Zuständigkeitsgesetz, ZUG, SR 851.1) «abgesichert» in dem Art. 10 des ZUG vorsieht, dass Behörden einen Bedürftigen nicht veranlassen dürfen, «aus dem Wohnkanton wegzuziehen, auch nicht durch Umzugsunterstützungen oder andere Begünstigungen, wenn dies nicht in seinem Interesse liegt.» Es geht hier um das sogenannte Abschiebungsverbot. Wird dies durch die Behörden verletzt, bleibt der bisherige Unterstützungswohnsitz des Bedürftigen am bisherigen Wohnort so lange bestehen, als er ihn ohne den behördlichen Einfluss voraussichtlich nicht verlassen hätte, längstens aber während fünf Jahren (Art. 10 Abs. 2 ZUG). D.h. konkret wäre bei einer Wiederhandlung gegen das Abschiebeverbot Ihre Gemeinde noch fünf Jahre der neu zuständigen Gemeinde die Sozialhilfekosten ersetzen müsste, die der Klient dort verursacht.
Vorliegend stellt sich also für Sie die Frage, ob ein Umzug veranlasst werden darf, da es im Interesse des Klienten liegen könnte. Dass der Umzug im Interesse des Klienten liegt, müssten Sie, respektive die Gemeinde in der bisher der Unterstützungswohnsitz bestand, beweisen. Nicht als Begründung herangezogen werden dürfte jedenfalls, dass durch den Arbeitsweg hohe Berufskosten übernommen werden müssen, die bei einem Umzug wegfallen. Es wäre auch nicht zulässig, diese Ausgaben mit der Begründung nicht mehr zu übernehmen, dass der Wohnsitz ja nach Bern verlegt werden könnte und der Minderungspflicht daher nicht genügend nachgekommen werde. Insgesamt sind jegliche behördliche Druckmittel untersagt (Wizent Guido, Sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Zürich/St. Gallen, 2014, S. 342).
Dementsprechend ist es i.S. des Abschiebungsverbotes ebenfalls problematisch, wenn die Übernahme der Wegkosten bis 30. September 2023 befristet wird. Die Wegkosten müssen auch danach übernommen werden – allenfalls aber nicht im bisherigen Umfang (siehe dazu nachfolgend).
Ausnahmsweise könnte ein Umzug veranlasst werden – da er im Interesse des Klienten liegen würde – wenn sich der Klient bei einem Umzug nach Bern von der Sozialhilfe ablösen könnte, in Bern also gar kein Unterstützungsgesuch stellen müsste – also bei Wegfall der Wegkosten auch die Bedürftigkeit wegfallen würde. Dies wäre sorgfältig abzuklären, insbesondere wäre auch zu berücksichtigten, dass im Kanton Bern der Einkommensfreibetrag bei der Anspruchsprüfung mitberücksichtigt wird (Art. 8e1 Sozialhilfeverordnung des Kantons Bern vom 24.10.2001, BSG 860.111). Aber selbst in diesem Fall wäre abzuklären, ob der Klient nicht private Interessen geltend macht, die gegen einen Umzug sprechen, z.B. gesundheitliche oder auch familiäre Gründe. Vorliegend ist auch zu berücksichtigen, dass zwar die Probezeit vorbei ist, im ersten Dienstjahr aber die Kündigungsfrist in der Regel doch auch nur einen Monat beträgt und die Dauerhaftigkeit und Stabilität der Anstellung noch nicht gesichert ist. Jedenfalls sollte ein (von den Behörden) veranlassten Umzug, nicht dazu führen, dass Kosten, die bisher im Aargau angefallen sind, nun in Bern anfallen. Insgesamt scheint es also nicht ratsam, den Klienten zum Umzug aufzufordern, da sie doch ein erhebliches Risiko eingehen, dass dies als Abschiebung taxiert würde und der Kan.
Betreffend die zu übernehmenden Kosten wäre es meines Erachtens aber angebracht, die Situation noch mal mit dem Klienten gemeinsam zu klären. Mir erschliesst sich aus Ihrer Schilderung nicht, wieso so hohe Wegkosten übernommen werden, wenn – so wie ich es verstehe – der Weg eigentlich nur einmal pro Woche absolviert wird, da unter der Woche in Bern übernachtet werden kann? Es sind nur tatsächlich anfallende Kosten auch zu übernehmen. Zudem wäre allenfalls die Option öV doch erneut zu prüfen, kostet doch ein GA für Erwachsene mit Monatszahlung «nur» CHF 340. Und auch hier: falls der Weg nicht jeden Tag absolviert wird, wäre eventuell ein Streckenabo oder auch Einzelfahrkarten günstiger. Dies natürlich unter der Voraussetzung, dass Wohn- und Arbeitsort überhaupt mit einer zumutbaren öV-Verbindung verbunden sind.
Ich hoffe, diese Ausführungen helfen Ihnen weiter?
Beste Grüsse