Guten Tag
Wir sind eine kleine ländliche Gemeinde im Kanton Aargau mit rund 2'200 Einwohnern.
Vor einiger Zeit hat eine GmbH begonnen Wohnungen im Dorf anzumieten und diese tage- oder wochenweise auf der Plattform AirBnB zu vermieten.
Seit anfangs 2023 ist dies nicht mehr möglich, da baurechtlich bestimmt wurde, dass Wohnungen, die sich in der reinen Wohnzone befinden, nur noch dauervermietet werden dürfen. Eine Dauervermietung ist gegeben, wenn sich die Personen mindestens an 91 Tagen in der Gemeinde aufhalten.
Daraufhin änderte die GmbH ihr Geschäftsmodell und vermietet die Wohnungen und Zimmer an Sozialdienste aus der Region, welche für Obdachlose und Randständige aus ihren Gemeinden, die Sozialhilfe beziehen, Unterbringungsmöglichkeiten suchen. Die Mietverträge werden mit den jeweiligen Sozialdiensten abgeschlossen.
Für uns stellt sich nun die Fragen, wo sich nun der zivilrechtliche und wo sich der sozialhilferechtliche Unterstützungswohnsitz dieser Personen befindet? Welche Gemeinde muss nun für die Sozialhilfe aufkommen? Was spielt es für eine Rolle, dass die Mietverträge mit den Sozialdiensten abgeschlossen wurden und nicht mit den Mietern? Könnte von den bisherigen Wohngemeinden verlangt werden, dass diese eine Bestätigung ausstellen, dass der Unterstützungswohnsitz sich weiterhin bei ihnen befindet?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung und freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Anja Loosli Brendebach
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Ich bedanke mich für Ihre Frage und entschuldige mich für die ferienbedingte Verzögerung der Antwort und bitte Sie um Geduld bis Freitag.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach
Guten Tag
Da ich gestern noch keine Rückmeldung erhalten habe, erlaube ich mir nochmals nachzufragen, wann ich mit ihrer Antwort rechnen kann, da in diesem Fall eine gewisse Dringlichkeit besteht.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Anja Loosli Brendebach
Expert*in Sozialhilferecht
Ich bedanke mich für Ihre Frage und beantworte diese gerne folgendermassen:
Ich gehe bei der Beantwortung der Frage davon aus, dass es sich bei den Obdachlosen und Randständigen nicht um Personen aus dem Asylbereich handelt. Zudem gehe ich davon aus, dass sich auch die Gemeinden, die die Wohnungen in Ihrer Gemeinde anmieten, im Kanton Aargau befinden.
Nach § 6 Abs. 1 des Sozialhilfe- und Präventionsgesetzes des Kantons Aargau (SPG) ist im innerkantonalen Verhältnis – also wenn alle beteiligten Gemeinden im Kanton Aargau liegen – die Gemeinde am Unterstützungswohnsitz für die Unterstützung zuständig. Bei fehlendem Unterstützungswohnsitz und im Notfall ist die Gemeinde am Aufenthaltsort der Hilfe suchenden Person zuständig. Für die Bestimmung des Unterstützungswohnsitzes und des Aufenthaltes gelten nach Abs. 3 die Vorschriften des Zuständigkeitsgesetzes (ZUG).
Nach Art. 4 Abs. 1 ZUG hat der Bedürftige seinen Unterstützungswohnsitz in dem Kanton bzw. im innerkantonalen Verhältnis in der Gemeinde, in dem er sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Als Aufenthalt gilt nach Art. 11 ZUG die tatsächliche Anwesenheit an einem Ort.
Dabei ist nach der Lehre und Rechtsprechung nicht auf den inneren Willen einer Person abzustellen. Massgebend ist vielmehr, auf welche Absicht die erkennbaren äusseren Umstände schliessen lassen (vgl. auch Thomet, Kommentar zum ZUG, 2.A., Zürich 1994, N 97 und dort zitierte Rechtsprechung). Die SKOS führt in ihrem Merkblatt «örtliche Zuständigkeit in der Sozialhilfe» Kriterien auf, die für die Wohnsitzbegründung sprechen: ordentliche Wohngelegenheit, Telefonanschluss, Äusserungen gegenüber Dritten, Anmeldung, soziales Umfeld, Freizeitgestaltung, Ort der persönlichen Effekten, nicht von vornherein vorübergehend geplanter Aufenthalt.
Da obdachlosen Personen über keine ordentliche Wohngelegenheit verfügen, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie am Ort, an dem sie sich aufhalten, keinen Unterstützungswohnsitz sondern Aufenthalt haben. Ausnahmsweise und im Einzelfall kann meiner Ansicht nach aber auch eine obdachlose Person einen unterstützungsrechtlichen Wohnsitz haben, wenn sie sich an einem Ort klar dauerhaft aufhalten will, dort irgendwo ihre persönlichen Effekten aufbewahrt und sich ihr Leben schwerpunktmässig an diesem Ort abspielt.
Im Merkblatt «örtliche Zuständigkeit in der Sozialhilfe» führt die SKOS weiter unter Ziff. 5.4 aus, dass es «Aufenthalt zu Sonderzweck» gebe. Der bisherige Unterstützungswohnsitz bleibe dann bestehen, wenn jemand zur Vermeidung von Obdachlosigkeit von einer Behörde in einer Notunterkunft oder einem Hotel platziert werde.
Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass alle Obdachlosen, die ausnahmsweise in einer Gemeinde trotz Obdachlosigkeit einen Unterstützungswohnsitz haben, diesen durch die Platzierung zur Vermeidung der Obdachlosigkeit in einer anderen Gemeinde nicht verlieren und von der sie bisher unterstützenden Gemeinde weiter unterstützt werden müssen. Dies muss vorliegend umso mehr gelten, als die Wohnungen von einer anderen Gemeinde zur Unterbringung und Vermeidung der Obdachlosigkeit angemietet wird und die betroffene Person nicht eigenständig nach einer Wohnung gesucht hat. Bleibt die Situation über einen längeren Zeitraum so bestehen und entscheidet sich die unterstützte Person, dauerhaft in der Gemeinde wohnen zu bleiben, könnte sie einen Unterstützungswohnsitz in dieser - sprich vorliegend Ihrer Gemeinde - begründen. Etwas anderes würde meiner Ansicht nach nur gelten, wenn die Gemeinde, die die obdachlose Person vor dem Einzug in die Wohnung unterstützt hat, aktiv auf die dauerhafte Wohnsitznahme in Ihrer Gemeinde hingearbeitet hat. Dies käme einer unzulässigen Abschiebung nach Art. 10 ZUG gleich und hätte zur Folge, dass die abschiebende Gemeinde weiterhin Unterstützungswohnsitz bleibt.
Schwieriger gestaltet sich die Situation, wenn eine obdachlose Person – wie wohl in der Mehrheit der Fälle - keinen Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde hat, in der sie sich vor Bezug der Wohnung aufgehalten hat. In diesem Fall ist die Aufenthaltsgemeinde für die Unterstützung zuständig. Diese wechselt aufgrund des Bezugs der Wohnung in Ihrer Gemeinde. Ihre Gemeinde würde damit unterstützungspflichtig werden. Diese Lösung ist unbefriedigend und kommt einer Abschiebung gleich, die nach Art. 10 ZUG im interkantonalen Verhältnis verboten ist und zur Folge hat, dass die bisher zuständige Gemeinde weiter unterstützen muss. Dies könnte man zumindest in analoger Anwendung von Art. 10 ZUG so sehen.
Schliesslich zum zivilrechtlichen Wohnsitz:
Bei diesem ist gleich, dass auch im Zivilrecht grundsätzlich auf den Aufenthalt mit der Absicht dauernden Verbleibens abgestellt und bei blossem Anstaltsaufenthalt (aber auch beim Besuch einer Lehranstalt) kein Wohnsitz angenommen wird (Art. 23 Abs. 1 ZGB). Ebenso kann in beiden Rechtsgebieten niemand seinen Wohnsitz zugleich an mehreren Orten haben (Art. 23 Abs. 2 ZGB). Ein wesentlicher Unterschied findet sich aber in Art. 24 ZGB. Ein einmal begründeter zivilrechtlicher Wohnsitz bleibt solange bestehen, bis ein neuer begründet wird, wogegen es möglich ist, einen Unterstützungswohnsitz aufzugeben, ohne zugleich einen neuen zu begründen.
Daraus folgt, dass auch obdachlose Personen grundsätzlich einen zivilrechtlichen Wohnsitz in der Schweiz haben, wenn sie vor der Obdachlosigkeit in der Schweiz gewohnt haben. Dies kann der letzte Wohnsitz vor der Obdachlosigkeit sein oder, wenn sie die Absicht des dauernden Verbleibs in der Gemeinde haben, in der sie sich als obdachlose Personen aufhalten, diese Gemeinde (siehe Ausführungen oben zum Unterstützungswohnsitz). Viele Zuständigkeiten richten sich nach dem zivilrechtlichen Wohnsitz, so z.B. die gerichtliche, die betreibungsrechtliche, die Zuständigkeit der KESB, die Aufrechterhaltung des Krankenversicherungsschutzes, die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen und die Ausrichtung von Leistungsabgeltungen im Rahmen der IVSE.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort behilflich sein zu können.