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Wird ein Guthaben, erwirtschaftet während Haft, als Einkommen angerechnet

Veröffentlicht:
10.11.2020
Kanton:
Zürich
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Schnyder

Meine Klientin war während 16 Monaten in Haft und hat während dieser Zeit ein Guthaben aus der Arbeitstätigkeit während der Haft von zirka Fr. 3'600.00 angespart. Das Geld wurde meiner Klientin bei der Haftentlassung ausbezahlt. Sie bezieht ergänzend wirtschaftliche Sozialhilfe. Meine Frage, darf die Klientin den Betrag im Sinne des Freibetrages behalten oder aber wird dieser bei der Sozialhilfe als Einkommen angerechnet? Die Sozialhilfe hat während der Zeit der Haft die KK-Prämien und die Lagerkosten für die eingelagerten Möbel bezahlt. Danke für die Antwort.

Freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Anja Loosli Brendebach

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Diggelmann

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:

Nach § 14 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Zürich (SHG ZH) wird von der Sozialhilfe finanziell unterstützt, wer mit den eigenen Mitteln seinen Lebensunterhalt nicht hinreichend oder rechtzeitig finanzieren kann. Dieser Grundsatz wird in § 16 Abs. 1 der Sozialhilfeverordnung des Kantons Zürich (SHV ZH) wiederholt. Nach Abs. 2 gehören zu den eigenen Mitteln alle Einkünfte und das Vermögen einer bedürftigen Person. Nach § 17 SHV ZH bemisst sich die wirtschaftliche Hilfe weiter nach den SKOS-Richtlinien. In Kapitel E.1.1 wird dort ebenfalls festgehalten, dass das ganze verfügbare Einkommen bei der Berechnung der Bedürftigkeit einzubeziehen ist. In Kapitel A.4 wird zudem festgehalten, dass in der Sozialhilfe das Bedarfsdeckungsprinzip gilt, was bedeutet, dass Unterstützung nur für die Gegenwart und nicht für die Zukunft oder Vergangenheit ausgerichtet wird. In der Lehre wird in der Schweiz in der Zwischenzeit überwiegend die Meinung vertreten, dass Einnahmen und Vermögen aufgrund des Gegenwartsprinzips so zu unterscheiden seien, dass alle Einnahmen, die während der Unterstützung zufliessen, als Einnahmen gelten und alle Zuflüsse, die bereits vor Unterstützungsaufnahme erfolgt sind, Vermögen mit entsprechendem Vermögensfreibetrag darstellen (u.a. Guido Wizent, Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Zürich/St. Gallen 2014, S. 420ff.). Im Sozialhilfehilfehandbuch des Kantons Zürich wird unter dem Kapitel «Bemessung des Anspruchs» ebenfalls festgehalten, dass für den Anspruch auf wirtschaftliche Hilfe der Zeitraum massgeblich sei, in welchem jemand tatsächlich über keine oder nicht genügende Mittel verfügt, und nicht die Periode, für welche die Einkünfte bestimmt sind.

Schlussfolgerung: Wenn das Entgelt für die Tätigkeit in der Haft während der Unterstützung ausbezahlt wurde, stellt es Einnahmen und nicht Vermögen dar und ist auf der Einnahmeseite zu berücksichtigen. Ich gehe davon aus, dass dies vorliegend der Fall ist, weil Ihre Klientin während der Haft und auch danach (so verstehe ich den Sachverhalt) von der Sozialhilfe unterstützt wurde und das Arbeitsentgelt somit während der Unterstützung ausbezahlt worden ist.

Ergänzend stellt sich für mich die Frage, ob das Geld aktuell noch vorhanden ist und deshalb an die Unterstützung für den Folgemonat angerechnet werden kann. Sollte das Geld nicht mehr vorhanden sein oder mit anderen Worten, von Ihrer Klientin bereits ausgegeben sein, kann es von der Sozialhilfe gestützt auf § 26 SHG ZH zurückverlangt, nicht mehr aber direkt bei der Berechnung der Unterstützungsleistungen für den Folgemonat berücksichtigt werden.

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach

Sehr geehrte Frau Loosli Brendebach

Besten Dank für die differenzierte und ausführliche Antwort. 

Ich habe diesbezüglich noch eine ergänzende Frage. Ist es nicht so, dass, während der Haft die Kosten wie KK-Prämie und in unserem Fall die Lagerkosten von der Justiz hätten übernommen werden müssen? Wenn dem so gewesen wäre, hätte meine Klientin die Einnahmen, welche sie während der Haft generierte, bei Austritt aus der Haft als Vermögen behalten dürfen. 

Gibt es eine Möglichkeit, diese Kosten im Nachhinein mit der Justiz zu verrechenen?

Besten Dank für die Antwort.

Sonnige Herbstgrüsse

Frage beantwortet am

Anja Loosli Brendebach

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Diggelmann

Vielen Dank für Ihre Nachfrage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:

Wenn die Kostentragung von Kosten, die während der Haft entstanden sind, durch die inhaftierte Person nicht möglich ist, stellt sich die Frage, ob die Kosten direkt mit dem Vollzug in Zusammenhang stehen und damit von der Justizbehörde zu tragen sind oder ob die Sozialhilfe die Kosten zu übernehmen hat.

Die Kosten des Justizvollzugs umfassen diejenigen Kosten, die durch den Vollzug einer strafrechtlichen Haft oder Sanktion verursacht werden. Dazu gehören die Kosten für die Sicherheit, die Bewachung, Betreuung und Beschäftigung der Inhaftierten wie auch die Kosten für die Suchtbehandlung oder psychiatrischer Betreuung (Merkblatt SKOS Schnittstelle Justizvollzug - Sozialhilfe, Ziff. 3.1.1). Neben diesen Kosten können weitere Kosten anfallen, die Nebenkosten. Es ist zwischen den vollzugsbedingten und den nicht vollzugsbedingten Nebenkosten zu unterscheiden (Merkblatt SKOS a.a.O. Ziff. 3.1.2). Die vollzugsbedingten Nebenkosten sind diejenigen Kosten, die unmittelbar mit dem Haftzweck oder mit der Durchfühung des Vollzugs einer Strafe in Zusammenhang stehen. Dazu gehören z.B. Kosten für Fahrten zu Gerichtsterminen, Kosten von Ärzten für Fahrten in die Vollzugsanstalt, Reisekosten für begleitete Hafturlaube (Merkblatt SKOS a.a.O:, Ziff. 3.1.2.1). Die nicht vollzugsbedingten Nebenkosten (persönliche Nebenkosten) sind Kosten, die unabhängig vom Strafvollzug anfallen (Merkblatt SKOS a.a.O., Ziff. 3.1.2.2) und nicht mit dem Strafvollzug in direktem Zusammenhang stehen.

Die Kosten des Straf- und Justizvollzugs und die vollzugsbedingten Kosten werden von den Justizbehörden getragen (Art. 380 Abs. 1 StGB). Die persönlichen Auslagen sind dagegen von der betroffenen Person zu tragen (Merkblatt SKOS a.a.O., Ziff. 3.3.1). Verfügt die betroffene Person nicht über ausreichend Mittel und ist bedürftig, kann und muss die Sozialhilfe die persönlichen Nebenkosten übernehmen (Kosten die dem Grundbedarf zugerechnet werden, Gesundheitskosten UND Lagerungskosten für Möbel etc. befristet für maximal 1 Jahr;Merkblatt SKOS a.a.O. 3.2.2).

Schlussfolgerung: Die von Ihnen genannten Krankenkassenprämien und Lagerkosten stellen persönliche Nebenkosten dar und werden deshalb nicht von den Justizbehörden getragen. Es ist rechtlich korrekt, dass die Sozialhilfe sie bezahlt.

Ergänzung: Wenn die Justizbehörden die Krankenkassenprämien und die Lagerkosten tragen müsste und die Klientin während der Haft ansonsten keine Leistungen der Sozialhilfe bezogen und nun nach Haftentlassung und nach Auszahlung des Arbeitsentgelts von der Sozialhilfe in Unterstützung aufgenommen würde, könnte das Arbeitsentgelt - je nach Auszahlungsdatum - allenfalls als Vermögen mit entsprechendem Vermögensfreibetrag und nicht als Einnahme gelten. Da die Justizbehörde für die obgenannten Kosten aber nicht leistungspflichtig ist, bleibt die Sozialhilfebedürftigkeit während der Haft bestehen. Damit ist die Anrechnun als Einnahme korrekt.

Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach