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Wie wird Sozialhilfe berechnet bei Flüchtlingen aus der Ukraine in der Familie

Veröffentlicht:
27.03.2022
Kanton:
Aargau
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag 

Wir sind aktuell mit der Prüfungs des Anspruchs von Personen aus der Ukraine beschäftigt. 

Einige unserer Einwohner sind aus der Ukraine zu uns gezogen und haben nun Familienangehörige bei sich aufgenommen. Zahlreiche Familien haben Angehörige im ersten Grad bei sich einquartiert. 

Aktuell haben wir einen Fall, dass eine fünfköpfige Familie die Mutter der Ehefrau aus der Ukraine bei sich aufgenommen hat. Die Mutter war schon vor Kriegsausbruch immer wieder in der Schweiz. Jeweils drei Monate am Stück, danach in der Ukraine bei deren Sohn. Die Mutter habe nur eine Re nte von Fr. 100.-. Sie wurde jeweils von ihren Kindern unterstützt. 

Nun hat die (Gross)Mutter aus der Ukraine bei uns Antrag auf Sozialhilfe gestellt. Wir haben das Gesuch nur zur Prüfung des Anspruchs. Im Kanton Aargau erhält ein Flüchtling aktuell 8.- pro Tag für Essen, Tassengeld 1.- sowie 7.50 für Lebensunterhalt. Zudem wird empfohlen, dass die Gemeinde die Familie mit 9.- Mietantel pro Tag entschädigt. 

Wir erachten das Gesuch als etwas stossend, war die Mutter in den letzten Jahren immer ein halbes Jahr da und hat die Familie unterstützt. 

Was empfehlen Sie im Umgang mit solchen Anfragen. Wir erachten es als möglich die Familie auf Ihrer Verwandtenunterstützungspflicht aufmerksam zu machen und auf Pflicht auf Beistand gegenüber den Eltern. 

Wären dieser Antrag von einer Person ohne Flüchtlingsstatus gekommen, hätten wir einen Haushaltsbeitrag berechnet und keine Miete ausbezhalt, weil die Familie schon vorher in der gleichgrossen Wohnung gelegt habt. 

Wie sollen wir Ihrer Meinung nach im aktullen Fall vorgehen, damit wir Personengruppen möglichst gleich behandeln können?

Besten Dank für einen Vorschlag. 

Freundliche Grüsse 

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Abend

Gerne beantworte ich Ihre Frage, soweit dies mir möglich ist.

Sie erwähnen die Sozialhilfeansätze zur Unterstützung von geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern im Kanton Aargau. Ich gehe davon aus, dass Sie sich dabei auf das Merkblatt des Departements Gesundheit und Soziales des Kantons des Kantons Aargau vom 16. März 2022 zur Unterbringung von Ukrainerinnen und Ukrainern bei Privatpersonen stützen. Die im Merkblatt erwähnten und von Ihnen genannten Ansätze für Verpflegung, Taschengeld, weiterer Lebensbedarf und Unterkunft stützen sich auf § 17e und 17g SPV/AG. Die betreffenden Bestimmungen regeln die Unterstützung für Asylsuchende, Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung und vorläufig Aufgenommene bzw. die Entschädigung der Gemeinden für die von ihnen betreuten Personen. Das Merkblatt empfiehlt den Gemeinden u.a., bei Privatplatzierungen die Pauschale für die Unterbringung den Gastfamilien weiterzugeben (Ziff. 4.2.1). Laut Art. 3 Abs. 2 AsylV 2 liegt die Kompetenz für die Bemessung der Sozialhilfe denn auch bei den Kantonen, wobei diese die Grundsätze nach Art. 82 Abs. 3 AsylG zu beachten haben.

Gemäss § 17e Abs. 7 SPV/AG sind ausserdem eigene Mittel gemäss Bundesvorschriften anzurechnen. Art. 81 AsylG bestimmt, dass Personen, die sich gestützt auf dieses Gesetz in der Schweiz aufhalten und die ihren Unterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können, die notwendigen Sozialhilfeleistungen erhalten, sofern nicht Dritte auf Grund einer gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtung für sie aufkommen müssen, […]. Insoweit gilt auch im Bereich der Asylsozialhilfe das Subsidiaritätsprinzip.

Die Kantone erhalten vom Bund für Schutzbedürftige (Aufenthaltsstatus S) während der Dauer der vorübergehenden Schutzgewährung bis zu deren Erlöschen oder Aufhebung (längstens aber bis 5 Jahre nach Schutzgewährung mit dem Erhalt der Aufenthaltsbewilligung) eine Globalpauschale nach Art. 20 AsylV 2. Mit der Globalpauschale werden sämtliche Kosten der kantonalen Sozialhilfe abgegolten. Sie setzt sich zusammen aus einem Anteil für Mietkosten, einem Anteil für Sozialhilfe- und Betreuungskosten sowie einem Anteil für Krankenversicherungsprämien, Selbstbehalte und Franchisen. Bedingung für die Gewährung der Pauschale ist der Entscheid über die Gewährung des vorübergehenden Schutzes. Erlangt die (Gross-)Mutter den Schutzstatus S wirkt sich dies erhöhend auf die durch den Bund ausgerichtete Globalpauschale nach den Grundsätzen von Art. 23 AsylV 2 aus. Nicht entscheidend ist, ob die sie tatsächlich Asylsozialhilfe bezieht.

Beim geschilderten Fall kann ich Ihre Überlegungen gut nachvollziehen. Es ist nicht abwegig, aufgrund der regelmässigen und längeren Aufenthalte der (Gross-)Mutter im Rahmen des visumsfreien Aufenthalts von max. 90 Tagen die Verwandtenunterstützungspflicht im Sinne des Subsidiaritätsprinzips (siehe oben) heranzuziehen. Denn die Familie hat die Verwandtenunterstützung nach Art. 328 ZGB während dieser dreimonatigen Aufenthalte gelebt, indem sie für die Finanzierung des Lebensunterhalts vollumfänglich aufkam, da die (Gross)Mutter mit ihrer sehr kleinen Rente selber nicht in der Lage war. Dies müsste an sich umso mehr gelten, wo die (Gross-)Mutter sich als Vertriebene nun in einer noch grösseren Notlage befindet. Soweit die Familie bzw. die Tochter freiwillig für ihre Mutter aufkommt, wäre diese Unterstützung in Sinne der freiwilligen Zuwendungen (§ 11 Abs. 2 SPV/AG; siehe dazu Ziff. 10.10 des Handbuches Soziales) anzurechnen. Aus meiner Sicht lässt sich dies auch mit dem oben zitierten Art. 81 AsylG vereinbaren, der die Verpflichtungen Dritter als vorrangig bezeichnet, dies schliesst die Vorrangigkeit freiwilliger Drittleistungen meines Erachtens nicht aus. Fraglich ist, ob aus rechtlicher Sicht die Unterstützung weiterhin eingefordert werden kann.

Zunächst ist zu bedenken, dass die Umstände anders sind und der Aufenthalt der (Gross)Mutter womöglich nun ausserhalb des üblichen Turnus ist. Auch trifft es die Familie unvorbereitet, allenfalls ohne genügend Vorlaufszeit, um die Finanzierung zu etablieren. Auch wenn die betreffende Familie die Mutter regelmässig während 3 Monaten zu Besuch hatte und für sie sorgte, scheint es doch jetzt aufgrund der wegen des Krieges verursachten Notlage eine andere Situation zu sein. Verfügt die (Gross-)Mutter nunmehr über den Schutzstatus S hat sie ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz mit welchem, wie oben dargelegt, auch ein Anspruch auf Sozialhilfe nach den Grundsätzen der Asylsozialhilfe verbunden ist. Letztlich ist auch zu bedenken, dass von Seiten Bund der oben erwähnte Finanzierungsmechanismus zum Tragen kommt, d.h. eine grundsätzliche Finanzierung (weitgehend) gewährleistet ist.

Falls eine Verwandtenunterstützungspflicht nach Art. 328 ZGB in Erwägung gezogen würde, müssten die diesbezüglichen Verwandtenunterstützungsrichtlinien des Regierungsrates (gestützt auf § 7 SPG/AG i.V.m. § 6 SPV/AG) beachtet werden. Danach müssen sich die Verwandten (vorliegend die Tochter) jedenfalls in sehr guten finanziellen Verhältnisse befinden, um sie rechtlich belangen zu können, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass Zivilgerichte im Einzelfall davon abweichen und strenger sein könnten, wenn es sachgerecht ist, da es sich ja letztlich um einen zivilrechtlichen Anspruch handelt.

Ob eine Haushaltsentschädigung nach § 13 SPV/AG zulässig wäre, scheint mir aufgrund der Sondernormierung (Abschnitt 2.1.4) für u.a. Schutzbedürftige (§ 16 ff. SPG/AG) als fraglich. Es handelt sich zwar schon um eigene Mittel (§ 13 Abs. 1 in fine SPV/AG). Die Haushaltsentschädigung hat aber lediglich im Kontext des kantonalen Sozialhilfebezugs Geltung und stellt kein generell anerkannter Anspruch der Leistungssysteme der Sozialen Sicherheit dar. Sodann verweist der oben zitierte § 17f Abs. 7 SPV/AG für die Anrechnung eigener Mittel auf Bundesvorschriften. Ob im geschilderten Fall zumindest eine analoge Anwendung von § 13 SPV/AG zulässig wäre, kann ich rechtlich nicht abschliessend beantworten. Gesamthaft gesehen, steht die Gewährung von Obdach durch Private an Schutzbedürftige und die Anrechnung einer Haushaltsentschädigung doch in einem Spannungsverhältnis, so dass meiner Meinung nach die Haushaltsentschädigung lediglich in besonderen Einzelfällen zum Tragen kommen könnte. Denkbar wäre dies vorliegend, wenn die (Gross-)Mutter nicht einfach nur unterstützt wurde und wird, sondern stets sich während ihrer Aufenthalte bei der Familie massgeblich im Haushalt und bei der Kinderbetreuung engagiert hat und dies nach wie vor der Fall ist, so dass es stossend erscheint, dass die Familie keinen finanziellen Beitrag mehr an sie leistet. Jedenfalls wäre sorgfältig zu prüfen, ob die Anwendung im konkreten Fall überhaupt korrekt wäre, insbesondere die (Gross-)Mutter überhaupt in der Lage ist, Haushaltsarbeiten und gegebenenfalls die Kinderbetreuung wahrzunehmen.

Keine Rechtsgrundlage im kantonalen Recht sehe ich für das pauschale Weglassen des Mietanteils. Es gibt diese Regelung nur bei jungen Erwachsenen ohne Erstausbildung, die im elterlichen Haushalt wohnen.

Angesichts dieser Umstände neige ich dazu, der (Gross-)Mutter unter Anrechnung ihrer Rente einen Anspruch auf Asylsozialhilfe einzuräumen, soweit die Familie nicht freiwillig für sie aufkommt, z.B. durch kostenloses Überlassen des Zimmers im Haushalt. Von einer Unterstützung kann abgesehen werden, wenn die Tochter nach vorerwähnten Grundsätzen der Verwandtenunterstützung verpflichtet werden kann, ihre Mutter zu unterstützen, wobei im Streitfall die Sozialhilfe bevorschussend unterstützen muss.  Denkbar wäre auch, dass im konkreten Einzelfall bzw. Ausnahmefall die analoge Anwendung der Anrechnung einer Haushaltsentschädigung geprüft würde, sofern die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Dies um stossende Ergebnisse zu korrigieren. Zu bedenken ist dabei, dass die Familie die (Gross-)Mutter unter Umständen nun länger aufnehmen muss, so dass mittelfristig eine Überprüfung angezeigt wäre.

Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Frage beantwortet zu haben.

Freundliche Grüsse

Ruth Schnyder