Guten Tag
Ich begleite neu ein Ehepaar. Ehemann, geb. 1981, 50% IV-Rente. Geht keiner Arbeit nach, auch nicht im geschützten Bereich. Es wird ihm seitens EL kein hypothetisches Erwerbseinkommen eingerechnet. Er hat eine komplexe psychiatrische Erkrankung. Dies verunmöglicht ihm vielmals eine Kontaktaufnahme mit der Aussenwelt. Verweigerung der Therapie, Verweigerung des Gesprächs etc.
Seine Ehefrau, geb. 1988, seit 4 Jahren verheiratet, gemeinsames Kind, drei Jahre alt; zweites gemeinsames Kind, Geburt Mai 2022.
Ehefrau hat im Rahmen eines Arbeitsintegrationsprojekts schon 80% gearbeitet. Da der Ehemann die Kinderbetreuung in dieser Zeit sehr schlecht bewältigen konnte und auch sonst keine Hilfe von ihm zu erwarten ist, sieht sie sich nicht in der Lage 100% zu arbeiten.
Die EL verlangt jedoch laut Aussage der zuständigen Sachbearbeiterin bald einmal eine 100% Arbeitstätigkeit.
Die Ehefrau, geb. 1988, ist erst vor viereinhalb Jahren aus Kamerun in die CH eingereist. Besitzt Bewilligung B. Sie spricht scho sehr gut Deutsch und hat viel Ressourcen, jedoch keine anerkannte Ausbildung, möchte am liebsten in einem Gesundheitsberuf arbeiten.
Meine Frage ist folgende: Muss die Ehefrau in jedem Fall eine 100% Arbeitstätigkeit aufnehmen? Oder würde auch eine Teilzeitarbeit im Umfang von ca. 60% akzeptiert. Würde im Falle einer 100% Anstellung die EL die Kosten für die Fremdbetreuung der Kinder übernehmen?
Nach Prüfung der WEL und der Rechtsgrundlagen bin ich wegen der Übernahme der Fremdbetreuungskosten für die Kinder nicht so sicher, da der Ehemann nur eine 50% IV-Rente besitzt.
Vielen Dank schon im Voraus.
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag!
a) Bei nichtinvaliden Ehegatten wird als Erwerbseinkommen grundsätzlich der Betrag angerechnet, den sie im mass-gebenden Zeitpunkt tatsächlich verdient haben. In der Konstellation eines IV-Bezügers mit EL mit einer nichtinvaliden Ehegattin wird deren Einkommen ohne Freibetrag zu 80% angerechnet (Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG).
Gemäss der WEL gilt, dass in diesem Fall nur dann, wenn das zumutbare Erwerbseinkommen wesentlich höher ist als das effektiv erzielte, ein hypothetisches Erwerbseinkommen anzurechnen ist. Siehe Rz. 3521.02 WEL (Stand 1.1.2022).
b) Kein solches hypothetisches Einkommen dürfte dann angerechnet werden, wenn die Ehegattin belegen kann, dass sie dieses nicht verwirklichen kann. Namentlich wenn sie entsprechend Taggelder der ALV bezieht. Oder beim RAV gemeldet ist und die qualitativ erforderlichen, dort vorgegebenen Arbeitsbemühungen lückenlos belegen kann
Auch die Betreuung des Ehegatten, der ohne die Betreuung ins Heim müsste (das müsste streng nachgewiesen werden), kann dazu führen, dass auf das Einrechnen von hypothetischem Einkommen verzichtet wird. Die Haushaltsführung für Kinder etc. hingegen genügt gemäss der WEL nicht. (siehe Rz. 3521.03 WEL).
c) Für die Festsetzung des zu berücksichtigenden hypothetischen Einkommens von nicht invaliden Ehegatten ist auf die „Schweizerische Lohnstrukturerhebung“ abzustellen, dabei handelt es sich um Bruttolöhne. Die persönlichen Umstände wie das Alter, der Gesundheitszustand, die Sprachkenntnisse, die Berufsausbildung, die bisher ausgeübten Tätigkeiten, die Dauer der Erwerbslosigkeit oder Familienpflichten (z.B. die Betreuung von Kleinkindern) sind bei der Festsetzung zu berücksichtigen.
Von diesem Bruttoeinkommen werden die obligatorischen Beiträge an die Sozialversicherungen des Bundes (AHV, IV, EO, ALV, FZL, UV). Von dem sich ergebenden Nettoeinkommen sind wie gesagt 80 Prozent anzurechnen.
Die so festgesetzten Einkommen sind oft deutlich höher und senken den EL-Anspruch somit erheblich. Die betroffene Person kann dann versuchen Belege und Argumente vorzubringen, um die obenerwähnten persönlichen Umstände einzubringen und so eine Senkung des angerechneten Einkommens zu erreichen.
d) Das Anrechnen eines vollen hypothetischen Erwerbseinkommens könnte in diesem Fall aufgrund solcher persönlicher Umstände wohl verzögert werden durch die Geburt des zweiten Kindes im Mai 2022. Die Betroffene sollte sich aber möglichst schon während des Bezugs der Mutterschaftsentschädigung beim RAV melden und dort die notwendigen Arbeitsbemühungen vorlegen. Dabei gilt, dass während der Dauer der Mutterschaftsentschädigung keine Arbeitsbemühungen verlangt werden können. Das müsste wohl analog auch die EL beachten. (Vgl. AVIG-Praxis ALE C 183 (zu finden unter: https://www.arbeit.swiss/secoalv/de/home/service/publikationen/kreisschreiben---avig-praxis.html). Entsprechende bundesgerichtliche Rechtsprechung besteht aber bisher nicht.
e) Für Kinder bis 11 kann hier die Übernahme und Anrechnung der externen Kinderbetreuung in Frage kommen. Siehe dazu im Detail Rz. 3290.01 ff. WEL (Stand 1.1.2022.). Gemäss Art. 16e ELV muss es um notwendige Kosten gehen. Das ist nur der Fall, wenn die Arbeitstätigkeit oder der Gesundheitszustand eine externe Kinderbetreuung notwendig machen. Dabei wird durchaus anerkannt, dass auch gesundheitliche Gründe bestehen können, die die Kinderbetreuung verunmöglichen, welche nicht im IV-Grad zum Ausdruck kommen. Das müsste aber gut durch medizinische Berichte belegt sein. (Rz. 3294.04 und 3294.05 WEL)
Deswegen ist zu raten, dass die gesundheitliche Situation des Ehemannes genau abgeklärt wird und ein entsprechender medizinischer Bericht vorliegt. Insbesondere mit Blick auf seine medizinisch bestehende Einschränkung bzw. Kinderbetreuung. Das dürfte mitentscheidend sein, ob und in welchem Umfang hier bezüglich der externen Kinderbetreuung die Kosten angerechnet werden oder nicht.
Es kann sich lohnen, auch insoweit bei der EL-Stelle nachzufragen, welche Unterlagen notwendig sind, damit die externen Kinderbetreuungskosten übernommen werden können.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot