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Wie kann ich den Antrag neu formulieren? Die Massnahme von Chur aus zu führen (Chur - Mumpf 2 Std.) ist  nicht nicht machbar. 

Veröffentlicht:
10.09.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

A.E. Jahrgang 2008 hat zivilrechtlicher Wohnsitz in Churwalden, Aufenthaltsort in Mumpf. Die ehemalige Beiständin versuchte die Massnahme gemäss. 315 Abs. 2 ZGB an das Bezirksgericht Rheinfelden zu übertragen. Es folgte eine Absage mit der Begründung, dass gem. Art. 442 Abs. 1 ZGB die Voraussetzung nicht gegeben ist. Minderjährige können den Aufenthaltsort im Unterschied zu Erwachsenen nicht frei wählen. Das Sorgerecht bleibt bei der Mutter, auch wenn das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen wurde. Somit verbleibt die Zuständigkeit weiterhin in Churwalden. Eine Übertragung findet nicht statt.

Vielen Dank.

 

S. Müller

Berufsbeiständin Region Plessur
 

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Müller

Die Frage, ob eine Kindesschutzmassnahme auf den Aufenthaltsort zu übertragen sei, fällt in den Zuständigkeitsbereich der abgebenden und übernehmenden KESB. Das Übertragungsverfahren richtet sich nach Art. 444 ZGB, welcher auch eine Regelung für Kompetenzkonflikte bereithält (vgl. dazu die Empfehlung der KOKES vom März 2015 „Übernahme einer Massnahme des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts nach Wohnsitzwechsel (Art. 442 Abs. 5 ZGB)“, abrufbar auf <https://www.kokes.ch/assets/pdf/de/dokumentationen/empfehlungen/20_Uebernahme_einer_Massnahme_ZKE_2-2016.pdf>.

Nach Art. 315 Abs. 1 ZGB richtet sich die Zuständigkeit für Kindesschutzmassnahmen nach dem Wohnsitz des Kindes. Die örtliche Zuständigkeit scheint vorliegend klar zu sein, das Kind hat einen abgeleiteten zivilrechtlichen Wohnsitz von seiner Mutter. Nach Art. 315 Abs. 2 ZGB sind auch die Behörden am Ort zuständig, wo sich das Kind aufhält, wenn es bei Pflegeeltern oder sonst ausserhalb der häuslichen Gemeinschaft der Eltern lebt oder Gefahr im Verzug liegt. Eine Übertragung an den Aufenthaltsort ist somit möglich, die Praxis übt sich hier aber in Zurückhaltung. Nur in Ausnahmefällen kann die Führung der Massnahme am Aufenthaltsort und damit gegebenenfalls eine entsprechende Übertragung an den Aufenthaltsort angezeigt sein (Empfehlungen KOKES, 168; vgl. dazu die strenge Praxis des Bundesgerichts in BGE 129 I 419).

In der Regel kommt es dann zu einer Übertragung, wenn die Behörde am Aufenthaltsort den näheren Bezug zum Fall hat. Die Beiständin hat einen Reiseweg von 2 Stunden pro Weg, um das Kind am Aufenthaltsort zu besuchen. Für sich alleine stellt das noch kein Kriterium dar, um die Massnahme an den Aufenthaltsort zu übertragen. Lebt das Kind dort in einer Institution oder Pflegfamilie kann sich der Aufwand u.U. auf 2 Treffen im Jahr beschränken. Vielleicht erfordert die Situation auch einen intensiven oder regelmässigen Kontakt zur Mutter vor Ort.

Mangels Angaben, warum die Beistandschaft nicht von Chur aus geführt werden kann, abgesehen von der Reisezeit, kann ich Ihnen leider nicht sagen, wie Sie ein erneutes Gesuch begründen und ob ein solches Chancen haben könnte.

 

Luzern, 17.9.2019

Freundliche Grüsse

Karin Anderer

Guten Tag Frau Anderer

Besten Dank für ihre kompetente Antwort.

Beiliegend die aktuelle Situation, welche von der Schule und den Pflegeeltern berichtet wurde. Ich hoffe, Sie können so besser beurteilen, ob trotzdem noch einen Versuch einer Übergabe der Beistandschaft gewagt werden kann.

A. ist 11 Jahre alt und seit Geburt bei den Pflegeeltern aufgewachsen. Er hat zu den Eltern keinen Kontakt. Die leibliche Mutter kann es aufgrund ihrem Trauma der Wegnahme von A. nicht besuchen. Der Vater lebt in Deutschland. A. nimmt 10mg Ritalin. Er braucht beim Lernen viel Zeit um Muster zu automatisieren. Die Psychotherapeutin, der SPD und eine Assistenzperson sind involviert. Im Schulzimmer (ohne Assistenz) ist das Arbeiten kaum mögich. Die Pflegeeltern ist es bekannt, dass er sich ritzt. Vor den Sommerferien hat er einen Raubüberfall vorgetäuscht. A. wird auf seiner Schule nicht länger beschult, wenn kein Könnenszuwachs stattfndet und sein Leidensdruck zu gross wird. Er ist in seiner schulischen Entwicklung ca. ein Schuljahr zurück. Regelmässige Schulgespräche sind notwendig, bei denen die Beiständin abwesend ist. 

Die Pflegeeltern wünschen sich fachliche Unterstützung durch Beratungsstellen. Aufgrund der Distanz und den fehelenden Ortskenntnisse ist es sehr schwierig, dies zu organisieren.

Freundliche Grüsse

S. Müller

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Müller

Sie können der KESB sicher unterbreiten, einen 2. Versuch zu wagen. Erläutern müssen Sie die Ihrer Ansicht nach erforderliche „intensive“ Präsenz der Beiständin vor Ort, was u.a. der Stabilisierung des Pflegeplatzes dient. Auch der Umstand der Kontaktlosigkeit des Kindes zur Mutter und somit der geringe Bezug zum zivilrechtlichen Wohnsitz ist zu schildern.

Alternativ könnten Sie versuchen, eine intensivere Begleitung der Pflegefamilie vor Ort aufzugleisen. Vielleicht bietet die Fachstelle Pflegekind in Baden eine Begleitung an (http://www.pflegekind-ag.ch/beratung/) oder auch die zuständige Pflegekinderaufsicht vor Ort. Die Organisation PACH Pflege- und Adoptivkinder Schweiz bietet auch Coachings für Pflegeeltern an (https://pa-ch.ch/fuer-pflegekinder-und-eltern/fuer-pflegeeltern/).

Ich hoffe, die Angaben helfen Ihnen weiter.

 

Freundliche Grüsse

Karin Anderer