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Welche Gemeinde ist zuständig?

Veröffentlicht:
04.05.2022
Kanton:
Solothurn
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Sehr geehrte Damen und Herren

Wir (Sozialregion Unteres Niederamt) haben via Intake eine Anmeldung eines Klienten (Herr B.) für den Sozialhilfebezug erhalten. Da der Klient aktuell in Untersuchungshaft ist, haben wir mit der zuständigen Person der Justizvollzugsanstalt Kontakt. Wir bestellen bei Neuaunmeldungen jeweils die Personenstammblätter bei der Gemeinde um zu prüfen, ob sie auch dort wohnen und wir somit zuständig sind. Es hat sich herausgestellt, dass Herr B. nicht in Erlinsbach wohnt (wie er angegeben hat). Gemäss der Justizvollzugsanstalt ist die Situation folgendermassen:

Herr B. habe bis vor rund zwei Jahren in Wöschnau gewohnt. Dort habe er sich abgemeldet, seinen Heimatschein aber noch nicht abgeholt. In der Zeit vor der Haft habe er in Bern gelebt, sich dort aber nicht angemeldet gehabt.

Nach der Entlassung wird er nach Erlinsbach ziehen zu seiner Freundin (sie haben aktuell noch keine gemeinsamen Mietvertrag, wollen dies noch machen). Freudnin wird ebenfalls von uns unterstützt, ).

Wer ist nun zuständig? Sowie ich die Situation einschätze, sollte aktuell noch Bern zuständig  sein, ad er dort in den letzten 2 Jahren gewohnt hat. Jedoch hat er sich dort nie angemeldet. In Erlinsbach kann er erst angemledet werden, wenn er aus der U-Haft entlassen wird (voraussichtlich im Herbst). Ist dies korrekt?

Ich danke für eine Rückmeldung zum Vorgehen, besten Dank!

Freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Streit

Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Dabei geht es um die Frage der kantonalen Zuständigkeit zwischen dem Kanton Bern und dem Kanton Solothurn. Massgebend für die interkantonale Zuständigkeit ist das eidgenössische Zuständigkeitsgesetz (ZUG). Nach Art. 5 ZUG begründen der Aufenthalt in einem Heim, einem Spital oder einer anderen Einrichtung und die behördliche Unterbringung einer volljährigen Person in Familienpflege keinen Unterstützungswohnsitz. Die Untersuchungshaft ist als Aufenthalt in einer „anderen Einrichtung“ einzustufen (vgl. Werner Thomet, Kommentar zum ZUG, Schulthess 1994, Rz. 111 zu Art. 5 ZUG damals noch Anstalt statt Einrichtung, siehe auch das Merkblatt der SKOS zur örtlichen Zuständigkeit in der SozialhilfeZiff. 4). Demnach kann am Standort des Untersuchungsgefängnisses kein Unterstützungswohnsitz begründet werden. 

Hatte jemand vor dem Aufenthalt im Untersuchungsgefängnis einen Unterstützungswohnsitz, dann bleibt dieser während des Gefängnisaufenthalts bestehen. Dies ergibt sich aus Art. 9 Abs. 3 ZUG, wonach der Eintritt in ein Heim, ein Spital oder in eine andere Einrichtung sowie die behördliche Unterbringung einer volljährigen Person in Familienpflege einen bestehenden Unterstützungswohnsitz nicht beendigt. 

Ihren Schilderungen zufolge hielt sich Ihr Klient vor Beginn der Untersuchungshaft in der Stadt Bern auf, ohne sich jedoch dort anzumelden. Davor war er in der Solothurner Gemeinde Wöschnau wohnhaft, wo er sich auch abgemeldet hat, aber ohne den Heimatschein abzuholen. 

Es stellt sich daher die Frage, ob er in der Stadt Bern seinen Unterstützungswohnsitz hatte. Nach Art. 4 ZUG befindet sich der Unterstützungswohnsitz dort, wo sich jemand mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Die polizeiliche Anmeldung ist für die Begründung des Unterstützungswohnsitzes nicht Voraussetzung. Vielmehr ist entscheidend, ob der Klient seinen Lebensmittelpunkt faktisch in Bern hatte. Dabei kommt es auf seine persönlichen Angaben an und auch die Umstände die von aussen erkennbar sind. Kann von zwei Jahren Aufenthalt in der Stadt Bern ausgegangen werden, sei dies in einer regulären Wohnung, obdachlos oder mit wechselnden Wohnsituationen, dann ist dies ein starkes Indiz dafür, dass er in der Stadt Bern Unterstützungswohnsitz hatte (siehe dazu wiederum Thomet, a.a.O., Rz. zu Art. 4; Rz. 96 ff; auch Merkblatt der SKOS a.a.O, Ziff. 3). Ist dem so, dann bleibt der Kanton Bern gestützt auf Art. 9 Abs. 3 ZUG auch für die Zeit zuständig, wo sich der Klient in (ausserkantonaler) Untersuchungshaft befindet. Er ist weiterhin als Wohnkanton (Art. 4 in Verbindung mit Art. 12 oder 20 ZUG) zuständig.

Kann weder in der Stadt Bern, in Wöschnau noch anderswo ein Unterstützungswohnsitz nach Art. 4 ZUG festgestellt werden (von dem gehe ich aber Ihren Schilderungen zufolge nicht aus), dann richtet sich die Zuständigkeit nach Art. 11 ZUG (vgl. Merkblatt der SKOS, a.a.O., Ziff. 11). Diesfalls wäre der Kanton, wo sich das Untersuchungsgefängnis befindet, als Aufenthaltskanton (im Sinne von Art. 12 Abs. 2 oder 20 Abs. 2 oder 21 ZUG) für die wirtschaftliche Hilfe zuständig. 

Sowohl beim Unterstützungswohnsitz als auch Aufenthalt spielen künftige Pläne zur Veränderung des Lebensmittelpunktes insoweit keine Rolle, als bereits am künftigen Wohnort Unterstützungswohnsitz begründet werden kann. Erst wenn der Klient aus der Untersuchungshaft austritt und dann sich in der Gemeinde Erlinsbach niederlässt, verliert er den bisherigen Unterstützungswohnsitz nach Art. 9 Abs. 1 ZUG und begründet einen neuen nach Art. 4 ZUG in Erlinsbach. 

Ab wann er sich in der Gemeinde Erlinsbach anmelden kann, ist eine einwohnerregisterrechtliche Frage und kann vorliegend nicht beantwortet werden. Ich tendiere aber auch dazu, dass dies währender Untersuchungshaft nicht möglich ist. Da für die Begründung des Unterstützungswohnsitzes nach ZUG, wie oben dargelegt, die polizeiliche Anmeldung nicht vorausgesetzt ist, kann diese Frage auch offen gelassen werden.

Zum Vorgehen: Sie können der Justizanstalt mitteilen, die Stadt Bern anzufragen. Falls datenschutzrechtlich möglich, können Sie auch direkt mit der Stadt Bern in Kontakt treten. Falls die Stadt Bern ihre Zuständigkeit nicht anerkennt, dann wäre der Klient einstweilen durch die Gemeinde, wo sich das Untersuchungsgefängnis befindet, zu unterstützen. Diese Gemeinde hat sodann ihre ZUG-Stelle einzuschalten. Via ZUG-Stelle kann dem Kanton Bern eine Unterstützungsanzeige zugestellt werden (Art. 29 ZUG in Verbindung mit Art. 30 ZUG). Allenfalls wären vorgängig die Angaben der Justizanstalt zum Lebensmittelpunkt und Aufenthalt vor Untersuchungshaft zu überprüfen.

Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Fragen beantwortet zu haben.

Freundliche Grüsse

Ruth Schnyder