Sehr geehrte Damen und Herren
Die Ausgangslage ist die Folgende: Die Eltern von drei Kindern (Jahrgang 2011, 2014 und 2017) sind getrennt. Sie haben die gemeinsame elterliche Sorge. Die Mutter ist Inhaberin der Obhut. Die Mutter möchte mit den Kindern im Sommer ferienhalber in die Dominikanische Republik fliegen (ihr Heimatland). Der Vater macht Äusserungen, dass er damit nicht einverstanden ist.
Grundsätzlich gilt ja bei geS, dass die Wahl der Feriendestination in Einzelkompetenz entschieden werden kann, es sei denn, es handle sich dabei um eine Reise in ein Krisengebiet oder in ein Gebiet mit hohen gesundheitlichen Risiken. Wie sieht diese Ausgangslage nun konkret in Bezug auf die Dominikanische Republik aus, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Pandemie? Kann die Mutter in Einzelkompetenz entscheiden oder braucht sie die Einwilligung des Vaters?
Besten Dank.
Frage beantwortet am
Urs Vogel
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Erwägungen
Wie Sie richtig bemerken, liegt die Wahl der Feriendestination, sei dies im Rahmen der Ausübung der Obhut oder des Besuchsrechtes, in der Entscheidungskompetenz desjenigen Elternteils, der die Obhut ausübt oder das Besuchsrecht wahrnimmt. Sind mit der Wahl der Feriendestination grössere Risiken verbunden, so ist diese Entscheidung als nicht alltäglich zu qualifizieren und bedarf bei gemeinsamer Sorge der Zustimmung beider Eltern (Art. 301 Abs. 1bis ZGB). Eine solche Entscheidung hat sich in jedem Fall aber am Wohl des Kindes zu orientieren.
Aktuell empfiehlt der Bundesrat, auf nicht notwendige Reisen ins Ausland zu verzichten (siehe dazu: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/ausbrueche-epidemien-pandemien/aktuelle-ausbrueche-epidemien/novel-cov/empfehlungen-fuer-reisende/auslandsreisen.html#1060370995, besucht am 16.4.21). Diese Empfehlung bedeutet jedoch nicht, dass Reisen ins Ausland zum Besuch von Familienangehörigen und Pflege der Kontakte nicht möglich sind. Zu beachten sind in jedem Fall die speziellen Ein- und Ausreisebestimmungen der jeweiligen Destination, sowie die allfällige spezifische Empfehlungen oder Reisewarnungen des Bundes.
Für die Reisedestination Dominikanische Republik veröffentlicht das EDA, neben dem Hinweis auf eine erhöhte Kriminalität, keine spezifischen Reisewarnungen. Das Land gilt als stabil (https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/dominikanische-republik/reisehinweise-fuerdiedominikanischerepublik.html, besucht am 16.4.21). Ebenso steht die dominikanische Republik aktuell nicht auf der Liste der Risikoländer des BAG (https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/ausbrueche-epidemien-pandemien/aktuelle-ausbrueche-epidemien/novel-cov/empfehlungen-fuer-reisende/liste.html#1333144106, besucht am 16.4.21). Somit besteht bei der Rückkehr von der Dominikanischen Republik nach den Ferien keine Quarantänepflicht, ebenso müssen die Kinder unter 12 Jahren, was vorliegend der Fall ist, keinen negativen Coronatest vorweisen.
Das Staatssekretariat für Migration SEM führt ebenfalls eine Liste mit Risikoländern. Dabei geht es um die Frage, aus welchem Land Personen in die Schweiz einreisen dürfen. Die dominikanische Republik steht auf dieser Risikoliste. Verfügen die einreisenden Personen jedoch über einen Schweizer Pass oder eine gültige Aufenthaltsbewilligung haben, dürfen sie aus jedem Land in die Schweiz einreisen und die Liste der Risikoländer des SEM, aus denen ein Einreiseverbot besteht, hat für sie keine Bedeutung (https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/sem/aktuell/faq-einreiseverweigerung.html#minimize41618334130179; besucht am 16.4.21).
Im Weiteren ist zu beurteilen, was für die Einreise seitens der Dominikanische Republik notwendig ist. Müsste z.B. bei der Einreise eine zweiwöchige Quarantäne absolviert werden, ist dies eine zusätzliche Komponente, die in Bezug auf die Frage, ob eine solche Reise dem Kindeswohl entspricht, miteinzubeziehen wäre.
Seitens des Bundes bestehen somit für eine Reise in die Dominikanische Republik in der vorliegende Situation (ich gehe davon aus, dass die Mutter mit den drei Kindern entweder über einen Schweizerpass verfügt oder eine gültige Aufenthaltsbewilligung besitzt) keine spezielle Reisewarnungen, zur Diskussion steht einzig die allgemeine Empfehlung des Bundesrates, auf nicht notwendige Reise zu verzichten. Ob diese allgemeine Empfehlung dazu führt, die Wahl der Feriendestination als nichtalltägliche Entscheidung zu qualifizieren, würde ich eher verneinen.
Führt die Einreise aber dazu, dass sich die Mutter mit den Kindern in der Dominikanischen Republik in Quarantäne begeben müsste oder weitere Einschränkungen vorgesehen sind oder eine Quarantänepflicht bei der Rückkehr in die Schweiz bestehen würde, ist dies als nicht alltägliche Entscheidung qualifizieren und die Notwendigkeit einer Zustimmung des anderen Elternteils ist zu bejahen. Können sich die Eltern in dieser Situation nicht einigen, ist auf die Ferienreise zu verzichten. Eine Entscheidungskompetenz der KESB in dieser Konfliktsituation hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Die KESB könnte erst dann angerufen werden, wenn die Uneinigkeit der Eltern zu einer Situation führt, die eine Gefährdung des Kindeswohls darstellt (BK Affolter/Vogel, Art. 301 N 42; BSK ZGB-Schwenzer/Cottier, Art. 310 N 3h), was vorliegend kaum der Fall sein dürfte.
Zu beachten ist aber, dass allenfalls die Regeln der Einreise in die beabsichtigte Feriendestination eine Zustimmung des anderen Elternteils vorsehen könnten, was bezüglich der Dominikanischen Republik noch abzuklären wäre.
Das EDA empfiehlt generell, sich vor Auslandreisen bei den ausländischen Vertretungen in der Schweiz (Botschaften und Konsulate) über die aktuell gültigen Transit – und Einreisevorschriften und anderen Massnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuen Coronavirus zu erkundigen (https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/dominikanische-republik/reisehinweise-fuerdiedominikanischerepublik.html, besucht am 16.4.21).
Bis im Sommer könnte sich die Situation in Bezug auf die Pandemie jedoch noch ändern, sodass die entsprechende Beurteilung zeitnah vorzunehmen ist.
Kulmerau, 16.4.21/Urs Vogel