Guten Tag
Aufgrund von Sanierungsarbeiten wird der Arbeitsplatz meiner Klientin vorübergehend für 4 Monate (Nov 21 - Feb 22) geschlossen. In einer Informationsmail seitens AG im August und einem Nachtrag Ende September 21, wurden die Mitarbeitenden darauf hingewiesen, dass den Angestellten im Stundenlohn definitiv kein Lohnersatz bezahlt werde. Meiner Klientin, welche im Stundenlohn angestellt ist, wurde der Vertrag nicht gekündigt. Im Ihrem Arbeitsvertrag ist zudem festgehalten, dass die Arbeitszeiten in Absprache erfolgen und kein Anspruch auf minimale Stundenanzahl bestehe. Dieser Arbeitsvertrag besteht seit 2018 zw. den beiden Parteien. Meine Klientin kommt in der Regel auf 1 - 2 Einsätze pro Woche und verdient regelmässig um CHF 1160.-/Mt. (netto).
Muss die Klientin die Lohneinbussen wirklich so hinnehmen oder wäre doch ein Lohnersatz zu erwirken, evt. aufgrund der bisherigen Regelmässigkeit ihrer Einsätze?
Andernfalls stellt sich mir die Frage, ob eine zwischenzeitliche Kündigung nicht doch von Vorteil gewesen wäre, damit die Klientin zumindest ALT geltend machen könnte? Oder kann sie dies auch so, evt. mit einer Bestätigung betr. vorübergehender Schliessung des Betriebes?
Besten Dank für Ihre Rückmeldungen.
Freundliche Grüsse
Jeanine Brunner
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Brunner
Der von Ihnen geschilderte Fall wirft die Frage auf, ob hier allenfalls ein Fall von Art. 324 OR vorliegen könnte. Gemäss dieser Bestimmung schuldet die Arbeitgeberin den Lohn, wenn die vertraglich vereinbarte Arbeit wegen Verschulden der Arbeitgeberin oder aus anderen Gründen nicht geleistet werden kann.
Nun stellen sich aber vorliegend mehrere Fragen bzw. Probleme.
Zum einen ist zu fragen, ob sich aus dem Vertrag überhaupt ein Anspruch auf eine regelmässige Arbeitsleistung ergibt. Sie erwähnen, dass gemäss Vertrag kein Anspruch auf regelmässige Zuteilung von Arbeit und auf eine minimale Anzahl Stunden pro Woche bestehe. Dieser vertraglichen Vereinbarung aber steht die Praxis zwischen den beiden Vertragsparteien gegenüber, gemäss dieser seit 2018 (wann 2018?), also doch während einer relativ langer Zeitdauer, regelmässig ein bestimmtes Arbeitsvolumen (1-2 Einsätze pro Woche, Verdienst 1160.—Netto, wohl ca 20-30%Pensum, je nach Arbeitszeit/Lohnhöhe) von der Arbeitgeberin angeboten und von der Arbeitnehmerin geleistet wurde. Es fragt sich von daher, ob sich aufgrund dieser Umstände eine konkludente vertragliche Einigung auf ein bestimmtes Pensum ableiten lässt. Meines Erachtens sprechen die vorhanden Indizien für eine solche Annahme.
Nun stellt sich die Frage, wie die im August 2021 erfolgte Information der Arbeitgeberin, dass zwischen November 21 und Februar 22 keine Arbeit angeboten werde, zu qualifizieren ist. Wenn davon ausgegangen wird, dass vorangehend eine konkludente vertragliche Einigung über ca ein 30% Pensum vorliegt, so stellt die Information der Arbeitgeberin im August eine Offerte für eine Vertragsanpassung dar. Inhalt der Vertragsanpassung ist die vorübergehende Reduktion der Arbeitszeit auf Null Stunden, ab März 22 würde diesfalls die vorangehende Regelung (d.h. ca 30% Pensum) weitergelten. Eine solche Vertragsanpassung bedarf der Zustimmung der Arbeitnehmerin. Ist die Arbeitnehmerin mit der Änderung nicht einverstanden, könnte die Arbeitgeberin den Vertrag künden bzw. eine Änderungskündigung aussprechen (Vertragsanpassung im oben erwähnten Sinne, bei Nichtzustimmung Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen bzw. vertraglichen Kündigungsfrist, dh. Im überjährigen Arbeitsverhältnis zwei Monate). Während der Kündigungsfrist müsste die Arbeitgeberin der Arbeitnehmer weiterhin ermöglichen, die Arbeitsleistung zu erbringen, ansonsten würde ein Fall von Art. 324 OR vorliegen, d.h. es würde ein Lohnanspruch auch ohne Arbeitsleistung bestehen.
Welches Vorgehen empfiehlt sich nun in einem solchen Fall? Da die Arbeitgeberin während der Stilllegung des Betriebes vermutlich gar keine Arbeit anbieten kann, besteht sicher das Risiko, dass bei einem Bestehen auf Erfüllung des Vertrages und ggf. Fordern von Lohn gestützt auf Art. 324 OR die Kündigung riskiert wird. Zu beachten ist auch, dass Ihr Klientin im August wohl umgehend hätte reagieren sollen.
Trotz eher ungewissen Erfolgsaussichten und gewissen Risiken wegen einer Kündigung sollte die Arbeitnehmerin dennoch beim Arbeitgeberin vorsprechen und ihren Standpunkt einbringen. Bei dieser Gelegenheit soll sie unbedingt ihre Arbeitsleistung auch während der Sanierung anbieten (vielleicht gibt es ja eine andere Tätigkeit im Betrieb, die sich ausüben könnte während dieser Zeit). Zudem soll sie unbedingt nachfragen, wie die Versicherungssituation (v.a. allfällige Krankentaggeldversicherung) während der unbezahlten Phase aussieht. Auch Fragen des Unfallversicherungsschutzes sind zu klären.
Bleibt die Frage, ob in dieser Situation Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung besteht. Solange ein Arbeitsverhältnis noch besteht, liegt keine Arbeitslosigkeit vor. Auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses per Ende Oktober und Wiederaufnahme der Arbeit per März 22 bedeutet nicht automatisch, dass ihre Klientin während der Zeit November bis Februar Anspruch auf ALV_Leistungen hätte. Es wäre durchausmöglich, dass ihrer Klientin für diese Zeitspanne die Vermittlungsfähigkeit abgesprochen worden wäre, da für lediglich vier Monate zu einem tiefen Pensum kaum Stellen vorhanden sind.
Anders würde es sich verhalten, wenn die Arbeitnehmerin eine "normale" Kündigung erhält und sie somit nicht nur vorübergehend arbeitslos wäre. In diesem Fall würde – unter der Bedingung, dass alle anderen Voraussetzungen vorliegen – Anspruch auf ALV-Leistungen bestehen.
Die Situation ihrer Klientin ist also sehr anspruchsvoll und in rechtlicher Hinsicht ist die Lage nicht vielversprechend. Nichtsdestotrotz soll versucht werden, mit der Arbeitgeberin eine für alle Parteien zufriedenstellende Lösung zu finden.
Genügen Ihnen diese Angaben? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli
Der von Ihnen geschilderte Fall wirft die Frage auf, ob hier allenfalls ein Fall von Art. 324 OR vorliegen könnte. Gemäss dieser Bestimmung schuldet die Arbeitgeberin den Lohn, wenn die vertraglich vereinbarte Arbeit wegen Verschulden der Arbeitgeberin oder aus anderen Gründen nicht geleistet werden kann.
Nun stellen sich aber vorliegend mehrere Fragen bzw. Probleme.
Zum einen ist zu fragen, ob sich aus dem Vertrag überhaupt ein Anspruch auf eine regelmässige Arbeitsleistung ergibt. Sie erwähnen, dass gemäss Vertrag kein Anspruch auf regelmässige Zuteilung von Arbeit und auf eine minimale Anzahl Stunden pro Woche bestehe. Dieser vertraglichen Vereinbarung aber steht die Praxis zwischen den beiden Vertragsparteien gegenüber, gemäss dieser seit 2018 (wann 2018?), also doch während einer relativ langer Zeitdauer, regelmässig ein bestimmtes Arbeitsvolumen (1-2 Einsätze pro Woche, Verdienst 1160.—Netto, wohl ca 20-30%Pensum, je nach Arbeitszeit/Lohnhöhe) von der Arbeitgeberin angeboten und von der Arbeitnehmerin geleistet wurde. Es fragt sich von daher, ob sich aufgrund dieser Umstände eine konkludente vertragliche Einigung auf ein bestimmtes Pensum ableiten lässt. Meines Erachtens sprechen die vorhanden Indizien für eine solche Annahme.
Nun stellt sich die Frage, wie die im August 2021 erfolgte Information der Arbeitgeberin, dass zwischen November 21 und Februar 22 keine Arbeit angeboten werde, zu qualifizieren ist. Wenn davon ausgegangen wird, dass vorangehend eine konkludente vertragliche Einigung über ca ein 30% Pensum vorliegt, so stellt die Information der Arbeitgeberin im August eine Offerte für eine Vertragsanpassung dar. Inhalt der Vertragsanpassung ist die vorübergehende Reduktion der Arbeitszeit auf Null Stunden, ab März 22 würde diesfalls die vorangehende Regelung (d.h. ca 30% Pensum) weitergelten. Eine solche Vertragsanpassung bedarf der Zustimmung der Arbeitnehmerin. Ist die Arbeitnehmerin mit der Änderung nicht einverstanden, könnte die Arbeitgeberin den Vertrag künden bzw. eine Änderungskündigung aussprechen (Vertragsanpassung im oben erwähnten Sinne, bei Nichtzustimmung Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen bzw. vertraglichen Kündigungsfrist, dh. Im überjährigen Arbeitsverhältnis zwei Monate). Während der Kündigungsfrist müsste die Arbeitgeberin der Arbeitnehmer weiterhin ermöglichen, die Arbeitsleistung zu erbringen, ansonsten würde ein Fall von Art. 324 OR vorliegen, d.h. es würde ein Lohnanspruch auch ohne Arbeitsleistung bestehen.
Welches Vorgehen empfiehlt sich nun in einem solchen Fall? Da die Arbeitgeberin während der Stilllegung des Betriebes vermutlich gar keine Arbeit anbieten kann, besteht sicher das Risiko, dass bei einem Bestehen auf Erfüllung des Vertrages und ggf. Fordern von Lohn gestützt auf Art. 324 OR die Kündigung riskiert wird. Zu beachten ist auch, dass Ihr Klientin im August wohl umgehend hätte reagieren sollen.
Trotz eher ungewissen Erfolgsaussichten und gewissen Risiken wegen einer Kündigung sollte die Arbeitnehmerin dennoch beim Arbeitgeberin vorsprechen und ihren Standpunkt einbringen. Bei dieser Gelegenheit soll sie unbedingt ihre Arbeitsleistung auch während der Sanierung anbieten (vielleicht gibt es ja eine andere Tätigkeit im Betrieb, die sich ausüben könnte während dieser Zeit). Zudem soll sie unbedingt nachfragen, wie die Versicherungssituation (v.a. allfällige Krankentaggeldversicherung) während der unbezahlten Phase aussieht. Auch Fragen des Unfallversicherungsschutzes sind zu klären.
Bleibt die Frage, ob in dieser Situation Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung besteht. Solange ein Arbeitsverhältnis noch besteht, liegt keine Arbeitslosigkeit vor. Auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses per Ende Oktober und Wiederaufnahme der Arbeit per März 22 bedeutet nicht automatisch, dass ihre Klientin während der Zeit November bis Februar Anspruch auf ALV_Leistungen hätte. Es wäre durchausmöglich, dass ihrer Klientin für diese Zeitspanne die Vermittlungsfähigkeit abgesprochen worden wäre, da für lediglich vier Monate zu einem tiefen Pensum kaum Stellen vorhanden sind.
Anders würde es sich verhalten, wenn die Arbeitnehmerin eine "normale" Kündigung erhält und sie somit nicht nur vorübergehend arbeitslos wäre. In diesem Fall würde – unter der Bedingung, dass alle anderen Voraussetzungen vorliegen – Anspruch auf ALV-Leistungen bestehen.
Die Situation ihrer Klientin ist also sehr anspruchsvoll und in rechtlicher Hinsicht ist die Lage nicht vielversprechend. Nichtsdestotrotz soll versucht werden, mit der Arbeitgeberin eine für alle Parteien zufriedenstellende Lösung zu finden.
Genügen Ihnen diese Angaben? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli