Guten Tag
Fallschilderung:
Ehepaar mittleren Alters, Mann erwerbstätig, Frau hatte einen Hinrschlag und ist seither schwer pflegebedürftig in einem Pflegeheim. IV wurde angemeldet, Wartejahr (resp. 6 Mnt. bis zum frühesten Anspruch) läuft noch. Zur Deckung der Heimkosten wurde Antrag auf Sozialhilfe gestellt. Die Sozialhilfeberechnung ergibt nach Gegenüberstellung der Lohneinnahmen des Mannes und der Auslagen des Ehepaars einen Anspruch. Jedoch muss der Mann einen Teil seines Lohnes an die Deckung der Heimkosten geben, wozu er sich weigert.
Duch die Sozialhilfe kann somit nur ein Teil der Heimkosten gedeckt werden, weshalb das Heim Druck macht.
Die Anfrage beim Familiengericht zur Errichtung einer erwachsenenschutzrechtichen Massnahme ergab, dass für den Mann keine Massnahme zur Verwaltung seines Einkommens errichtet werden kann, da er voll urteils- und handlungsfähig ist und es sein freier Wille ist, ob er einen Teil seines Einkommens zur Deckung der Heimkosten seiner Ehefrau aufwenden will. Die Ehefrau ist weder handlungs- noch urteilsfähig, weshalb für sie auch eine Beiständin/ein Beistand keine Trennung veranlassen könnte, da es sich dabei um ein höchstpersönliches Recht handelt und nicht in Vertretung eingeleitet werden kann.
Wie kann der Sozialdienst vorgehen? Wer bezahlt den "Fehlbetreg" der Heimkosten, wenn sich der Ehemann weigert, im Rahmen seiner ehelichen Solidarhaft einen Teil seines Einkommens dafür aufzuwenden.
Herzlichen Dank und Freundliche Grüsse
Eva Bühler
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Bühler
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Ich gehe davon aus, dass es sich im vorliegenden Fall um die durch die Pflegefinanzierung (KVG und kantonaler Pflegebeitrag) nicht gedeckten Kosten handelt, d.h. um jene für den Pflegebeitrag (§ 14a Pflegegesetz des Kantons Aargau [PflG], die Pension (Hotellerie), Betreuung (§ 14b PflG) und weitere persönliche Auslagen (Taschengeld). Von Seiten IV sollten wahrscheinlich eine Hilflosenentschädigung und eine Rente dazukommen, welche ebenfalls zur Deckung der Kosten beitragen. Eventuell besteht auch ein Rentenanspruch aus der zweiten Säule. Auch sollte geprüft werden, ob eine Zusatzversicherung (VVG) und/oder dritte Säule besteht, welche Leistungen bei Invalidität/Pflegebedürftigkeit vorsehen. Vermögen diese Leistungen den Bedarf nicht zu decken, können Ergänzungsleistungen geltend gemacht werden. Bei Ehegatten wird der Anspruch nach den Grundsätzen von Art. 9 Abs. 3 ELG beurteilt, wobei u.a. auch das Einkommen beider Ehegatte einbezogen wird.
Aktuell besteht Ihren Angaben zufolge noch kein Zugang zu den Ergänzungsleistungen (Art. 4 ELG), da weder eine Rente noch eine Hilflosenentschädigung der IV zugesprochen wurden. Beide Geldleistungen der IV reichen für sich alleine aus, um den Anspruch zu etablieren. Darum ist es wichtig, dass nicht nur eine Rente, sondern auch eine Hilflosenentschädigung seitens IV geprüft wird, zumal die Hilflosenentschädigung nur das Wartejahr ab Beginn der Hilflosigkeit kennt, nicht aber die 6-Monatsfrist ab Anmeldung. D.h. über die Hilflosenentschädigung könnte bei verspäteter Anmeldung der Rente der Zugang zur EL schneller etabliert werden.
Offenbar konnten die finanziellen Verhältnisse der Ehegatten nach den sozialhilferechtlichen Grundsätzen geklärt werden und es besteht ein Fehlbetrag. Dabei wurde ein Beitrag des Ehemannes aus seinem monatlichen Erwerbseinkommen eingerechnet, welchen er nicht leisten will.
Seine Unterhaltspflicht nach Art. 163 ZGB beruht auf der ehelichen Beistandspflicht (Art. 159 Abs. 3 ZGB). Das Gericht kann angerufen werden, im Rahmen eines Eheschutzverfahrens einen Unterhaltsbeitrag festzulegen (Art. 173 Abs. 1 ZGB, Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB). Das ist auch möglich, wenn sich die Ehegatten auf der Beziehungsebene nicht trennen wollen, denn Art. 173 ZGB befindet sich im ZGB systematisch unter dem Titel «Während des Zusammenlebens». Es stellt sich aber in der Tat die Frage, ob wegen der Heimunterbringung der Ehefrau die Ehegatten nicht mehr als zusammenlebend betrachtet werden und deshalb die Festlegung des Unterhaltsbeitrags nach Art. 173 ZGB nicht möglich wäre. Ich bin der Meinung, dass für das Ablehnen des «Zusammenlebens» und die Annahme des «Getrenntlebens» notwendig ist, dass neben der örtlichen Trennung auch ein eindeutig bekundeter Trennungswille vorliegt, was jedenfalls beim Erfordernis des Getrenntlebens von 2 Jahren für den Fall der Scheidungsklage nach Art. 114 ZGB verlangt wird (dazu KUKO ZGB-Rolf Vetterli/Linus Cantieni zu Art. 114 N 2). Mir scheint es naheliegend, dass diese Sicht auch auf Art. 176 ZGB übertragbar ist, wo der Unterhaltsbeitrag für die Dauer des «Getrenntlebens» festgelegt werden kann. Umgekehrt heisst demnach, dass nach wie vor von einem «Zusammenleben» ausgegangen werden kann, wenn kein Trennungswille geäussert wird. Insoweit scheint mir eine Unterhaltsklage nach Art. 173 ZGB in Ihrem Fall als gangbarer Weg. Ich empfehle Ihnen, dies näher abzuklären, mit dem zuständigen Gericht, von einer spezialisierten Anwältin oder allenfalls in Zusammenarbeit mit der KESB, die dafür eine Beistandschaft errichten könnte. Im Übrigen bin ich mir nicht sicher, ob das Regeln des Getrenntlebens nach Art. 176 ZGB ein vertretungsfeindliches höchstpersönliches Recht darstellt. Nach der Rechtsprechung ist es bei der Scheidung jedenfalls so (KUKO ZGB-Sandra Hotz zu Art. 19c N10 mit Hinweisen, auch auf Kritik aus der Lehre). Das Einklagen von Unterhaltsbeiträgen nach Art. 173 ZGB ist vermögensrechtlicher Natur und daher meiner Meinung nach der Vertretung jedenfalls zugänglich.
Insgesamt muss es meiner Meinung nach einen Weg geben, Unterhalt im vorliegenden Fall einzuklagen, ansonsten wäre dies ein stossendes Ergebnis, zumal der Gesetzgeber für getrennte als auch nicht getrennte Ehepaare diese Möglichkeit geschaffen hat.
Zum Unterhaltsanspruch mit Blick auf die Sozialhilfe noch Folgendes:
Die Sozialhilfe subrogiert in den Unterhaltsanspruch, soweit sie bevorschussend dafür aufkommt (Art. 176a i.V.m. 131a ZGB). D.h. die Sozialhilfe wird in diesem Umfang Gläubigerin in Bezug auf den Unterhaltsanspruch, da es sich um eine Legalzession (Abtretung von Gesetzes wegen) handelt (Art. 166 OR). Die Sozialhilfe kann den Ehemann beim zuständigen Gericht selbständig einklagen, im Umfang als sie bevorschussend materielle Hilfe an die Ehefrau geleistet hat. Das Gericht legt dann nach den Grundsätzen des Ehegattenunterhalts den Unterhaltsbeitrag fest. Für den Fall, dass der Ehemann nicht bereit ist, auch den gerichtlich festgelegten Unterhaltsbeitrag zu leisten, kann die Sozialhilfe eine Schuldneranweisung (Art. 177 ZGB) verlangen. Der Unterhalt kann für die Zukunft und für das Jahr vor Einreichung des Begehrens um Unterhaltsfestlegung geltend gemacht werden (Art. 173 Abs. 3 ZGB). Es ist empfehlenswert, dass sich die Sozialhilfe für dieses Verfahren anwaltlich vertreten lässt.
Im vorliegenden Fall stellt sich, wie oben bereits erwähnt, aber die Frage, ob für die Unterhaltstreitigkeit nicht eine Vertretungsbeistandschaft durch die KESB zu errichten wäre.
Zu guter Letzt noch diese Möglichkeit: Falls der Ehemann den Heimvertrag unterschrieben hat und dabei allenfalls auch seine Haftung für die Heimkosten vertraglich bestätigt hat, dann könnte das Heim ihn für die Ausstände direkt belangen. Dies wäre mit dem Heim abzuklären.
Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Fragen beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder