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Vorgehen bei abschlägigem IV-Vorbescheid

Veröffentlicht:
05.01.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrte Damen und Herren
Im Rahmen der wirtschaftlichen Hilfe begleite ich einen Klienten, Jg. 1991, welcher unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung leidet und seit Jahren psychiatrisch behandelt wird.
Aufgrund der Erkrankung und der dadurch fehlenden Compliance ist die Behandlung des Klienten jedoch sehr schwierig. So hat er bislang zu keinem Klinikaufenthalt einwilligen können. Ausserdem: mein Klient konsumiert regelmässig Cannabis und Alkohol und versucht so, wie viele Menschen das leider tun, eine Eigensedierung zu erreichen. Problem: viele Kliniken nehmen ihn nicht auf, solange er nicht abstinent ist.
Die IV-Stelle Zürich hat ihm nun eine Mitwirkungspflicht auferlegt und ihn aufgeboten, eine regelmässige Abstinenzkontrolle nachzuweisen. Der Klient ist aufgrund seines Krankheitsbildes jedoch nicht in der Lage dieser Mitwirkungspflicht nachzukommen. Auch der langjährig behandelnde Psychiater hat dies bereits mehrfach bei der IV-Stelle zum Ausdruck gebracht und schriftlich attestiert.
Mit Vorbescheid vom 28. Dezember 2016 hat die IV-Stelle nun den Anspruch auf IV-Leistungen verneint, weil der Klient seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist.
Frage: wie kann in einer solchen Situation noch vorgegangen werden? Der Klient ist aufgrund seiner Erkrankung schwer eingeschränkt, ist dauerhaft arbeitsunfähig und auch im sozialen Bereich sehr isoliert. Es steht ausser Frage, dass er mittel- oder langfristig in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden kann. IV-Leistungen wären aus Sicht des Arztes und auch des Sozialdienstes dringend angezeigt.
Für Ihre Antwort danke ich Ihnen bestens und wünsche einen schönen Nachmittag.

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrte Frau Saluz
a) Zum Vorgehen: Es ist aus meiner Sicht bei dieser Konstellation klar, dass unbedingt gegen diesen Vorbescheid ein Einwand notwendig ist. Dafür genügt es, dass innert Frist von 30 Tagen dieser Einwand erhoben wird und verlangt wird, dass die gesetzlichen Leistungen gewährt werden. Ergänzend kann angefügt werden, dass die Begründung nachgereicht wird und dafür eine genügende Frist zu erheben sei.
Im Weiteren ist unverzüglich soweit noch nicht erfolgt oder aktuell, Akteneinsicht zu verlangen mit Vollmacht des Klienten.
Die genaue Begründung für die Einwände bzw. für die nachgereichte Begründung ist dann nur möglich nach einer sorgfältigen Prüfung der gesamten Akten und insbesondere der genauen medizinischen Sachlage.
Ich rate Ihnen dazu, dafür einen spezialisierten Anwalt einzuschalten oder einen spezialisierten Rechtsdienst möglichst umgehend zu involvieren (z.B. über Z.B. durch den Rechtsdienst von Procap (http://www.procap.ch/Rechtsberatung.87.0.html) oder von Inclusion Handicap (siehe https://www.inclusion-handicap.ch/de/droit/rechtsberatung/assurances-sociales-76.html)
b) Inhaltlich ist Folgendes zu beachten:
aa) Eine Drogen- und Alkoholsucht begründen nach der Rechtsprechung für sich allein betrachtet zwar keine Invalidität im Sinn des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG), sie können jedoch im Rahmen der Invalidenversicherung relevant werden, wenn sie eine Krankheit oder einen Unfall bewirkt haben, in deren Folge ein körperlicher oder geistiger, die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigender Gesundheitsschaden eingetreten ist, oder wenn sie selber Folge eines geistigen Gesundheitsschadens sind, dem Krankheitswert zukommt (BGE 99 V 28 Erw. 2; Entscheid I 207/2006).
bb) Je nach Situation kann es sein, dass die Einstellung des Verfahrens zulässig ist, weil die Invalidität gar nicht abgeklärt oder festgestellt werden kann. Das aber nur, wenn es tatsächlich nicht möglich ist, aufgrund des aktuellen Konsums eine IV-relevante Gesundheitsbeeinträchtigung überhaupt festzustellen. Dies ist aufgrund der medizinischen Akten konkret zu überprüfen.
Eine Einstellung des Verfahrens oder Ablehnung wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht wiederum wäre nur zulässig, wenn ihm dies überhaupt vorgeworfen werden kann, woran im vorliegenden Fall bei klarer medizinischer Basis, dass er gar nicht in der Lage ist abstinent zu leben, zweifelhaft erscheint.
Vgl. zum Ganzen auch Urteil IV.2015.00974 des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27.September 2016, das ich Ihnen in der Beilage hochlade. Aus diesem Urteil kann auch einiges abgeleitet werden für die Begründung des Einwandes.
Auch in weiteren Urteilen wird die Zulässigkeit solcher Auflagen in konkreten Einzelfällen kritisch hinterfragt, je nach konkreter Situation. Siehe etwa http://www.gerichte.sg.ch/home/dienstleistungen/rechtsprechung/aktuelleentscheide1/Entscheide2009/iv-invalidenversicherung/iv200920.html.
oder
http://www.gerichte.sg.ch/home/dienstleistungen/rechtsprechung/aktuelleentscheide1/Entscheide2009/iv-invalidenversicherung/iv2008291.html.
cc) Weiter möchte ich Sie auf einige Bestimmungen im Kreisschreiben über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung (KSIH) aufmerksam machen, die im konkreten Fall unter Umständen angeführt werden können:
Rz. 1018.1 Von Erwerbsunfähigkeit wird erst ausgegangen, nachdem die versicherte Person sowohl die angezeigten beruflichen Eingliederungsmassnahmen als auch die ihr zumutbaren medizinischen Eingliederungsmassnahmen wie z.B. medikamentöse Therapien, Operationen, Psycho-, Ergo- oder Physiotherapien durchlaufen hat. Für die Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit sind ausschliesslich die Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen(Art. 7 Abs. 2 ATSG). Nicht berücksichtigt werden können insbesondere invaliditätsfremde Gründe wie Alter (vgl. aber Rz 3050.1), mangelnde Schulbildung, sprachliche Probleme, soziokulturelle Faktoren, reines Suchtgeschehen und Aggravation (vgl. Rz 1026). Eine Erwerbsunfähigkeit ist zudem nur zu berücksichtigen, soweit sie für die versicherte Person aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist (Art. 7 Abs. 2 ATSG). Das subjektive Empfinden der versicherten Person (z.B. Schmerzen) ist dabei nicht massgebend. Die Beurteilung, was aus objektiver Sicht zumutbar ist und was nicht obliegt den IV-Stellen gestützt auf die medizinischen Angaben des regionalen ärztlichen Dienstes.
Rz. 1052 Ist nach Aktenlage davon auszugehen, dass auf Grund des Gesundheitszustands der versicherten Person von ei- ner medizinischen Begutachtung keine verlässlichen Er- kenntnisse zu erwarten sind (z.B. bei Suchterkrankungen), fordert die IV-Stelle die versicherte Person auf, sich vor- gängig einer abstinenzorientierten Behandlung zu unterziehen, bis die Abklärungsfähigkeit gegeben ist. Bemerkung: Voraussetzung ist aber, dass keine verlässlichen Erkenntnisse möglich sind ohne Abstinenz!
1.2 Vorsatz im Sinne von Art. 21 Abs. 1 ATSG
Rz. 7003 Vorsätzlich handelt, wer trotz besserer Einsicht den Ge- sundheitsschaden herbeiführen, verschlimmern oder auf- rechterhalten will und sich danach verhält. Dies ist bei Süchten (wie Alkohol-, Nikotin-, Drogen- und Medikamen- tenmissbrauch sowie bei Fettsucht) oder bei einem Selbstmordversuch praktisch ausgeschlossen.
Genügen Ihnen diese Angaben?
Freundliche Grüsse
Peter Mösch Payot