Guten Tag.
Ich weiss nicht genau, ob die Frage unter "Sozialversicherungsrecht" oder unter "Arbeitsrecht" gestellt werden soll.
Wir haben einen Patienten, der seit 20 Jahren bei seinem Arbeitgeber angestellt ist. Er hatte vor 6 Jahren eine längere Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Lungenerkrankung. Es wurde eine volle IV-Rente (90%) verfügt, im 2021 dann neu 3/4-Rente (61%). Der Patient konnte beim gleichen Arbeitgeber die Arbeit wieder mit einem 40% Pensum aufnehmen.
Die Kollektiv-Krankentaggeldversicherung des Arbeitgebers hat die Versicherung des Patienten mit einem Vorbehalt belegt (Arbeitsausfälle infolge Lungenerkrankungen). Dies ist nun leider eingetreten.
Wenn die Kollektiv-Krankentaggeldversicherung aufgrund des Vorbehalts keine Leistungen ausbezahlt, greift dann die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers gemäss OR?
Herzlichen Dank bereits im Voraus für die Antwort.
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag.
Gemäss Art. 324a Abs. 4 OR kann durch Abrede, GAV oder NAV eine von der Lohnfortzahlungspflicht gemäss Art. 324 Abs. 1 bis 3 OR abweichende Regel getroffen werden, welche diese ersetzt. Unter der Voraussetzung, dass die Regelung für den Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin mindestens gleichwertig ist.
Das gilt auch bzgl. Krankentaggeldversicherungen bzgl. der Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit.
In Fällen, wo der Versicherer Gesundheitsvorbehalte für (vorbestehende) Krankheiten anbringt, stellen sich Gleichwertigkeitsprobleme: In diesem Fall ist zwar die Lösung über die KTV für den Arbeitnehmer bei nicht vom Vorbehalt betroffenen Erkrankungen besser, oder zumindest gleichwertig (wenn nicht generell weitere Einschränkungen wie Wartefristen vorgesehen sind). Hingegen ist für den vom Vorbehalt betroffenen Teil die Regelung über die KTV auf jeden Fall schlechter als der Anspruch über die Lohnfortzahlung. Weil letztere keine Vorbehalte kennt.
In der Lehre wird einhellig angenommen, dass in einem solchen Fall grundsätzlich die Lohnfortzahlungspflicht wieder auflebt (siehe die Nachweise in Pärli/Petrik (2024). Arbeit, Krankheit, Invalidität, Rz. 310: Häberli/Husmann (2015). Krankentaggeld, versicherungs- und arbeitsrechliche Aspekte, S. 147). Das Bundesgericht hat sich allerdings soweit ersichtlich noch nicht zur entsprechenden Frage äussern können.
Im vorliegenden Fall ist also aus meiner Sicht, wenn die KTV auf der Basis des Reglementes die Leistungen ablehnt, der Arbeitgeber basiserend auf Art. 324a Abs. 1 und 4 an seine Leistungspflicht zu erinnern. Noftalls ist das Arbeitsgericht anzurufen.
Ich hoffe, das dient Dir.
Prof. Peter Mösch Payot