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Volljährigkeit

Veröffentlicht:
30.01.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Anderer
M.R. wohnt seit Mai 2007 in der Aellix Wohnfamilie in Melchnau, eine Institution für Kinder und Jugendliche die fremdplatziert werden müssen. Als Kindsschutzmassnahme wurde gemäss Artikel 310 ZGB das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern entzogen.
Hier erlebte er seine Schulzeit und konnte im Sommer 2017 eine Ausbildung PrA Insos der Berufsrichtung Landschaftsgärtner beginnen. Für eine EBA Ausbildung ist M.R. zurzeit weder motiviert noch leistungsbereit.
Mit Erreichen der Volljährigkeit (15.08.2019) schliesst er gleichzeitig die Ausbildung ab. Wünschenswert wäre eine Anschlusslösung im ersten Arbeitsmarkt.
M.R. fühlt sich nach eigenen Aussagen wohl in der Aellix Wohnfamilie. Er durfte im Herbst 2018 in die WG umziehen. Ziel soll ein gezieltes Selbstständigkeitstraining sein. Er bezog ein helles geräumiges Zimmer worüber er sich freut. Die WG Wohnung befindet sich um Parterre der Aellix Wohnfamilie, damit die Gruppe einerseits gut integriert und andererseits in Teilbereichen doch autonom funktioniert.
Aktuell und bis am 31.7.2019 finanziert die Invalidenversicherung die Ausbildung als PrA Insos. Die Finanzierung der Platzierung in der Wohnfamilie wird von vom Sozialdienst übernommen. Nach der Volljährigkeit, die sich mit dem Abschluss der Ausbildung trifft, wird die IV- Rente geprüft, resp. schon ab Februar 2019 wird das Fallmanagement diesbezüglich eingeschaltet.
Einen Austritt Mitte 2019 erachten wir als kontraproduktiv. Wir würden einen definitiven Austritt Mitte 2020 befürworten. Der Austrittsprozess sollte sorgfältig geplant und ausgeführt werden. Wichtig ist, dass M.R sensibel und professionell durch den Austrittsprozess begleitet wird. Ein abrupter Abbruch des Betreuungsprozesses würde den bisher sorgsam erarbeiteten Förderprozess konterkarieren. Die Anschlusslösung muss bekannt und die Nachbetreuung geregelt etc. Leider müssen wir derzeit von einem abrupten Austritt ausgehen. Der Beistand von M.R macht zum Austrittsdatum und möglichen zukünftigen Wohnort keine konkreten Angaben, sondern lässt alles offen.
Es ist zu befürchten, dass eine Umplatzierung zum jetzigen Zeitpunkt emotionale und entwicklungsbeeinträchtigende Folgen für M.R. mit sich bringen würde:
Gefährdungsmomente bei einem Austritt Mitte 2019

  • Erneute Beziehungsabbrüche und Destabilisierung durch den Verlust langjähriger Bezugspersonen
  • Überforderung im Beruf: Die Arbeit beim Gartenbau ist eine grosse Chance und gleichzeitig eine Herausforderung die nur mit viel Unterstützung zu bewerkstelligen ist.
  • Resignation / Demotivation in Bezug auf Arbeit / Ausbildung
  • Stagnation bzw. Regression der Selbstständigkeitsentwicklung
  • Abgleiten in prädestiniertes Suchtverhalten (Das Thema ist brandaktuell und muss laufend thematisiert werden)
    Sein gesamter Freundeskreis und Beziehungsradius bezieht sich auf Melchnau und die umliegenden Ortschaften. M.R. ist hier verwurzelt.
    Er braucht heute, mit seinen siebzehn Jahren, gezielte Unterstützung um den Alltag zu bewältigen und seine Bedürfnisse anzumelden.
    Bei einem Austritt Ende 2020 könnten im Betreuungsplan, gemäss seinem Entwicklungsstand, Massnahmen und Ziele festgelegt werden. Der Betreuungsplan berücksichtigt die zukünftige Lebensform und den Wohnort von M.R Es können passgenaue Ziele und Methoden festgelegt werden. Die sorgfältig aufgebaute Beziehung sollten sukzessive abgebaut werden können.
    Ziel dabei ist es, auf eine Anschlusslösung hinzuarbeiten, welche die Bedürfnisse M.R berücksichtigt und eine weitere positive Entwicklung ermöglicht.
    Nun zu meiner Frage: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, dass M.R auch nach seiner Volljährigkeit bei uns bleiben kann?
    Wir möchten M.F eine möglichst realistische Zukunftsperspektive vermitteln (im Wissen das die KESB schlussendlich entscheidet). Falls eine Finanzierung bei uns ausgeschlossen werden könnte, müssten wir rasch nach einer Anschlusslösung auf die Suche gehen.
  • Ist die IV, der Sozialdienst oder das KESB für die Finanzierung von M.F ab seiner Volljährigkeit zuständig?
  • Unter welchen Umständen finanziert die IV einen Verbleib in der A. Wohnfamilie?
  • Müssen wir als Institution zwingend IV anerkannt sein?
  • Gibt es eine Höchstgrenze beim Tagesansatz (A. Wohnfamilie CHF 280.-)
    Bisher haben wir von keinem der Akteure (Beistand etc.) in der Lage eine Antwort auf die oben genannte Frage zu stellen.
    Vielen Dank im Voraus!
    J.P

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrter Herr Pieper
Der junge Herr kann nach seiner Volljährigkeit a) freiwillig in der Aellix Wohnfamilie leben oder b) die KESB ordnet einen Verbleib in der Wohnfamilie an (fürsorgerische Unterbringung nach Art. 426 ff. ZGB). Letzteres ist nur möglich, wenn der junge Herr an einer psychischen Störung oder an einer geistigen Behinderung leidet oder wenn er schwer verwahrlost ist und wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann.
Ihre Fallschilderung lässt vermuten, dass kein Raum für die Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung besteht.
Für die Finanzierung des Aufenthalts ist der volljährige junge Herr selbst zuständig. Er muss seine eigenen Mittel wie Lohn, Ersparnisse, Sozialversicherungsrenten und Ergänzungsleistungen aufwenden. Eine IV-Rente löst einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen aus. Bei den Ergänzungsleistungen wird das Wohnen im Budget berücksichtigt, entweder wird eine Heimberechnung oder eine Berechnung für zuhause lebende Personen gemacht. Ob die Aellix Wohnfamilie bei der EL als Heim anerkannt würde, kann ich nicht sagen, dazu müsste ich weitere Abklärungen tätigen. Allerdings können, auch wenn EL-Leistungen fliessen, noch ungedeckte Kosten offenbleiben.
Dauert die angemessene Ausbildung des Herrn an, indem er z.B. die EBA Ausbildung im Sommer 2019 noch anhängt, so haben die Eltern unter gewissen Voraussetzungen auch Volljährigenunterhalt zu bezahlen (Art. 277 Abs. 2 ZGB).
Wichtig ist, dass der junge Herr, der Beistand, die Bezugsperson der Wohnfamilie und die zuständige Person der IV, wie vorgesehen, die nächsten Schritte ab Abschluss der Ausbildung planen. Auch ist zu besprechen, ob der junge Herr die Beistandschaft behalten soll, allenfalls auch nur für die Phase eines Austrittprozesses. Der Beistand hat ohnehin auf den Zeitpunkt der Volljährigkeit der KESB einen Schlussbericht abzugeben und in diesem Zusammenhang hat er sich auch zu äussern, sollte eine Erwachsenschutzmassnahme angezeigt sein. Möglich und oft sinnvoll ist es, dass der bisherige Beistand, zu dem ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden konnte, eingesetzt würde, auch wenn sein Dienst an sich nicht mehr zuständig wäre. Der junge Herr kann auch den Wunsch äussern, den bisherigen Beistand behalten zu wollen (Art. 401 ZGB).
Wenn der Aufenthalt in der Aellix Wohnfamilie für die Entwicklung des jungen Herrn erforderlich ist, ist ein Antrag auf subsidiäre Kostengutsprache beim zuständigen Soziadienst zu stellen. Subsidiär bedeutet, dass die Sozialhilfe nur die Kosten übernimmt, für welche die eigenen Mittel des jungen Herrn nicht ausreichen. Den Antrag stellt idealerweise der Beistand, unter Miteinbezug des jungen Herrn, noch rechtzeitig vor Erreichen der Volljährigkeit. Da das Sozialamt die Situation abzuklären und die Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen hat, ist eine sorgfältige Evaluation des aktuellen Beistandes wertvoll: er verfasst einen Situationsbeschrieb, erläutert anderweitig geprüfte Lösungsoptionen und erklärt den Grund der gewählten Variante.
Die Sozialhilfebehörde hat das entsprechende Gesuch zu prüfen und (allenfalls unter Auflagen und Bedingungen) zu bewilligen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, oder sie hat sie zu verweigern, wenn dies nicht zutrifft. Dagegen kann ein Rechtsmittel ergriffen werden.
Über besondere Leistungen der IV im Rahmen der Eingliederung orientieren Sie sich am besten, sobald das Fallmanagement begonnen hat. Ich kann Ihnen zu den Leistungen nichts sagen, es kommt darauf an, was nach Abschluss der aktuellen Ausbildung IV-seitig geplant wird.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 7.2.2019
Karin Anderer