Zum Inhalt oder zum Footer

Volljährige Kids aus der Wohnung "rauswerfen"

Veröffentlicht:
26.10.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Guten Tag
Kann ein junger Erwachsener (18 Jahre alt) gegen seinen Willen in einem Wohnheim platziert werden? Die Eltern können ihn kaum mehr bei sich aufnehmen, da derselbe auf keinerlei Intervention derselben mehr höre. Könnte im worst-case die zivile Polizei den Jugendlichen /jungen Erwachsenen abholen, sofern zuvor ein Platzierungsort gefunden wurde?
Dieselbe Frage habe ich für eine 21 jährige, die sich weigert auszuziehen. Diese erhielt bereits einen eingeschriebenen Brief der Eltern, den sie nicht öffnete. Darin stand das Datum des Auszugs. Die Eltern würden das "Ultimatum" gerne umsetzen, da das Kind sich zwar Wohnungen ansähe, diese aber jeweils als nicht zumutbar abstemple und somit nicht vom Fleck komme.
Grüsse
Herr von May

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrter Herr von May
Eltern sind nicht mehr verpflichtet, ihre volljährigen Kinder bei sich zu beherbergen. Sind die volljährigen Kinder in keiner Ausbildung, so schulden die Eltern auch keinen Unterhalt gestützt auf Art. 277 Abs. 2 ZGB.
Wenn die Eltern ihre Kinder bisher gegen Entgelt beherbergt haben, liegt ein Mietvertrag vor, und sie haben nach den Regeln des Mietrechts vorzugehen. Die Kündigung muss auf einem amtlichen Formular erfolgen. Sind die Kinder hingegen Gast bei den Eltern und haben sie absolut gratis bei ihnen gewohnt (es fliessen keinerlei geldwerte Leistungen, auch keine symbolischen Geldleistungen oder Arbeitsleistungen), handelt es sich rechtlich gesehen um eine Gebrauchsleihe. In diesem Fall kann diese Gastfreundschaft jederzeit aufgekündigt werden; der Gast, der absolut gratis wohnt, kann jederzeit wieder aus der Wohnung gebeten werden (vgl. dazu Merkblatt Gemeinsam Wohnen: Welche Formen sind zu unterscheiden? Des Mieterinnen- und Mieterverbandes Schweiz auf https://www.mieterverband.ch/mv/mietrecht-beratung/ratgeber-mietrecht/top-themen/untermiete-gemeinsam-wohnen.html).
Das ist die rechtliche Seite, welchen den Eltern praktische Probleme bescheren dürfte, dann nämlich, wenn die Kinder sich von der Kündigung nicht beeindrucken lassen. In diesem Fall benötigen die Eltern allenfalls behördliche Hilfe, um die Kinder physisch rauszustellen und den Schlüssel abzunehmen. Zieht ein Kind trotz beendetem Mietverhältnis nicht freiwillig aus, bleibt den Eltern nichts anderes übrig, als beim Gericht ein Ausweisungsbegehren zu stellen.
Die Eltern können sich beim Mieterverband telefonisch beraten lassen (vgl. https://www.mieterverband.ch/mv/mietrecht-beratung/hilfe-von-fachleuten.html).
Ob der rechtliche Weg eine gute Lösung ist, ist eine andere Frage. Warum ist die Eltern-Kind-Beziehung an so einem Tiefpunkt angelangt? Befindet sich das Kind in einer schwierigen Lebenslage und kann es sich selbst überlassen werden? Lethargie und Rückzug könnte Zeichen eines Krankheitsgeschehens sein. Gelegentlich müssen junge Menschen aus solchen“Rückzugslöchern“ herausgeholt werden, ihre Vorgeschichte dürfte dazu Anhaltspunkte liefern. Allenfalls ist eine Meldung an KESB angezeigt.
Eine Platzierung einer volljährigen Person kann gegen ihren Willen nur auf behördliche Anordnung hin erfolgen. Es gelten die Regeln der fürsorgerischen Unterbringung (Art. 426 ff. ZGB). Dasselbe gilt im Übrigen auch für Minderjährige, die erheblichen Widerstand gegenüber einer Platzierung leisten (Art. 310 und 314b ZGB, vgl. auch BK Affolter/Vogel, Art. 301 ZGB N 80 f.). Die Polizei kann keine Heimeinweisung vornehmen, sie kann nur im Rahmen von Art. 450g bei der Vollstreckung einer behördlichen Anordnung beigezogen werden. Auch eine Institution wird keinen jungen Erwachsenen ohne behördliche Anordnung zwangsweise aufnehmen; der Tatbestand der Freiheitsberaubung wäre sonst erfüllt.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und Grüsse sie freundlich.
Karin Anderer
Luzern, 30.10.2018

Guten Tag
Ich habe einen ähnlichen Fall zu begleiten, bei dem Eltern ihre Tochter (21) aus der Wohnung wegweisen lassen wollen.
Dieselbe habe bereits 2 Ultimatum verstreichen lassen und auch die Möglichkeit einer Mediation blieb ungenutzt. Die Tochter arbeite aktuell nicht, sei dran sich zu verschulden (Betreibungsregistereintrag erfolgte), aktuell bis Mai arbeitslos und beginne hierauf eine Stelle in einem Call Center. Wie sähe ein konkreter Stufenplan aus? Die Wohnung muss ihr gekündigt werden (und ein letzter Mediationsversuch wird ihr angeboten) und hierauf? Die Befürchtung ist, dass die Tochter sich den Eltern verweigert resp. weder Schlüssel abgeben wird noch sich um die Wohnungssuche bemühen wird, wenn sie weiterhin ohne Probleme dort leben mag. Die Tochter ist für ein Gespräch bei mir erschienen, jedoch hat sie der Mutter die Schuld an der Gesamtsituation gegeben und wollte eine Mediation wahrnehmen - die sie nun bereits einmal verpasst hat. Die Eltern waren beide bei mir und sind zunehmend hilflos, da es bereits fast ein Jahr dauere und sie keinerlei Fortschritt sehen. Ich wäre sehr froh um einen Stufenplan, so dass ich mit den Eltern das Vorgehen besprechen kann - ungeachtet dessen, werde ich versuchen die Tochter zu stützen, da es wohl zu einem massiven Eingriff in deren Leben kommen mag.