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Verzicht auf Einrede der Verjährung

Veröffentlicht:
28.01.2021
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Sehr geehrte Damen und Herren

Ist es rechtens, in einer Schuldanerkennung den Vermerk anzubringen, dass 

1. sie anstelle eines Verlustscheines gemacht wird und

2. der Schuldner auf die spätere Einrede der Verjährung verzichtet. 

Besten Dank für Ihre Rückmeldung!

Freundliche Grüsse

K. Weber

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Weber

Vielen Dank für Ihre Frage. Darf ich Nachfragen stellen?

1. In welchem Zusammenhang steht die Schuldanerkennung? Soll eine Schuld gegenüber der Sozialhilfe anerkannt werden und wenn ja, aus welchem Grund?

2. Gibt es bereits eine Rückerstattungsverfügung betreffend die Schuld? Wurde die Rückerstattung nicht (vollumfänglich) geleistet und soll die Schuld nun zusätzlich zur Rückerstattungsverfügung noch anerkannt werden?

3. Oder gibt es keine Rückerstattungsverfügung und soll die Schuld anstelle einer Rückerstattungsverfügung anerkannt werden?

Ich bedanke mich für Ihre Ergänzungen.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach

Sehr geehrte Frau Loosli Brendebach

Ich kenne alle drei Varianten, v.a. stellt sich mir aber die Frage bei den Fällen 1 und 3. Beim Fall 2 gehe ich davon aus, dass eine Schuldanerkennung mit den erwähnten Formulierungen rechtens ist.

Bei den Varianten 1 und 3 geht es z.B. um Schuldanerkennungen ohne Rückerstattungsverfügung, z.B. bei zu Unrecht / zu viel erhaltener Sozialhilfe (z.B. nicht deklariertes Einkommen). Der Klient anerkennt den Sachverhalt und ist einverstanden, dass keine Rückerstattungsverfügung erstellt wird. Er wird weiter finanziell unterstützt und im Budget werden Raten vom Grundbedarf abgezogen, um die Schuld zu tilgen. Oder er wird von der Sozialhilfe abgelöst und stellt in Aussicht, die Schuld weiterhin in Raten abzuzahlen (zusätzlich wird eine Rückerstattungsvereinbarung unterzeichnet). 

Bei der Variante 3 ist mir nun aber folgende Schuldanerkennung eines Berner Sozialdienstes begegnet: Eine Klientin wurde vor nicht ganz zehn Jahren wirtschaftlich unabhängig und konnte sich von der Sozialhilfe ablösen. Um die zehnjährige Verjährungsfrist zu unterbrechen, wurde ihr mit der Post eine Schuldanerkennung mit dem Betrag der gesamten erhaltenen Sozialhilfeleistungen zur Unterschrift vorgelegt. Dies ohne dass ein Sachverhalt gemäss Art. 40 Abs. 1 bis Abs. 5 SHG vorliegt.

Vielen Dank im Voraus für Ihre Bemühungen. 

Freundliche Grüsse

K. Weber

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Weber

Vielen Dank für Ihre Unterstützung. Dann konzentriere ich mich in meiner Antwort auf die Variante 3 und ergänze sie um die Frage des Verlustscheins.

Ich rate dringend davon ab, die Schuldanerkennung zu unterzeichnen. Dies hat folgende Gründe:

1. Der Sozialdienst, der die wirtschaftliche Hilfe gewährt hat, hat nach Art. 44 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern (SHG BE, BGS 860.1) regelmässig zu klären, ob die Voraussetzungen für eine Rückerstattung gegeben sind. Sind die Voraussetzungen für eine Rückerstattung erfüllt, ist er verpflichtet, den Rückerstattungsanspruch geltend zu machen und trifft dafür nach Möglichkeit eine Vereinbarung mit der (ehemaligen) Klientin/dem Klienten oder erlässt eine Verfügung, wenn die betroffene Person nicht einverstanden ist (Abs. 2). Der Klient/die Klientin hat das Recht, die vom Sozialdienst vorgeschlagene Vereinbarung abzulehnen, also mit der Vereinbarung nicht einverstanden zu sein (Handbuch Sozialhilfe BKSE, Rückerstattungspflicht).

Da ihre Klientin der Meinung ist, dass kein Rückerstattungsgrund nach Art. 40 SHG BE vorliegt, ist es dringend angezeigt, dass sie die Schuldanerkennung NICHT unterzeichnet und der Sozialdienst damit gezwungen wird, eine anfechtbare Verfügung zu erlassen, wenn er der Meinung ist, dass die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Sieht er die Voraussetzungen dazu nicht als gegeben an, wird er darauf verzichten oder die Klientin kann sich zumindest auf dem Rechtsweg dagegen wehren. Unterzeichnet sie eine Schuldanerkennung kann sie sich kaum mehr gegen die Eintreibung der (wohl gar nicht bestehenden) Rückforderung wehren.

2. Es kommt hinzu, dass der Rückerstattungsanspruch nach Art. 45 Abs. 1 SHG BE spätestens nach 10 Jahren nach der Ausrichtung jeder einzelnen Leistungen verjährt, die sogenannte absolute Verjährung.

Damit sind alle Leistungen, die die Sozialhilfe vor mehr als 10 Jahren erbracht hat, bereits verjährt, was grundsätzlich von Amtes wegen zu beachten ist. Es kann nur noch um die Leistungen gehen, die weniger oder maximal 10 Jahre zurückliegen.

Daraus folgt, dass die Rückforderung der gesamten Unterstützungsleistungen aus verjährungsrechtlicher Sicht nicht mehr möglich ist und die Klientn mit Unterzeichnung der Schuldanerkennung auf die Verjährungseinrede verzichten würde, was zwar möglich ist (Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, Zürich/St. Gallen 2020, N 774), aber keinerlei Sinn macht, wenn die Klientin der Meinung ist, dass kein Rückforderungsanspruch des Sozialdiensts besteht.

Bezüglich der noch nicht ganz 10 Jahre zurückliegenden Leistungen ist zwar noch keine absolute Verjährung eingetreten und der Sozialdienst kann die Verjährungsfrist nach Art. 45 Abs. 3 SHG BE mittels Einforderung durch Schuldanerkennung noch unterbrechen und damit diesen Teil der Sozialhilfeleistungen noch zurückfordern. Er hat aber keinen Anspruch darauf, dass die Klientin die Schuldanerkennung unterzeichnet und muss dies, wie oben unter Ziff. 1 ausgeführt, bei fehlendem Einverständnis Ihrer Klientin mittels Verfügung tun.

 

Zum Thema Verlustschein: Es ist tatsächlich so, dass die Forderung während 20 Jahren nicht verjährt, wenn ein Verlustschein vorliegt (Art. 149a Abs. 1 des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes, SchKG, SR 281.1). Der Verlustschein ist allerdings das Ergebnis eines SchkG-Vollstreckungsverfahrens, bei dem es ganz oder teilweise zu einem Verlust kommt. Es muss somit aufgrund einer Forderung vorgängig ein Schuldbetreibungs- oder Konkursverfahren durchgeführt worden sein.

Daraus folgt, dass eine Schuldanerkennung ohne vorgängiges Schuldbetreibungs- oder Konkursverfahren den Verlustschein nicht ersetzen beziehungsweise an seine Stelle treten kann. Die Unterzeichnung einer Schuldanerkennung kann demnach auch nicht die 20-jährige Verjährungsfrist wie ein Verlustschein auslösen. Oder mit anderen Worten: Es ist rechtlich nicht möglich, eine Schuldanerkennung anstelle eines Verlustscheins zu setzen.

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können. Möchten Sie auch zu den Varianten 1 und 2 nähere Ausführungen, melden Sie sich gerne.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach