Sehr geehrte Damen und Herren
Ich bin Beiständin einer Frau im Rahmen einer Vertretungsbeistandschaft nach Art. 394 i.V.m Art. 395 ZGB. Schwächezustand: chronische Schizophrenie. Die Kommunikation mit ihr ist sehr schwierig und eingeschränkt, aus meiner Sicht ist die Urteilsfähigkeit nicht gegeben.
Seit einigen Monaten steht sie unter der Beeinflussung einer zugewandten, unbefugten Personengruppe, welche unglaublich Einfluss nimmt in ihre persönlichen Angelegenheiten.
Aufgrund der Schilderung der Geschwister, wurde sie sehr früh nach der Geburt in einem der Kinderheime untergebracht, die unter der Leitung des Kloster Ingenbohl standen und mit Expertenbericht vom 23.01.2013 untersucht worden sind.
Im Rahmen der Einkommens- und Vermögensverwaltung stellte ich in Vertretung der Klientin das Gesuch beim EJPD und unterschrieb dieses in Vertretung.
Das EJPD stellte das Gesuch der Klientin zur Unterschrift zu. Das Gesuch wurde ohne Unterschrift zurückgeschickt mit dem unterzeichneten Vermerk: : "ich bin kein Opfer". Ob sie es selber geschrieben hat kann ich nicht herausfinden.
Im Schreiben der KOKES vom 14. November 2017 hat der Anspruch auf den Solidaritätsbeitrag höchstpersönlichen Charakter.
Können Sie mir erklären, welche Konsequenzen aus der aktuellen Situation abzuleiten sind und wie ich allenfalls vorzugehen habe um den Anspruch geltend zu machen.
Ich danke Ihnen bestens für die Rückmeldung und grüsse freundlich.
D. Friedrich
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Liebe Doris,
der Antrag auf einen Solidaritätsbeitrag nach dem Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG) stellt ein relativ höchstpersönliches Recht dar. Als gesetzliche Vertreterin kannst du, wenn du ein Vertretungsrecht im Bereich von Einkommen und Vermögen und der Administration mit Behörden, Ämtern und (Sozial)Versicherungen usw. hast, den Antrag bei Urteilsunfähigkeit stellen.
Im von dir erwähnten Schreiben der KOKES und des BJ vom 14.11.2017 „Fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (FSZM) Solidaritätsbeitrag – Hinweise zu verbeiständeten Personen“ (abrufbar auf https://www.kokes.ch/application/files/8515/1103/9627/BriefKOKESde.pdf) heisst es auf Seite 2:
„Bei urteilsunfähigen Personen muss der Beistand oder die Beiständin in geeigneter Weise abklären (in Gesprächen mit der betroffenen Person und den Angehörigen), ob ein Gesuch dem mutmasslichen Willen der verbeiständeten Person entspricht. Falls dies zutrifft, ist die Beistandsperson, die ja u.a. die finanziellen Interessen der verbeiständeten Person wahrnimmt, gehalten, das Gesuch zu unterzeichnen und einzureichen. Gegen den mutmasslichen Willen der betroffenen Person darf das Gesuch nicht gestellt werden.“
Gemäss den Schilderungen gibt es Zweifel, ob die betroffene Person urteilsfähig ist in Bezug auf den Antrag, insbesondere wegen der fehlenden Willensumsetzungsfähigkeit durch übermässige Beeinflussung.
Nach Art. 1 der Verordnung zum Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFV) ist das Bundesamt für Justiz (BJ) zuständig für den Vollzug des AFZFG. Das heisst, dass das BJ das entsprechende Verfahren führt und dabei die Voraussetzungen der Anspruchsbegründung zu prüfen hat.
Ich empfehle dir, dem BJ schriftlich mitzuteilen, dass du als gesetzliche Vertreterin an der Einreichung des Gesuchs festhältst. Dabei sind der Schwächezustand und die Schutzbedürftigkeit der Frau, sowie die konkreten Umstände, soweit dazulegen, damit die Folgerungen, warum sie in diesem Bereich als nicht urteilsfähig beurteilt wird, nachvollzogen werden können. Auch ist der Hinweis anzubringen, dass es dir unklar ist, ob die schriftliche Erklärung „Ich bin kein Opfer“ von der betroffenen Person selbst handschriftlich vermerkt wurde. Zudem sind die Abklärungsresultate bzw. deren Herleitung anzugeben, warum das Gesuch dem mutmasslichen Willen der verbeiständeten Person entsprechen dürfte.
Im Rahmen der Gesuchsprüfung kann das BJ weitere Abklärungen tätigen. Nach Art. 5 AFZFV zieht das BJ für die Beurteilung der Gesuche eine Kommission bei (besteht aus 7-9 Personen, davon 3-4 Personen, die selbst Betroffene oder Opfer) die sich insbesondere zu Fragen des Vorgehens, zu Grundsatzfragen sowie zu Gesuchen, die besonders heikle Fragen aufwerfen, äussert.
Nach Art. 6 AFZFG prüft das BJ die Gesuche und entscheidet über die Gewährung des Solidaritätsbeitrags. Sie hört vor ihrem Entscheid die beratende Kommission an. Art. 8 AFZFG regelt den Rechtsschutz, gegen die Ablehnung eines Gesuchs kann innert 30 Tagen bei der zuständigen Behörde Einsprache erhoben werden.
In einem zweiten Schritt, sollte eine Ablehnung erfolgen und ein Weiterzug in Erwägung gezogen werden, kannst du bei der KESB nach Art. 416 Abs. 1 Ziff. 9 ZGB eine Prozessführungsbefugnis, ggf. mit Substitutionsvollmacht, beantragen.
Hinweis: Nach Art. 5 Abs. 2 AFZFG muss die gesuchstellende Person glaubhaft machen, dass sie ein Opfer im Sinne dieses Gesetzes ist. Dazu legt sie dem Gesuch die Akten sowie weitere Unterlagen bei, die geeignet sind, ihre Opfereigenschaft zu belegen. Nach Art. 3 Abs. 4 und 5 AFZFV kann die gesuchstellende Person die Unterstützung durch die Archive und die kantonalen Anlaufstellen in Anspruch nehmen. Sind keine Unterlagen vorhanden, namentlich weil sie zerstört worden oder nicht mehr auffindbar sind oder Unterlagen gar nie erstellt wurden, so können auch mündliche Darlegungen genügen.
Ich hoffe, die Angaben sind dir nützlich und ich grüsse dich freundlich
Karin Anderer
Luzern, 9.4.2018